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Kleine doitsche Medienkunde und
Fragen militanter Praxis
autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe 1993


Medien-Randale (I)

Berlin, Lustgarten, 8. November 1992: „Aber mit allem Nachdruck ist zu verlangen, dass wir in der Politik die Kraft auf allen Seiten finden, nun gemeinsam den nächsten notwendigen Schritt zu tun nach den Regeln der Verfassung und ohne die schrecklichen schrillen Töne, die uns keinen Schritt weiterbringen, sondern am Ende nur Wasser sind auf die Mühlen der gewalttätigen Extremisten“ (Richard von Weizsäcker, zit. n. Stuttgarter Zeitung, 9. November 1992).



„Los incendarios ideologicos dirigen esta manifestacion“

Die versammelte politische (und herrschende) Klasse, die seit einem Jahr unaufhörlich die Stimmung gegen die Flüchtlinge und Menschen ohne deutschen Pass aufheizte, die bereits heute über diverse Ausnahmegesetze Menschen erster und zweiter Klasse produziert, hatte die Untertanen zur Demonstration gerufen. Sie wollten gegen die von ihnen auf juristischer Ebene unterstützten und auf rhetorischer Ebene heraufbeschworenen (z.B. Rühe-Rundbrief vom Sommer 1991) und munitionierten Pogrome ein Zeichen setzen: Wir waschen unsere Hände in Unschuld. Die bundesdeutsche politische Klasse wollte den biederen StaatsbürgerInnen außerdem zeigen, von wem in diesem Land einzig und allein Gewalt gegen Nicht-Deutsche ausgehen darf.

Die dort versammelten PolitikerInnen hatten die gegenwärtig herrschende rassistische Stimmung selbst salonfähig gemacht. Mit dem Ruf von ‚Volkes Stimme‘ im Rücken fällt es freilich leichter, zu vertuschen, dass Gesetze in diesem Lande nur so lange Bestand haben, wie es bestimmten Interessen beliebt, bzw. wie dieselben bei der Herrschaftsausübung nicht störend sind. Inzwischen zwicken nicht mehr nur einzelne Gesetze, nein mittlerweile passen große Teile der Geschäftsgrundlage des bürgerlich-repräsentativen demokratischen Staates nicht mehr. Damit aber niemand, insbesondere das ‚böse‘ Ausland nicht merkt, wie hierzulande inzwischen nicht nur anhand eines Grundgesetz-Artikels Nägel mit Köpfen gemacht werden sollen, inszenierten sie jenen Umzug mit dem biederen und farblosen Bundes-Richi an der Spitze.

Auf einmal prasselte es Farbeier „Und plötzlich war es ein Spießrutenlaufen“: „Sekunden zuvor noch hatte er (...) dargelegt, warum man sich (...) versammelt habe: ‚Weil uns unser Land am Herzen liegt. Und weil wir uns um Deutschland sorgen‘“ (Frankfurter Rundschau, 9. November 1992). Genau weil das ihre Hauptsorge war und nicht etwa das Wohlergehen der von Deutschen gejagten Flüchtlinge, wie auch geheuchelt wurde (Vgl. z.B. demgegenüber Rita Süßmuth zit. n. Stuttgarter Zeitung, 9. November 1992: „Weil Flüchtlinge ein Problem sind, das wir reduzieren müssen“) gab es eine auf die Nuss. Ihnen öffentlich und nachvollziehbar die Gefolgschaft und die Loyalität aufzukündigen und sich nicht zu Claqueueren degradieren zu lassen, lautete das Gebot der Stunde. So musste „auch der erste Mann im Staat erkennen, dass der kleinste gemeinsame Nenner, den man (...) gefunden hatte, um das Deutschland-Bild im Ausland via Großdemonstration zu korrigieren, nicht bei allen trägt“ (Ebd.). Nachdem sich die ökonomisch herrschende bürgerliche bzw. deren politische Klasse an die Spitze der Demonstration stellte, wurde versucht, die Teilnahme zu einer Zustimmung zu ihrer Politik umzufunktionieren. Doch nicht wenige DemonstrantInnen waren da ganz anderer Meinung: „Geht‘s um Image und Profit, gehn selbst die Schreibtischtäter mit“ und „In der BRD marschieren Brandstifter und Heuchler in der ersten Reihe“ (Demo-Transparente). Fazit: „Es ist schleierhaft, wie die Bonner Parteien, die sich anschicken, das Grundrecht auf Asyl einzuschränken, darin ein Zeichen der Zustimmung zu ihrer Politik sehen können“ (SPIEGEL 47/1992, S. 23).



Deutschland, Deutschland über alles:
„Der Gartenzaun des Deutschen ist unantastbar“ (Demo-Transparent)

Vor aller Welt blamierten sich der vielgerühmte organisatorische doitsche Perfektionismus und die eingebildete Allgewalt des bundesdeutschen Staatsapparates: „Die erste Garnitur unseres Landes ist am Sonntag im Lustgarten auf beschämende Weise herumgeschubst worden“ (Stuttgarter Nachrichten, 9. November 1992). Es ging also nicht um die Flüchtlinge, die inzwischen in diesem unseren Lande nicht mehr nur ‚herumgeschubst‘ werden. BerichterstatterInnen und KommentatorInnen verschwendeten kaum eine Zeile, auf die tatsächlichen Opfer des zündelnden Bundestags- und Regierungsmobs hinzuweisen. Sie sorgten sich zuerst um das Ansehen von ‚Deutschland‘. Das angeblich verzerrte Deutschland-Bild in der Weltöffentlichkeit wieder zurechtzurücken, das sah die Mehrzahl der bundesdeutschen (Print-)Medien als ihre vornehmste Aufgabe und oberste Bürgerpflicht an. Doch auch die AuftraggeberInnen waren über die Art der Live-Übertragung unzufrieden. Ihre Kommentierung macht deutlich, woher der Wind wehen sollte: „Und dass es eine deutsche Fernsehkamera war, die sogar einen englisch gepinselten Aufruf zum Investitionsboykott in die Welt transportierte, lässt wirklich fragen: Wo liegt denn hier der Nachrichtenwert?“ (Magazin Wirtschaft Mitteilungen und Meinungen der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart Nr. 11/1992).

Die Fiktion eines ‚besseren‘, angeblich ‚ausländerfreundlichen‘ Deutschland ging dabei zu Bruch: „Linke Krakeeler, gewalttätige Autonome, radikale Ideologen sie haben wieder einmal zerstört und in Scherben geschlagen, was doch eigentlich gekittet werden sollte: das Ansehen der Republik, der Ruf des neuen, wiedervereinigten Staates“ (Stuttgarter Nachrichten, 9. November 1992). Denn „nach den Widerwärtigkeiten der letzten Zeit in Ost- und Westdeutschland wurde mit dieser Versammlung ein klares Zeichen dafür gesetzt, wo das gute Deutschland steht“ (Südwestpresse, 9. November 1992). „Der Bundeskanzler selbst bestätigt den Demonstranten, dass sie nur als Kulisse für ein Staatsschauspiel eingeplant waren, das Deutschlands Ansehen im Ausland heben sollte. Nicht die Wurfgeschosse gegen Richard von Weizsäcker sind Helmut Kohls Problem, sondern das Misslingen der Show. Er hält es für das ‚eigentliche‘ Verbrechen, dass eine Gruppe von Chaoten das schöne Bild der Eintracht ‚im Ausland‘ trüben konnte“ (SPIEGEL 47/1992, S. 23). So hat es nicht sollen sein: „Das ist nicht unser Deutschland!“ (Die Welt) „In einem Desaster ging unter, was die Welt von einem besseren Deutschland überzeugen sollte“ (Stuttgarter Nachrichten, 9. November 1992). Und das ist gut so, da ein solcher Schein trügen würde.



„Er gerät in das Visier gewalttätiger Amokläufer von links“
‚Staatsnotstand‘ im Lustgarten (Stuttgarter Nachrichten, 9. November 1992)

Einmal mehr verhinderten also gewaltbereite ‚Chaoten‘, dass die führenden bundesdeutschen PolitikerInnen zu Wort kommen konnten. Seit Wochen okkupieren ‚die Autonomen‘ die Sendeanstalten und Zeitungsredaktionen. Die demokratisch gewählten PolitikerInnen sind praktisch abgeschnitten von ihren WählerInnen. Sie vermögen sich gegenwärtig weder im Lustgarten noch in den Medien Gehör zu verschaffen. „Und so regiert der Meinungsterror bis zum Schluss“ (Stuttgarter Nachrichten, 9. November 1991). Doitschland droht unregierbar zu werden: „Die größere Schande liegt allemal bei jenen, die auch nur den Anschein zulassen, es dürfe eine Gesellschaft geben, in der der Bundespräsident nicht auf offenem Platz zu Tausenden reden kann, ohne unmittelbarer Gewalt ausgesetzt zu sein, ohne von Hunderten Polizeibeamten geschützt werden zu müssen“ (Süddeutsche Zeitung, 9. November 1992).

Nun beklagt das Medien-Lamento allenthalben, dass man sich in diesem Lande gegenseitig nicht mehr zuhören wolle. Schon ein etwas seltsames Verständnis von Dialog, hier die Verstärkeranlagen der Regierungen und unten die unverstärkten Kehlen des gemeinen Pöbels. Um zumindest für einen gewissen Ausgleich zu sorgen, schnitten ein paar von denen da unten die Kabel durch. Denn erinnern wir uns: Wie lammfroh fielen die Kommentare dieser Medien-Schreihälse aus, als die Staatsgewalt in Nürnberg und München die Diskussionen im Vorfeld und während des Weltwirtschaftsgipfels 1992 unterband? Offensichtlich verstehen sie unter ‚Zuhören‘ vor allem die staatsanwaltlichen und vom Staatsschutz durchgeführten Ermittlungen, die sich mehrmals den Zugang zu linken Veranstaltungen mit Schlagstöcken erprügelten. Berlin zeigte, dass Pfiffe und Protest gegen die Regierenden nicht immer (wie in München) einkesselbar sind.
Dabei hätten sie vorgewarnt sein müssen. Denn bereits angesichts historischer Berliner Kundgebungen gegen das preußische Drei-Klassen-Wahlrecht galten vor dem Ersten Weltkrieg die Demonstrationen und Kundgebungen der Arbeiterbewegung als „eine neue Art, sich mit den Herrschenden zu unterhalten“ (Friedrich Naumann). Auch wenn diesmal die Regierenden glaubten, sich von Hunderttausenden von DemonstrantInnen unterhalten lassen zu können, geriet die Veranstaltung anno 1992 zu einer etwas anderen ‚Volksaussprache‘. Es wurde schließlich ein würdiger Unterhaltungsnachmittag.



Wel rinks und lechts velwechsert

„300 000 Menschen haben heute in Berlin für die Menschenwürde und gegen Gewalt, Fremdenhass demonstriert. Links- und rechtsradikale Gruppierungen haben versucht, dieses Bild zu beschmutzen“ (Helmut Kohl, zit. n. Die Welt, 9. November 1992).

Angesichts der Tatsache, dass die schöne Show erst einmal vermasselt war, beginnen einige KommentatorInnen durchzuknallen: „Rechtsradikale, dumpfe Triebtäter gegen alles, was anders ist, hatten Molotowcocktails in Wohnungen geworfen, Fremde verprügelt, Gräber zerstört. Ihnen wollten die Demonstranten zeigen, wie die Mehrheit der Deutschen denkt und wofür sie eintritt. Linksradikale, dumpfe Triebtäter, auch sie gegen alles, was ihren kümmerlichen politischen Horizont übersteigt, versuchten die Kundgebung mit Steinwürfen, Trillerpfeifen und anderer Gewalt zu sprengen“ (Südwestpresse, 9. November 1992). Aber auch unsere GRÜNEN FreundInnen sind mit am Werke. Oberfreund und Bundestagsabgeordneter Konrad Weiß: „Die Linksradikalen haben ihr wahres Gesicht gezeigt. (...) Diese autonomen Faschisten sind nicht besser als ihre braunen Gesinnungsgenossen und feige Verbrecher wie diese“ (Zit. n. taz, 10. November 1992). Der Feind steht links, das ist Tradition in Deutschland: „Man hat in letzter Zeit zu sehr nur auf die rechte Szene geblickt und dabei übersehen, daß sich in den letzten Jahren die Zahl der Linksextremisten nahezu verdoppelt hat“ (Stuttgarter Zeitung, 9. November 1992).

Die Gewalt wohlstandschauvinistischer BundesbürgerInnen, das Ermorden, Brandschatzen und Vergewaltigen, die Angriffe auf Frauen, Kinder und Behinderte, also all das, was die PolitikerInnen und die Medien permanent mit Begriffen wie ‚Asylmißbrauch‘ und ‚Asylschwemme‘ herbeireden, -schreiben und -senden, sollte also das Gleiche sein, wie der Versuch, einmal die hierfür politisch Verantwortlichen mit Pfiffen und Farbeiern zu markieren und sie für ihre Heuchelei bloßzustellen: „Brutale Gewalt, deren Opfer in den vergangenen Wochen in mehreren deutschen Städten Ausländer geworden sind, hat jetzt nach den Politikern gegriffen, die sich in Berlin versammelt hatten, um öffentlich die Gewalt zu verurteilen“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. November 1992). Die Unmutsäußerungen wurden zum Vorwand für die politische Klasse, sich selbst zu den eigentlichen Opfern zu stilisieren. Von gleichermaßen linker wie rechter Gewalt war nun wieder die Rede. Jeden Tag und jede Nacht jagen BundesbürgerInnen Flüchtlinge und andere Menschen ohne deutschen Pass sowie Behinderte, AntifaschistInnen etc. Inzwischen sind es schon 17 Tote (Stand: 30. November 1992) und das ist offenbar dasselbe, wie wenn die hierfür politisch Verantwortlichen für ihre Heuchelei mit Pfiffen und Farbeiern bedacht werden.



Der Stein bestimmt das Bewusstsein

„Mit Steinen gegen den ersten Mann im Staat“ (Südwestpresse, 9. November 1992) sei es im Lustgarten zur Sache gegangen. Obwohl es jedeR FernsehzuschauerIn selbst sehen konnte, dass kein einziger Stein flog, „werfen Linksextremisten“ so der durchgehende Medientenor von FAZ bis taz „Steine und Eier auf Bundespräsidenten und Kanzler“ (Stuttgarter Zeitung, 9. November 1992). Die Hilflosigkeit und der Ärger waren vollkommen, als Autonome nicht so auftraten, wie sie sich der/die kleine ARD- und ZDF-KommentatorIn gemeinhin vorstellt. Nicht in die übliche Kostümierung gewandet, drohte der Pawlowsche Medienreflex schon frühzeitig zu verenden. So wurden Pfiffe und Farbbeutel zu Steinen. Denn es drohte das Feindbild und die Demo abhanden zu kommen: „Gezeigte und erlebte Realität passen selten zusammen. Es gehört zum Medienalltag, dass Randale immer durchdringt, auch wenn Friedfertigkeit überwiegt“ (SPIEGEL 47/1992, S. 23). Die Unmutsäußerungen gaben nun den Vorwand ab, von dem entscheidenden Ergebnis der Demo abzulenken: Die Mehrzahl der DemonstrantInnen war nicht einverstanden mit der Politik derjenigen, die diese Kundgebung organisieren ließen. JedeR der/die Augen im Kopf hatte, konnte sehen, dass den VeranstalterInnen die Demonstration inhaltlich schon während des Aufmarschs aus den Händen geglitten war. Die Eier- und Tomatenwürfe sowie die massiven verbalen Proteste mussten nun dafür herhalten, zu vertuschen, warum diese Kundgebung tatsächlich zu einem Debakel für ihre OrganisatorInnen wurde.
Keine dieser Medien (außer der taz) dementierte am nächsten Tag ihre Falschmeldungen: „Selbst wenn vereinzelt auch Steine geflogen sein sollten – kein Beobachter konnte die Geschosse genau ausmachen, es ging um eine wütende, teilweise auch hasserfüllte Bekundung des Unwillens gegen die politische Führung und nicht um einen gewaltsamen Angriff“ (taz, 10. November 1992). Auch das ‚Magazin Wirtschaft‘ (11/1992) der baden-württembergischen Industrie- und Handelskammer vermochte nur noch von „ekligen Wurfgeschossen“ zu schreiben.
So konnte die Veranstaltung doch noch als Erfolg gefeiert werden. Hatten fast alle Medien am Montag noch über das Scheitern der Demonstration gezetert und gejammert, wurde am Dienstag ihr Erfolg bekannt gegeben: „Unerhört war das Wüten von 300 Provokateuren, doch unerhört war es doch wohl auch, dass tausendmal mehr Gutwillige zur größten Demo der Demokratie gekommen waren“ (Ebd.).



Über die Kritik der Waffen und die Waffe der Kritik

Wenn es gilt, aus Sicht der radikalen Linken Bilanz zu ziehen, dann lässt sich zunächst einmal insoweit ein Erfolg konstatieren, als es gelungen war, die in der Planung formulierte Absicht, dem traditionellen Medienbild vom gewaltbereiten Chaotenhaufen auch während der Aktion real nicht zu entsprechen, umzusetzen. Die Durchführung hat einmal mehr gezeigt, dass ein gutes Gelingen solcher Unternehmungen nicht zuletzt der Unberechenbarkeit unserer Seite zu verdanken ist. Darin lag die Stärke der ganzen Vorgehensweise. Am Ende musste nicht nur die Staatsgewalt zugeben, dass sie unter den gegebenen Umständen keine Chance hatte. Insofern war der Lustgarten ein erster Versuch und ein guter Anfang.
Der Lustgarten hat aber auch gezeigt, wie schwer es ist, gegen die Medienrandale anzukommen. Die Übermacht ihrer Deutungsgewalt vermochte das öffentliche Bild der Demonstration zu bestimmen. Und an diesem Punkt sollten selbstkritische Überlegungen einsetzen. Zunächst gilt es die Ereignisfixierung bürgerlich-kapitalistischer Medien zu begreifen. Für die weitere militante Praxis erscheint uns wichtig dass Berlin zeigt, dass nicht unsere inhaltliche Kritik, sondern nach wie vor allenfalls eine bestimmte Form der Militanz für die Medien ein Ereignis darstellt und darüber dann mehr oder weniger ausführlich berichtet wird. Dies war auch in Berlin so. Hinzu kam aber noch ein weiteres. Das eigentliche Ereignis waren nicht die Störaktionen sondern die Tatsache, dass Hunderttausende auf einer Regierungsdemo gegen die Politik der Regierung demonstrierten und auf ganz verschiedene Weise die Regierungstribüne zur Tribüne des Demonstrations-‘Volkes‘ umfunktioniert hatten.

Dass der Fehlschlag der Demoshow nicht entsprechend gewürdigt wurde, hat vielleicht nur am Rande mit den linken Störaktionen zu tun. Wären diese nicht gewesen, sie hätten es bestimmt auf eine andere Weise heruntergespielt. Doch das enthebt nicht des Problems der Vermittlung solcher Störaktionen. Denn soweit sich das noch beurteilen lässt ist es den Medien recht gut gelungen, die Wut über die Heuchelei der regierenden PolitikerInnen gegen ‚die Autonomen‘ zu lenken.

Und an diesem Punkt sollten selbstkritische Überlegungen in der radikalen Linken einsetzen. Es ist nämlich auch nachzufragen, ob es nicht auch mit dem uns eigenen Auftreten zu tun hat, dass es den Medien gelingen konnte, die eigentliche Information (‚Hände weg von Artikel 16‘ und ‚Schluss mit der rassistischen Asyldebatte‘ sowie ‚Hier demonstrieren die Biedermänner der Brandstifter‘) unter den Teppich zu kehren und das Auftreten von ‚Chaoten‘ zum zentralen Problem während der Kundgebung zu stilisieren? Zu fragen wäre also, welches unser Anteil daran war, dass die Ablenkung von den Meinungsverschiedenheiten zwischen DemonstrantInnen und Regierenden doch relativ reibungslos gelingen konnte.

Denn nicht unsere Absichten zählen, sondern das was am Ende unter dem Strich politisch herauskommt. Von daher kann die ganze Aktion nicht nur als Erfolg gewertet werden. Dabei besteht das Problem nicht so sehr darin, dass uns die Medien nicht mögen, sondern dass es ihnen immer wieder vorzüglich gelingt, einen großen Teil potentiell Verbündeter zu allererst gegen die radikale Linke zu hetzen. Es hilft alles nichts. Nicht für die Medien, aber zur möglichen Gewinnung der Sympathie der MitdemonstrantInnen wäre ein differenzierenderes Vorgehen vielleicht von Nutzen gewesen. Ob es besser hätte laufen können, darüber sinniert auch der Bericht einer autonomen Berliner Gruppe:

„Wir selbst haben beim Flugiverteilen die Erfahrung gemacht, dass keine Frontstellung uns gegenüber bestand, dass die meisten DemoteilnehmerInnen unseren Inhalten gegenüber offen waren. Regierungskritische Transparente und Forderungen nach Beibehaltung des Artikels 16 und für ein Bleiberecht für alle Flüchtlinge überwogen bei weitem. Die kleinen Blöcke der Parteien und Gewerkschaften verloren sich dagegen in der Masse. Viele hatten das vorher anders eingeschätzt. Es wäre aber noch genug Zeit gewesen, auf die Situation zu reagieren.“

Wir wissen, wer auf dieser Demo gegen Gewalt gegen die Flüchtlinge eingetreten ist, braucht noch lange keine Anti-Rassist sein. Anti-Rassismus richtet sich nicht nur gegen die Gewalt der Neo-Nazis, sondern auch gegen die nicht nur strukturelle Gewalt der Gesetze (z.B. das rassistische Ausländersondergesetz oder die Abschiebungen) und der Diskurse (Hatespeech). Das muss immer wieder in unseren Argumentationen auftauchen. Aber auch wenn wir es dabei mit ReformistInnen zu tun haben oder diese selbst Anklänge von multikulturellem Rassismus aufzuweisen haben: die erste Aufgabe ist es, die Lunte der Subversion zu legen (und die ist nur inhaltlich entfachbar). Erst dann mag auch jene Folklore ihr Recht beanspruchen, die besingt, wie ganz arg gefährlich wir sein können. Ansonsten stehen wir uns zunehmend selbst im Weg. Problematisch ist der oftmals marxistisch-leninistisch anmutende Avantgardeanspruch, der immer schon alles weiß und deshalb auf niemanden zu hören braucht. Befehlsartige Verlautbarungen erinnern an ganz andere Traditionen und sind nicht an emanzipatorischen Politikformen orientiert:

„Mit einem sensibleren Auftreten hätte vielleicht eine Chance bestanden, eine Solidarisierung einer größeren Zahl der übrigen Demo-TeilnehmerInnen zu erreichen. Eventuell hätte auch eine größere Anzahl von Leuten in unsere Sprechchöre miteingestimmt. Einzelne Eierwürfe hätten die ‚Keine-Gewalt‘-DemonstrantInnen nicht in dem Maße abgeschreckt, wie es jetzt geschehen ist, wenn stärker versucht worden wäre, mit der Masse in Kontakt zu kommen und nicht so isoliert zu agieren. Die Medien hätten wir natürlich in keinem Fall hindern können, die überwiegende Aussage der Demo in ein verwaschenes ‚Wir sind alle ausländerfreundlich‘ zu verfälschen. Aber bei den Beteiligten wäre bei einem anderen Auftreten etwas anderes angekommen als bei der jetzt vollzogenen klaren Frontstellung.“

Aber machen wir uns nichts vor, ließe sich einwenden, selbst wenn ‚die Autonomen‘ mit Wattebäuschen werfen würden, vermögen die Medien daraus jederzeit eine Aktion mit Mordabsicht zu machen. Es ist vermutlich in der Tat wenig aussichtsreich, gegen das Medienecho anschreien zu wollen. Doch wäre schon viel gewonnen, sie zu zwingen, immer unverschämter und offener lügen zu müssen.

Wir sollten unsere vorwiegende Aufgabe nicht darin sehen, immer dem verqueren Medienbild über Autonome zu entsprechen, sondern eher versuchen (wie es in Berlin ansatzweise geschehen und in Mölln sehr gut gelungen ist) dasselbe möglichst oft zu konterkarieren. Damit ließe sich offensiver die inhaltliche Differenz über die Verantwortlichen und die Ursachen des gegenwärtigen Rassismus und Nationalismus herausstellen. Angesichts des Deutungs- und Interpretationsmonopols der bürgerlichen Öffentlichkeit sollten wir uns darüber hinaus bemühen, noch besser vorbereitet und organisiert als bisher, unseren abweichenden inhaltlichen Vorstellungen Gehör zu verschaffen. Ansonsten laufen wir Gefahr, permanent selbst unser politisches Gewicht zu verkleinern, indem wir uns auf kulturelle (Tracht) wie inhaltliche (Militanz) Äußerlichkeiten reduzieren lassen. Und dann sind wir berechenbar geworden.

Damit aus radikalen Linken keine AutistInnen werden, gilt es in nächster Zeit eine Frage zu beantworten: Wie lässt sich die rassistische Übereinkunft zwischen der Mehrheit der PolitikerInnen und den bundesdeutschen StaatsbürgerInnen tendenziell aufbrechen? Mit welcher Strategie ist gegen die Hegemonie rassistischer und nationalistischer Diskurse in den Medien anzugehen und wie lassen sich die Widersprüche in den überaus heterogenen Blöcken zu unseren Gunsten zuspitzen?

Medienrandale II
 28. Juni 2000