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Einschätzung und Aufruf als PDF (156 KB)
Das letzte Wort
Daniel Winter 15. November 2005


Oder wie man einen „rechtsstaatlichen“ Prozess auch anders werten kann

Seit April dieses Jahres läuft nun meine Revisionsverhandlung vor dem zweiten Strafsenat des Oberlandesgericht Naumburg.

Sieben Monate in denen viel passiert ist und viele Geschehnisse eigentlich thematisiert werden müssten. Aus zeitlichen Gründen werde ich mich allerdings nur auf wesentliche Ereignisse beschränken, obwohl es im Sinne der Rechtsstaatlichkeit und auf Grund der politischen Notwendigkeit angebracht wäre, eine genauere Analyse vorzunehmen.

Schon zum Beginn der Verhandlung war klar erkennbar, dass sich dieser Prozess zu einer Farce entwickeln wird. Die Besetzung von Frau Marx-Leitenberger und Herrn Sternberg, die eine zweidrittel Mehrheit in diesem Strafsenat stellen und schon einmal ein Urteil in der selben Sache über mich getroffen haben, ließ und lässt nichts gutes erahnen. Diese Befürchtungen meinerseits erhärteten sich im Verlauf der Verhandlung zunehmend. Angefangen mit der Ablehnung sämtlicher Anträge der Verteidigung über Verhängung von Erzwingungshaft gegen gründlich ausgewählte Zeugen, denen eindeutig ein Aussageverweigerungsrecht zustand, bis hin zur böswilligen Prozessverschleppung um die Beugehäftlinge zu brechen.

Hier ist eine klare Linie des Vorsitzenden Richters und seiner beiden Beisitzer erkennbar, die im Gegensatz zu den Äußerungen des Vorsitzenden kein Interesse an Aufklärung erkennen lässt, sondern mit voreingenommenen Denkmustern den Prozess führt und dementsprechend wohl auch zu einem erneuten Schuldspruch führen wird.

Wie auch sonst wäre erklärbar, dass entlastende Beweismittel wie die Herbeiziehung existierenden Akten und Observationsberichte des Landes- bzw. Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht in die Beweisaufnahme eingeführt wurden?

Wie lässt sich erklären, dass womöglich entlastende Fingerspuren nicht ausgewertet wurden, entlastende DNA-Vergleiche die an einem der Tatorte gefunden worden gar nicht in der Beweisaufnahme auftauchen und Beamte ihre gerichtlichen Aussagen aus der ersten Runde des Verfahrens um hundertachtzig Grad drehen können, ohne dass so etwas Konsequenzen hat? Wie kann es sein dass Beamte des Bundeskriminalamts keine weitergehenden Aussagen machen müssen oder bewusst ihre Aussagen verweigern? Wieso hat das keine rechtlichen Konsequenzen wie die Erzwingungshaft? Sind vor Gericht nicht alle gleich zu behandeln oder gibt es vor dem Oberlandesgericht Naumburg gleiche und mehr oder weniger gleiche Menschen?

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Rolle der Bundesanwaltschaft, die wohl im Gegensatz zu mir besser auf der Anklagebank aufgehoben wäre.

Wie können sie es wagen in aller Öffentlichkeit während der Verhandlungspausen über Zeugen zu lästern und diese als unglaubwürdig hinzustellen? Was denken sie sich dabei Zeugen ihre Glaubwürdigkeit abzusprechen, weil sie sich nicht vorstellen können, das es auch Menschen gibt die auf ausbeuterischste Art und Weise auch am Wochenende, Samstag und Sonntag, arbeiten müssen? So geht es dem größten Teil der Bevölkerung da draußen, zumindest den wenigen, die sich glücklich schätzen können, überhaupt noch einen Job zu haben, um irgendwie über den Monat zu kommen.

Andererseits hat das wohl viel mit ihrer eigenen Sozialisation zu tun, Herr Dr. Hornick, Herr Heine. Als ich mit meinem Studium der Rechtswissenschaften begonnen habe, wurde uns Erstsemestern von gestandenen Professoren zugetragen, dass wir nun bessere Menschen wären und uns die Menschen auf der Strasse zunehmend fremder werden würden. Es wird im Lauf des Studiums wohl soweit führen, dass wir uns nur noch mit Juristen und Medizinern auseinandersetzen werden wollen, da das der einzige Kreis an Menschen ist, der unserer Denkweise folgen kann. Ein Trauerspiel wenn sie mich fragen, dennoch sehe ich an der Universität, wie auch hier im Gerichtssaal, wie solche Sätze Früchte tragen. Einzelkämpfermentalität, Elitentum, mangelnde Realitätsbezüge und unendliche Arroganz, begleiten ihren Weg. Ein Weg der meines Erachtens nach nur Unglück mit sich bringt.

Sie behaupteten meine Mutter wäre eine schlechte Mutter, weil sie nicht zur Polizei gegangen ist und nicht mit ihr kooperiert hat. Diese Aussage bestätigt die vorangegangenen Sätze und zeigt neben verlorengegangener Menschlichkeit auch ihren traurigen Lebensablauf als Prostituierte dieses Systems. Dabei könnte dieser Prozess ja eigentlich gut laufen und wahrscheinlich wird er ja auch in ihrem Interesse ausgehen. So wie bei anderen Prozessen an denen sie als Vertreter der Anklage im Namen der Bundesrepublik Deutschland teilgenommen haben. Ob nun gegen die türkische und kurdische Linke, die Real IRA oder auch Andrea Klump, wo man sich ja an gewissen Punkten einigen konnte. Das ist hier nicht passiert und wird in einer eventuell stattfindenden dritten Runde auch nicht passieren!

Im Gegensatz zu anderen weiß ich wo ich herkomme und das werde ich auch nie vergessen!

In ihrem Plädoyer brachten sie mal wieder die terroristische Vereinigung ins Spiel und das wohl auch nicht ohne Grund. Es wäre natürlich ein voller Erfolg für sie, geltendes Recht mit dem  Mantel der Rechtsstaatlichkeit zu unterwandern und eine Person wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu verurteilen, obwohl aus juristischer Sicht mindestens drei Personen dazu notwendig sind. Das wäre ein interessantes Novum, dass sicherlich für breite Aufmerksamkeit sorgen würde. Somit könnte sich niemand mehr da draußen sicher fühlen und es würde ihnen ermöglichen jedem Menschen das Stigma des Terroristen zu verpassen. Das sind rosige Aussichten für die Zukunft, die eine eindeutige neue innenpolitische Linie aufzeigen: Wer nicht in diesem System mitspielt wird mittels Repression passend gemacht oder auf unbestimmte Zeit weggesperrt!

Politische Kämpfe haben Ursachen, niemand zündet grundlos ein Polizeifahrzeug oder ein Arbeitsamt an. Soziale Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Ausbeutung, Rassismus, Sexismus oder Polizeigewalt sind einige Beispiele. Wie man am aktuellen Geschehen in Frankreich sieht, platzt die Bombe irgendwann ...

Was sie während des gesamten Prozessverlaufs an den Tag gelegt haben, war reine Eskalationspolitik, in dem sie ständig erneut Öl ins Feuer gossen.

Sie geben dienstliche Erklärungen ab, in denen sie sich besorgt über ihre Sicherheit äußern und drücken auf die Tränendrüse. Mein Mitgefühl haben sie und auch mein Beileid!

Sie erklärten in ihrem Plädoyer dass sie von mir als Angeklagten und meinen Sympathisanten attackiert wurden. Sie erklärten dass sie auf der Treppe im Gedränge angerempelt wurden, Kochen sie ihr Süppchen nicht etwas zu heiß? Wer soll sie und ihre fadenscheinigen Lügen eigentlich noch ernst nehmen? Herr Dr. Hornick, Sie sind kein Buback und sie werden auch nie einer sein, genauso wie ich nicht die RAF bin, auch wenn sie es gerne anders hätten.

Und so kommen wir zu meinen Solidaritätsbekundungen zu den Gefangenen aus der RAF.

Diese Soldaritätsbekundungen haben nichts mit linksextremistischen Gedankengut und schädlichen Neigungen zu tun, die sie mir ja immer wieder so gerne unterstellen. Sie zeugen einfach nur von Menschlichkeit, einem Wesenszug der in ihrem Haus schwarz-brauner Couleur leider nicht existiert. Das mein Herz links schlägt dürfte mittlerweile allgemein bekannt sein, ob es sich dabei um extremistische Bestrebungen handelt, liegt wohl im Auge des Betrachters. Antifaschismus, Antirassismus, Menschlichkeit und Gesellschaftskritik wird eine Demokratie doch wohl aushalten, sie ist meiner Meinung sogar dazu verpflichtet!

Egal wie das Urteil gegen mich aussehen wird, so wird es wohl nichts an meiner politischen Einstellung ändern. Die Gedanken sind frei und Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden!!!

Daher fordere ich die Aufhebung des Urteils gegen Marco Heinrichs, die Rückgabe des im Zuge der Ermittlungen geräumten Hauses „Ulrike“, so wie die Entschädigung aller vom Verfahren Betroffenen und deren Angehörigen, eine Entschuldigung an meine Mutti und an die erwähnten beleidigten Zeugen von den Vertretern der Bundesanwaltschaft!

Weiterhin fordere ich die Freiheit aller sozialen und revolutionären Gefangenen weltweit und somit natürlich auch die Freiheit der letzten Gefangenen aus der Roten Armee Fraktion!

„Die Geschichte wird mich frei sprechen!“ (Fidel Castro)
Für eine Gesellschaft ohne Knäste,

Daniel Winter, 15. November 2005
 15. November 2005