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Interview mit Michael Csaszkóczy
konkret 1. August 2004


Nach mehr als 20 Jahren gibt es wieder ein Berufsverbot: Wegen seiner Mitgliedschaft in der Antifaschistischen Initiative Heidelberg soll Michael Csaszkóczy nicht Lehrer werden dürfen.

Sie dürfen in Baden-Württemberg nicht Realschullehrer für Deutsch, Geschichte und Kunst werden, weil der Innenminister meint, Sie böten "nicht jederzeit Gewähr, für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten". Das ist für einen Lehramtskandidaten, der beide Staatsexamen gemacht hat, erst mal sehr ärgerlich. Aber dann – fühlt sich, wer von den Erben des Nazi-Richters Hans Filbinger so gefürchtet wird, nicht auch ein wenig stolz? Und auch ein bisschen dankbar, dass Filbingers Söhne mit Ihnen nicht mehr verfahren können wie einst ihr Übervater mit dem Matrosen Gröger?

Die Berufsverbote waren und sind eine antidemokratische Waffe. So bitter die Situation für mich persönlich auch ist: Für jemanden, der sich radikal für Demokratie eingesetzt hat, ist es natürlich politisch auch ein Zeichen dafür, dass er seine Sache gut gemacht hat, wenn eine solche Waffe gegen ihn in Stellung gebracht wird. Dass ich meine Sache allerdings so gut gemacht habe, dass an meiner Person nach zwanzig Jahren ein neuer Präzedenzfall hochgezogen wird, hätte ich selbst in Zeiten kühnster Selbstüberschätzung nicht vermutet. So krisengebeutelt ist der Kapitalismus dann doch nicht, dass er sich von einer lokalen antifaschistischen Initiative bedroht fühlen müsste. Natürlich bin ich froh, dass Kultusministerin Schavan als Parteifreundin der Herren Kiesinger und Filbinger heute an gewisse rechtsstaatliche Normen gebunden ist. Allerdings hätte vor zehn Jahren noch niemand gedacht, dass der Radikalenerlass im neuen Jahrhundert eine Renaissance erlebt – ginge es tatsächlich nach rechtsstaatlichen Maßstäben zu, dürfte das ganze Verfahren um meine Einstellung nicht stattfinden.

Zwölf Jahre lang hat der Verfassungsschutz Sie beobachtet. Da müssen – bei einem Menschen, der sich Antifaschist nennt – ja eine Menge schwerster Verfehlungen zusammengekommen sein, oder?

Die Erkenntnisse, die der Inlandsgeheimdienst da zusammengetragen hat, sind denkbar banal. Da wird zum Beispiel berichtet, dass ich mich schützend vor ein Flüchtlingsheim gestellt habe, dass ich eine Demonstration gegen die Kriegspolitik der BRD gegen Jugoslawien angemeldet habe, dass ich am Versuch beteiligt war, einen Nazi-Aufmarsch zu verhindern und – besonders bemerkenswert -, dass ich als Autor an einer historischen Dokumentation über eine Widerstandsgruppe im Nationalsozialismus beteiligt war. Für einen deutschen Geschichtslehrer scheint das eine besonders schlimme Verfehlung zu sein. Letzten Endes ging es bei dem "vertieften Einstellungsgespräch" im Oberschulamt aber um gar nichts, was ich gesagt, getan oder geschrieben haben soll, sondern einzig und allein um meine Mitgliedschaft in der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD). Insbesondere störten die Damen und Herren sich an zwei Passagen im Grundsatzpapier dieser Gruppe. In der einen heißt es, dass die AIHD der Überzeugung ist, dass sich auf parlamentarischem Wege nichts Grundlegendes an den Machtstrukturen dieser Gesellschaft ändern wird, die andere lautet: "Militanz, die sich durch angemessene Zielgerichtetheit, permanente Selbstreflexion, konsequente Abwägung und hohes Verantwortungsbewusstsein der Agierenden auszeichnet, betrachten wir als ein legitimes Mittel im Kampf um Befreiung". Ich wurde aufgefordert, mich von dem genannten Text zu distanzieren oder mich dazu zu bekennen. Dazu war ich vor einem solchen Gremium und erst recht in dieser pauschalen Form nicht bereit.

Sie wehren sich gegen die Entscheidung der Kultusministerin. Wer hilft Ihnen?

Hier in Heidelberg hat sich sehr schnell ein Solidaritätskomitee gegründet, in dem nicht nur Genossinnen und Genossen aus meinem politischen Umfeld aktiv sind, sondern auch Mitglieder der Roten Hilfe, ehemalige Berufsverbotsopfer aus den 70er Jahren und Menschen, die sich immer noch als Linksliberale bezeichnen würden. Die GEW hat sich nach anfänglicher Skepsis erfreulich eindeutig für mich positioniert und gewährt mir für den Prozess, der sich ja noch sehr lange hinziehen kann, Rechtsschutz. Auch das Komitee für Grundrechte und Demokratie ist mittlerweile aktiv geworden.

Irgendwann werden Sie gewinnen, spätestens beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wo ja auch eine Lehrerin, die in den 70ern Berufsverbot erhalten hatte, zwanzig Jahre später Recht bekam. Vielleicht kriegen Sie dann ja den Verdienstausfall erstattet.

Ganz so zuversichtlich bin ich da nicht. Zum einen betraf die angesprochene Entscheidung von 1995 eine bereits auf Lebenszeit verbeamtete Lehrerin, bei mir geht es um die Verweigerung der Einstellung – juristisch könnte das einen Unterschied machen. Zum zweiten hat sich auch das Klima, in dem der EGMR seine Urteile fällt, gewandelt. In den vergangenen zehn Jahren hat die Bedeutung der Bürger- und Menschenrechte nicht gerade zu- und die Machtposition Deutschlands in Europa nicht gerade abgenommen. Die Frage, ob die BRD mit der Wiederbelebung der Berufsverbote durchkommt, ist weniger eine juristische als eine politische.

Die Frage ist schon vor dreißig Jahren heftig diskutiert worden und stellt sich jetzt aufs neue: Warum ein Mensch einem Staat, den er so wenig mag wie der ihn, als Beamter, das heißt: Staatsdiener dienen will?

Ich will Lehrer werden, nicht um Beamter zu sein, sondern weil ich gerne Wissen und Fähigkeiten vermittle und gerne mit Jugendlichen arbeite. Ich habe nicht die geringste Lust, in einen Wettbewerb um die staatsfrömmste Gesinnung einzutreten, aber ich finde es legitim zu konstatieren, dass immer, wenn in der BRD zentrale Verfassungsgrundsätze – etwa das Asylrecht oder das Verbot eines Angriffskrieges – zur Disposition standen, radikale Linke es waren, die die im Grundgesetz festgeschriebenen Bürger- und Menschenrechte, von denen einige in der Praxis ohnehin schon bis zur Unkenntlichkeit entstellt sind, verteidigten. Dahinter darf es kein Zurück geben.
 1. August 2004