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Präsident des Volksgerichtshofes Freisler mit Hitlerbüste im Hintergrund
Schreibtischtäter in Roben
Broschüre vom Gegeninformationsbüro 6. September 2005


Im Gebäude des Kammergerichts in der Potsdamer Straße terrorisierte der nationalsozialistische Volksgerichtshof in der Zeit vom August 1944 bis Januar 1945 die Bevölkerung vom Schreibtisch aus.

Unter anderem wurden hier die Attentäter des 20. Juli in Schauprozessen zum Tode verurteilt. Hier war es auch, wo einer der Angeklagten, Erwin von Witzleben, dem Vorsitzenden Nazi-Richter Freisler die Worte zurief: „Sie können uns dem Henker überantworten; in drei Monaten zieht das empörte und gequälte Volk Sie zur Rechenschaft und schleift Sie bei lebendigem Leib durch den Kot der Straßen.“
Der Volksgerichtshof war ein Sondergericht, das 1934 von den Nationalsozialisten gegründet wurde. Er tagte zunächst in dem heutigen Abgeordnetenhaus, später dann je nach „Bedarf“ auch an anderen Gerichten „reichsweit“.

Anlass für die Gründung waren 1934 die Urteile im Reichstagsbrandprozess, in dem der mutmaßliche Täter Marinus van der Lubbe zum Tode verurteilt wurde. Drei mitangeklagte Kommunisten wurden freigesprochen. Diese Freisprüche waren für die Nationalsozialisten nicht hinnehmbar, da es ihr erklärtes Ziel war, die kommunistische Opposition „auszumerzen“. Der Volksgerichtshof wurde dann ein von der NSDAP abhängiges Gericht und hatte die so genannte „volkshygienische“ Aufgabe, jeglichen Widerstand gegen die faschistische Diktatur zu vernichten.

Wer am Volksgerichtshof arbeitete, musste Mitglied der NSDAP sein, die Richter wurden von Hitler selbst ernannt. Verhandelt wurden hier Anklagen wegen „Landesverrats“, „Hochverrats“, wegen jeder Form von Widerstand. Schon das Abhören von so genannten Feindsendern, das Verbreiten derer Nachrichten, selbst geäußerte Zweifel an dem so genannten Endsieg führten in den Knast oder an den Galgen.

Die Urteile des Volksgerichtshofs waren durch nichts mehr anfechtbar. Sie wurden im Galopp gefällt und auch so vollstreckt. Mit Beginn des Krieges 1939 wurden am Volksgerichtshof Urteile anderer Gerichte neu aufgerollt und verhandelt, wenn sie nicht hart genug ausgefallen waren. Somit lag die letzte Entscheidungsgewalt ausschließlich beim Volksgerichtshof. Die Zahl der Todesurteile stieg entsprechend sprunghaft an. Von 1933 bis 1936 wurden elf Menschen zum Tode verurteilt, bis 1943 ergingen bereits 1662 Todesurteile, bis 1945 wurden mehr als 5200 Menschen hingerichtet.

1942 wurde Roland Freisler zum Präsidenten des Volksgerichtshofs ernannt. Er war der verbrecherischste Mörder unter der Robe, der mit brutaler Leidenschaft die Henker in Trab hielt. In Sachen Todesstrafe – zur Knebelung der Bevölkerung – hatte er die Befugnis, an allen Gerichten im so genannten deutschen Reich zu agieren. Allein von ihm wurden innerhalb von drei Jahren 2600 Todesurteile gefällt. Am 3. Februar 1945 wurde dann endlich das Gebäude und mit ihm unter anderem auch Freisler bombardiert. Das war sein Ende.


NS-Verbrecher unter bundesdeutschen Talaren

Wie in allen gesellschaftlichen Bereichen – Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Lehre – blieben nach 1945 auch die Verbrecher des Volksgerichtshofes von der so genannten Entnazifizierung verschont. 1956 versah der Bundesgerichtshof alle Angehörigen des Volksgerichtshofes mit dem Richterprivileg. Das besagt, dass niemand wegen Rechtsbeugung oder anderer Delikte verurteilt werden kann, wenn er sich an das damals geltende Gesetz gehalten hat. So wurde keiner der 570 Richter und Staatsanwälte jemals für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen. Die Ermittlungen wurden von staatswegen bis 1986 verschleppt in der Hoffnung, dass bis dahin die Mörder nicht mehr unter den Lebenden weilen. In diesem Jahr wurden die Ermittlungsverfahren alle eingestellt.

Die meisten Verbrecher des Volksgerichtshofs waren nach dem Krieg wieder in Amt und Würden: als Richter, Staatsanwälte und Anwälte. Die Witwe Freislers erhielt eine Rentenzulage mit der Begründung, dass Freisler nach dem Krieg wohl „als Rechtsanwalt oder Beamter des höheren Dienstes tätig geworden wäre“. Der Leiter der damaligen Vollstreckungsabteilung des Münchener Landgerichts zum Beispiel, Oberstaatsanwalt Dr. Walter Roemer, wirkte weiter bis 1968 als Leiter der Abteilung Öffentliches Recht im Bundesjustizministerium.

Die Kontinuität der Nazis in der Justiz erfolgte nicht nur durch die Personen, sondern auch durch die Anwendung von Gesetzen, die eigens von den Nazis verfasst wurden und durch die fortgesetzte politische Verfolgung der Opposition heute. Wahrend 1986 alle Ermittlungen gegen die Mörder unter dem Talar eingestellt wurden, wurde aber erst 1998 ein Gesetz erlassen, welches die Urteile der Nationalsozialisten und insbesondere des Volksgerichtshofs für ungültig erklärte. Bis dahin waren sie auch nach 1945 noch gültig.

1933 verfassten die Nazis das Gesetz zur so genannten Sicherheitsverwahrung, das heute noch angewendet wird. Hiernach verurteilt gibt es in der BRD zirka 400 Gefangene. Sie können selbst nach Absitzen ihrer Strafe ihr Leben lang weggesperrt bleiben, wenn ein psychologisches Gutachten eine so genannte Wiederholungstat prophezeit. Hier wird deutlich, dass die Grundlage für die Einknastung nicht Fakten sondern Meinungen sind, die meist stark durch das rassistische, biologistische Menschenbild der Nazis geprägt sind: mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten ist erblich.

Das heutige „Ausländergesetz“ hat ebenso wie die Sondergesetzgebung für „Fremdvölkische im dritten Reich“ das Menschenbild der „Herrenrasse“ zur Grundlage: Arbeitsverbot, Zwang zur Massenunterkunft, Residenzpflicht, daher Verbot den Wohnort zu verlassen, monatelange Inhaftierung in Abschiebegefängnissen, Deportationen ... Rechtlosigkeit.

Nach 1945 wurden im Bundesverfassungsgesetz das Recht und sogar die Pflicht zum Widerstand verankert, die Richter allerdings ersetzten den Begriff Widerstand kurzerhand durch „Terrorismus“ und „Widerstand gegen die Staatsgewalt“. Somit findet die Verfolgung von Opposition und Widerstand fortgesetzt statt.

Die Paragraphen 129, 129a und 129b sind die entsprechenden Sondergesetze hierfür. Sie rechtfertigen die totale Erfassung, Überwachung, Einschüchterung und Kriminalisierung von KommunistInnen, AntifaschistInnen, AnarchistInnen, KriegsgegnerInnen und so weiter. Die Kriterien für das Strafmaß und die Haftbedingungen sind Ansichtssache und willkürlich. So zum Beispiel sitzen monatelang Marco, Carsten und Daniel aus Magdeburg im Knast. Ihnen ist keine Straftat nachzuweisen, die Grundlage ihrer Verhaftung liegt einzig in der Behauptung: „Mitgliedschaft in einer Terroristischen Vereinigung“. Mehr zu dem Verfahren gegen die Magdeburger ist unter der Internetseite www.soligruppe.de abrufbar.

Wer annimmt, dass mit dem Untergang des Volksgerichtshofs auch der ihm zugrunde liegende Geist ein Ende hatte, der irrt gewaltig. Auch heute bestimmt die Staatsmacht, was Recht und Unrecht ist. Die Sondergesetze gegen so genannte psychisch Kranke, AusländerInnen und den Widerstand werden ständig ergänzt und verschärft. Die Gesetze der „Wehrgerichtsbarkeit“ liegen für den „Ernstfall“ auch wieder fertig in den Schubladen. Sie sehen vor, „Deserteure“, „Wehrkraftzersetzer“, „Hoch- und Landesverräter“, „Befehlsverweigerer“ so zu bestrafen, dass du die Möglichkeit, den nächsten Krieg zu überleben dem sicheren Tod vorziehst, mit dem du im Falle deines Widerstands dagegen bestraft wirst.


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 6. September 2005