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Einhellig: der Ruf nach Sanktionen
Sophia Deeg www.globalresistance.de 22. Oktober 2004


Das europäische Sozialforum, das Mitte Oktober in London stattfand und an dem auch oppositionelle Israelis teilnahmen, forderte Sanktionen gegen Israel. Sophia Deeg dokumentiert die Rede des ehemaligen Luftwaffenoffiziers Jonathan Shapira:
 

Israelis und Palästinenser auf dem
Europäischen Sozialforum


Auf dem Europäischen Sozialforum in London herrschte unter Europäern, Israelis und Palästinensern, die sich für einen gerechten Frieden einsetzen, Einigkeit: Gegen die systematischen Verletzungen von internationalem Recht durch Israel helfen nur Sanktionen, wie einst gegen das Apartheids-Regime in Südafrika.

Wie zuvor in Florenz (2002) und in Paris (2003), so war auch beim Londoner Europäischen Sozialforum (14. bis 18. Oktober 2004) Palästina eines der zentralen Themen von zahlreichen Workshops, Seminaren und Plenen. Hier wie bei den informellen Arbeitstreffen von AktivistInnen des europaweiten sowie israelisch-palästinensischen Netzwerks gegen die Besatzung herrschte eine geradezu „langweilige“ Einigkeit (wie es eine verblüffte Beobachterin ausdrückte). Einhellig forderten alle – Israelis, Palästinenser und Europäer – Sanktionen gegen Israel, da die israelische Regierung anders nicht zu bewegen sei, endlich internationales Recht zu respektieren. Immer wieder – und nicht nur durch den südafrikanischen Dichter und Aktivisten Dennis Brutus – wurde an die Anti-Apartheidsbewegung erinnert, die erfolgreich auf Boykott und Sanktionen gesetzt hatte.

In diesem Sinne sprach auch der israelische Luftwaffenoffizier Jonathan Shapira, einer der Piloten, die vor einem Jahr in einem offenen Brief ihre Weigerung kundgetan hatten, weiterhin palästinensische Wohngebiete zu bombardieren. Er forderte die Europäer auf, endlich Ernst zu machen mit wirksamen Maßnahmen gegen die Regierung seines Landes.

Hier in Auszügen seine Rede, die an den Beitrag von Jamal Juma’a anschloss, des palästinensischen Koordinators der Kampagne „Stop the Wall“. Shapira bedankte sich bei Jama’a und versicherte, mit allem, was dieser gesagt hatte, einverstanden zu sein. Er fuhr fort:

Ich bin kein großer Redner und mein Englisch ist nicht besonders gut, aber es reicht, um das zu sagen, worauf es heute ankommt: NO!

Als Offizier der Luftwaffe habe ich zehn Jahre lang aktiv an der Besatzung teilgenommen – viel zu lange. (...) Während hunderter Flüge über den besetzten Gebieten sah ich die Landschaft der Apartheid: das Grau und die Enge und Bedrängtheit der Flüchtlingslager und das saftige Grün der hübschen Siedlungen mit ihren roten Dächern – die Wohnungen des auserwählten Volkes. Und obwohl die Ungerechtigkeit zum Himmel schrie, begriff ich nur langsam und schwerfällig.

Ich erinnere mich, dass ich als Kind Werte wie Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit vermittelt bekam und das, während gleichzeitig mein Land ein Volk beherrschte, das keinerlei Rechte hatte, keine Gleichheit und keine Freiheit genoss. Und ich erinnere mich auch an den Unterricht in der Air Force, wo man uns darüber aufklärte, dass ein Soldat verpflichtet ist, den Gehorsam zu verweigern, sobald ein Befehl eindeutig unmoralisch ist. Damals hätte ich mir nicht vorstellen können, dass solche illegalen Befehle alltägliche Routine werden würden. Jeden Tag steigen F-16 und Apache-Hubschrauber auf, um Häuser und Autos in den besetzten Gebieten unter Beschuss zu nehmen, unschuldige Menschen kommen dabei zu Tode. Man nennt das „gezielte Tötungen“. Ich nenne es Kriegsverbrechen. (...)

Der „Brief der Piloten“, den wir vor einem Jahr veröffentlicht haben, ist von einigen der anerkanntesten Kampfpiloten unterschrieben worden. Am Tag der Veröffentlichung war das ganze Land in heller Aufregung. Manche nannten uns Verräter, andere sagten, dies sei das erste Mal seit Jahren, dass sie einen Hoffnungsschimmer sähen. Wir bekommen viel Zuspruch, auch von Leuten aus der Armee, von Offizieren und Soldaten, die es nicht wagen selber zu verweigern. Wir sind nur die Spitze des Eisbergs, daher die nach wie vor heftigen Reaktionen auf unsere Erklärung. Übrigens zeigen Umfragen, dass 40 Prozent der israelischen Oberschüler die Verweigerer unterstützen. Man schätzt dass es zirka 1400 Verweigerer gibt, die sich in unterschiedlichen Gruppen organisieren. Doch die tatsächlichen Zahlen sind noch weit höher.

Es gibt stille Möglichkeiten sich zu verweigern. Diese wählen Offiziere und Soldaten, die nicht so weit gehen können oder wollen, dass sie ins Gefängnis kommen oder ihre berufliche und soziale Absicherung in Israel aufs Spiel setzen. Auch für Zivilisten gibt es vielfältige Möglichkeiten, und diese Idee versuchen wir zu verbreiten. So kann beispielsweise ein Angestellter der Post sich weigern die Post an die Siedlungen auszuliefern. (...)

Viele Israelis sehen den Zusammenhang zwischen dem Verbrechen der Selbstmordattentate in Bussen und Restaurants und dem unausgesetzten Verbrechen der Besatzung nicht. Wir versuchen, uns so laut wir können zu artikulieren und die israelische Gesellschaft aufzurütteln. (...) Wir sind überzeugt, dass wir zum Kampf gegen die Besatzung und zum Kampf gegen die Regierung verpflichtet sind, den Palästinensern gegenüber und den Juden und Arabern der nächsten Generation gegenüber, die in diesem biblischen Land leben. Doch ich möchte euch allen hier Folgendes sagen:

Macht euch bitte nicht zu große Hoffnungen auf Grund dessen, was ich euch erzählt habe oder was ich repräsentiere. Setzt keine großen Hoffnungen in die tapferen jungen Leute, die den Mut haben, von der Schulbank weg ins Gefängnis zu gehen, weil sie den Dienst in der Besatzungsarmee verweigern. (...) Und natürlich: Macht euch keinerlei Hoffnungen auf Grund von Sharons Ankündigungen eines Rückzugs aus Gaza.

Ich denke tatsächlich, dass wir allmählich noch mehr Menschen gewinnen können, die öffentlich ihre Verweigerung kundtun und auf diese Weise nach und nach eine Veränderung in der israelischen Gesellschaft einleiten. Aber wir hätten das schon vor Jahren tun müssen. Jetzt sind wir in einer Situation, in der wir alle, Palästinenser und Israelis, am Rande eines Abgrunds stehen. Die Zeit wird knapp. Deshalb setze ich heute alle Hoffnungen auf euch. Während wir weiterhin die Verweigerungsbewegung zu stärken suchen, müsst ihr hier in Europa Druck auf eure Regierungen ausüben, damit sie wiederum unsere Regierung unter Druck setzen, damit diese endlich anfängt, internationales Recht zu respektieren. Um mich ganz klar auszudrücken: Als Israeli, der mit einer Hoffnung auf die Zukunft in seinem Land leben möchte, und als Mensch, der sich der humanitären Katastrophe in den besetzten Gebieten bewusst ist, fordere ich internationale Sanktionen gegen Israel.


Die Erklärung der 27 Verweigerer
„Zivilcourage in Uniform löst einen Sturm der Entrüstung aus“
 22. Oktober 2004