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Monopoly in Kreuzberg
Thomas Heubner junge Welt 1. Juli 2004


Der Verkauf landeseigener Wohnungsbaugesellschaften greift nicht nur in Berlin um sich. Immer mehr Betroffene setzen sich zur Wehr

Als sie im Frühjahr schwarze Tücher an Fenster, Bäume und Laternen rund um die Waldemar- und Adalbertstraße hängten, wurden die Akteure von vielen mitleidig belächelt, als „Spinner und Chaoten“ abgetan oder gar nicht erst beachtet. Doch mittlerweile schlägt der Bürgerprotest gegen die Privatisierungsorgie, die derzeit im einstigen Sanierungsgebiet SO 36 tobt, hohe Wellen, die mittlerweile bereits über die Grenzen Kreuzbergs und sogar der Bundeshauptstadt hinausschwappen. Spätestens nachdem der Berliner Senat den Verkauf der größten städtischen Wohnungsbaugesellschaft GSW beschlossen hat, horcht die breitere Öffentlichkeit auf. Denn die GSW mit ihren 65 000 Wohnungen, inklusive der auf ihnen lastenden 1,7 Milliarden Euro Schulden, soll für 405 Millionen Euro an ein US-amerikanisches Konsortium um die Investmentgesellschaft Cerberus veräußert werden (hinter dieser steht Goldman Sachs, die drittgrößte Investmentbank der Welt mit Hauptsitz in New York). Cerberus ist in der griechischen Mythologie ein mehrköpfiger Höllenhund, der den Eingang zum Hades, zur Unterwelt bewacht. Ein unheilvolles Omen?


Frust hinter sanierten Fassaden

Zeichen setzt jedenfalls auch die Wohnbaugesellschaft GSG in der Waldemarstraße. „Wir schaffen Raum!“ verkündet sie mit weißer Schrift auf blauem Werbebanner. „Leider wissen wir nicht, ob wir das als Angebot oder Drohung zu verstehen haben“, meint Thomas Krüger von der Betroffenengemeinschaft Waldekiez. „Sicher hingegen ist der Spekulationsdruck, dass einige scharf auf unseren geilen Kiez sind und sich hier was unter die Nägel reißen wollen.“ In der Tat wurden in dem Viertel hinter dem Kottbusser Tor von den bisherigen Sanierungsträgern bereits etwa 50 Wohnungen an Privateigentümer verkauft. Viele der Mieter haben nun Angst, dass ihre Mieten rasant in die Höhe schießen oder dass sie gar durch besser betuchte Neuansiedler verdrängt werden.

Zeitgleich ein ähnliches Szenario im Kreuzberger Chamisso-Kiez im alten SW 61. Die GEWOBAG, der hier die Hälfte der Häuser gehörte, nimmt den Privatisierungsauftrag des Senats ernst. „Platz da! Modern wohnen im Kiez“, frohlockt ein Makler im Internet. Derweil gärt die Wut hinter den schick sanierten Fassaden in der Friesen- oder Fidicinstraße.

Auch Heinz Kleemann, alteingesessener Kiezbewohner und Aktivist im Mieterrat, ist sauer auf Senat und GEWOBAG. Sie hatte sich vor zwei Jahren verpflichtet, Häuser aus dem eigenen unsanierten Bestand an interessierte Altmieter zu verkaufen. Aber nur vier Objekte wurden dann tatsächlich an Mieter und an eine Genossenschaft veräußert. Da es keinen Milieuschutz gibt, treibt zudem die Luxussanierung seltsame Blüten: extra Außenaufzüge für eine Dachgeschoßwohnung, neue Balkone an Nordfassaden der Häuser, Videokameras, damit die neuen Bewohner in ihrer Kuschelecke Big Brother spielen können. In der Willibald-Alexis-Straße wurde eine Vier-Zimmer-Eigentumswohnung für eine halbe Million Euro verkauft – ein Vielfaches von dem, was ein mehrstöckiges Fertighaus kostet. „Seit der Umwandlungswelle Ende der 90er sind mehr Mieter aus dem Viertel weggezogen als in den ganzen Jahren der Sanierung“, stellt Kleemann nüchtern fest. „Die meisten davon nicht aus freien Stücken.“

Die Verkaufswut der landeseigenen Wohnbaugesellschaften kommt nicht aus heiterem Himmel. Spätestens seit Margaret Thatcher eisern gegen den Sozialstaat in Europa zu Felde zog, haben Neoliberale auch in Deutschland neben Strom-, Wasser- und Gasversorgung oder Abfallwirtschaft den Wohnungsbau in ein gewinnträchtiges Terrain verwandelt. Agitatorisch verkünden sie, nur über den Markt könne Wohnraum ökonomisch effizient reguliert werden. Sie propagieren die Vorzüge von Eigenheim und Wohneigentum und verkaufen gern an eingeschüchterte bisherige Mieter. Während solche „Angstkäufe“ zur Verwertungsstrategie der Privatisierer gehören, entziehen sie sich selbst weitgehend jeder gesellschaftlichen oder politischen Kontrolle. Umgekehrt forderte aber zum Beispiel die Industrie- und Handelskammer (IHK) Anfang diesen Jahres den Berliner Senat auf, sich schnellstmöglich von allen städtischen Wohnungsbaugesellschaften zu trennen. Durch deren subventionierte Mieten würde der Markt nur verzerrt, außerdem sei es nicht Aufgabe der öffentlichen Hand, die gesamte Bevölkerung mit staatlichem Wohnraum zu versorgen.


Endspurt beim Schlussverkauf

Für Immobilienmakler ist der Schlussverkauf in Kreuzberg besonders lukrativ, weil sich der Bezirk seit nunmehr 15 Jahren nicht mehr im Mauerschatten befindet, sondern in unmittelbarer Nachbarschaft zur neuen Mitte der Reichen und Einflussreichen. Nicht zuletzt sind Kieze wie in SO  36 oder am Chamissoplatz attraktiv geworden, weil im Zuge von Instandbesetzungen in den 1970ern und „behutsamer Stadterneuerung“ beträchtliche öffentliche Mittel in Immobilien und Infrastruktur flossen und die Bewohner in Eigeninitiative ein gut funktionierendes Netz an sozialen und kulturellen Einrichtungen schufen. Nun haben Kommune und Bürger ihre Schuldigkeit getan. Besagte Kieze sind seit 2002 beziehungsweise 2003 „aus der Sanierung entlassen“. Die Schnäppchenjagd auf dem Wohnimmobilienmarkt kann in die Endrunde gehen.

Angeblich will der Berliner Senat die leergewirtschaftete Landeskasse durch die Veräußerung öffentlicher Güter und Dienstleistungen auffüllen. Dass die möglichen Erlöse sofort wieder im abgrundtiefen schwarzen 53-Milliarden-Schuldenloch versickern, hört allerdings niemand gerne. „Die Hausverkäufe aller sieben Wohnbaugesellschaften zum Auffüllen des Stadtsäckels nutzen zu wollen, ist einfach lächerlich“, meint Michail Nelken, der für die PDS im Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr des Berliner Abgeordnetenhauses sitzt. „Die Verkäufe sollen vor allem die Wohnbaugesellschaften mit ihren zehn Milliarden Euro Kreditverpflichtungen gegenüber den Banken retten.“


Geschäftsgeheimnis

Szenenwechsel, Otto-Suhr-Siedlung an der südlichen Oranienstraße. Hier ist die BEWOGE fleißig am Verkaufen und veräußerte bereits rund 1000 Wohnungen aus dem einst öffentlich geförderten Wohnungsbau an die apellas Property Management GmbH. Während einer Mieterversammlung Anfang Mai im überfüllten AWO-Café ist der Unmut der Anwesenden nicht zu überhören. Ein Großteil von ihnen ist über 60, 70 Jahre alt und wohnt drei oder vier Jahrzehnte in den Altneubauten aus den 1960ern, viele Mieter sind Ausländer. Eine über 80jährige Frau, die seit 1966 hier lebt, beklagt sich darüber, dass ihre jüngste Mieterhöhung um fünf Euro nicht wie die Jahre zuvor automatisch von ihrem Konto abgebucht wurde, sondern ohne vorherigen Mahnbescheid des Verwalters ihr nun schon der dritte Klagebrief vom Amtsgericht ins Haus flatterte. Ein neuer Stil im Umgang mit alten Mietern?

Wolfgang Oehme, Geschäftsführer bei BEWOGE und WBM, beteuert das Gegenteil und schließt sowohl Luxussanierung als auch Kündigung wegen „Eigenbedarfs“ oder zum „Zweck der wirtschaftlichen Verwertung“ aus. Er rühmt das neue Firmenkonstrukt IHZ GmbH, das BEWOGE, WBF, die WBM-Gruppe und die WBMI Real Estate AG unter einem Dach vereint. Allein letztere habe von 1999 bis 2002 ihren Gewinn (vor Steuern) von 2,7 auf 9,8 Millionen Euro steigern können. Für sein eigenes Unternehmen jedoch meint Herr Oehme, es sei zwar nicht pleite, „aber uns geht’s auch nicht richtig prickelnd gut“. Deshalb könne man die erforderlichen Investitionen in der Suhr-Siedlung „nicht mehr alleine stemmen“ und müsse Teile des geschlossenen Immobilienbestandes verkaufen. Der Verkaufspreis einer Wohnung bleibt freilich Geschäftsgeheimnis.

Über Geld mag auch Ulrich Weber, geschäftsführender Gesellschafter von apellas, nicht reden. Der Mann im gepflegten Business-Look spricht über Wohnungsportfolios, Anlageobjekte und darüber, dass sein Unternehmen kein gefräßiger Immobilienhai sei. „Niemand muss Angst haben, dass wir ihn als Mieter nicht mehr haben wollen.“ „Klar, die wollen nur unser Bestes“, murmelt halblaut ein Zuhörer, „doch das bekommen sie nicht.“ Ein anderer: „Denen geht’s nur um Investitionen, nicht um die Leute, die hier wohnen.“ Und dann ruft er beim Hinausgehen: „Wir sind das Volk!“ Der apellas-Mann bleibt freundlich und erklärt: „Niemand kann Ihnen sagen, wie die Miete in fünf oder zehn Jahren sein wird. Wir halten uns an den Mietspiegel, der allerdings steigt.“

Stefan Zackenfels, für die Kreuzberger SPD im Abgeordnetenhaus, moderiert die Veranstaltung, zwischen allen Parteien stehend, sachkundig. Er betrachtet das Management bei den städtischen Wohnbaugesellschaften durchaus kritisch und will den Glauben nicht aufgegeben, „dass die öffentliche Hand ebenso zielgerichtet, kostengünstig und freundlich sein kann wie die private“.


Haltedauer und Rendite

Während gegenüber der Öffentlichkeit die wirklichen Unternehmensziele verschleiert werden, spricht man untereinander Klartext. So plaudert Ulrich Weber in der Zeitschrift Performance der Berliner Effektenbank: „Viele Gebietskörperschaften, von kleinen Kommunen bis zum Bund, versuchen, ihre Immobilienbestände zu verwerten. Das Angebot ist deshalb groß wie lange nicht. Es kommt aber darauf an, Bestände mit großem Entwicklungspotenzial zu identifizieren, die nur auf einen kapitalkräftigen Investor warten, der sie zum Blühen bringt.“

Glänzende Profite werden auch in so genannten Emissionsprospekten in Aussicht gestellt. Dort beschwören Immobilien-Insider, dass die „Objekte ... nach Ankauf möglichst schnell von ihrer Rentabilität verbessert ... und ... mit Gewinn verkauft werden“ sollen. „Angestrebt ist eine Haltedauer von drei bis sieben Jahren.“ Natürlich werden vom Käufer bzw. Projektentwickler „keine Baurisiken ... eingegangen“. Und weiter: „Objekte sollen eine Anfangsrendite von mindestens 8,7 Prozent (das 11,5fache) der Jahresnettomiete haben. Ausnahmen können dann gemacht werden, wenn aufgrund einer Analyse eine Mietsteigerung von 15 Prozent möglich ist. Dann darf der Kaufpreis inklusive aller Instandhaltungs-/Umbaumaßnahmen etc. max. das 13fache der Jahresnettomiete betragen. Dies würde einer Anfangsmietrendite von 8,90 Prozent entsprechen.“ [1]

Nüchtern wird andernorts festgestellt, dass in den vergangenen Jahren die Spitzenmieten in westeuropäischen Großstädten gefallen, aber die Durchschnittsmieten beispielsweise in München oder Berlin konstant geblieben sind. Große Hoffnung setzen Investoren dagegen auf die Immobilienmärkte in den neuen EU-Beitrittsländern wie Ungarn, Tschechien und Polen, wo es noch „gesundes Mietpreiswachstum“ gäbe. Logisch. Während für Spitzenlagen in Frankfurt a.M. eine durchschnittliche Rendite von 5,25, in Berlin von 5,75 und in München von 5,0 Prozent erwartet werden kann, rechnet man in Budapest mit 8,5 Prozent. [2]

Selbstverständlich haben aber nicht nur die Anleger, sondern auch das Management großes Interesse am wirtschaftlichen Erfolg: „Durch eine hohe Gewinnbeteiligung nach Erreichen einer rechnerischen Mindestverzinsung von acht Prozent p.a. des gebundenen Kapitals ... erhält der Initiator 50 Prozent aller weiteren Gewinne“, heißt es in dem bereits zitierten Emissionsprospekt.

Ähnlich kalkulierte schon vor Jahren Rainer Behne als Chef der Deutschen Real Estate AG aus Hamburg. In Deutschland zahle sein Unternehmen „für ein Laden- oder Büroobjekt nicht mehr als das 12- bis 14,5fache der Jahresmiete. Das entspricht einer Anfangsrendite zwischen sieben und 8,5 Prozent“. In Tschechien, wo man eine „Aktiengesellschaft für Investitionen“ gründen wollte, sei dagegen eine Rendite von circa zwölf Prozent zu erzielen. „Die erste Investition wird eine Shopping Mall in Prag sein.“ In einem Interview mit dem Manager-Magazin gab Behne freimütig zu, dass er nicht viel von der traditionellen deutschen Mentalität im Immobiliengeschäft – kaufen und vererben – hält: „Ich bin da weitaus amerikanischer geprägt. Unser Geschäft ist es, einen optimalen Ertrag für unsere Aktionäre zu generieren. Dazu gehört auch, eine Immobilie, die auf dem Höhepunkt ihrer Rendite angelangt ist, zu veräußern. Und dazu sind wir ohne weiteres bereit.“ Und weil Aktionäre ihre Dividende voll versteuern müssen, Fondszeichner aber zum Teil steuerfreie Ausschüttungen erhalten, ist es für ihn „nicht unbedingt sinnvoll, hohe Dividenden zu zahlen. Viel interessanter ist es für den Aktionär, an der Wertsteigerung der Gesellschaft zu partizipieren, etwa durch Kurssteigerungen oder die Ausgabe von Gratisaktien. Die kann der Anleger steuerfrei realisieren.“ Deshalb lobt Behne die Bundesregierung aus SPD und Grünen auch über den grünen Klee, die „alles dafür getan (hat), die Attraktivität der Immobilienaktie zu erhöhen, indem sie die Direktanlage uninteressanter macht.“ [3]

Ironie der Geschichte: Herr Behne ist unlängst als Vorstandschef des Mutterkonzerns AGIV Real Estate zurückgetreten. Sein Unternehmen muss derzeit einen „akuten Liquiditätsengpass“ von etwa 20 Millionen Euro überwinden; dessen Aktienkurse sind unterdessen in den Keller gegangen. Der Aufsichtsratsvorsitzende der AGIV, Günter Rexrodt von der FDP und Bundesminister a.D., hält derweil unverdrossen durch.


Aasgeierfonds

Solche Sorgen plagen Ulrich Weber nicht. Denn dank der amerikanischen Mutterfirma Soros Real Estate Investors CV, soll die apellas über ein potentielles Kapital von einer Milliarde Dollar verfügen. Hinter den Sanierern im Kreuzberger Kiez steht also kein Geringerer als der Globalplayer George Soros, der mit Finanzspekulationen ein Milliardenvermögen scheffelte und dabei ganze Währungssysteme ins Wanken brachte.

Soros, apellas, Cerberus, Lone Star Fund & Co. hocken freilich nicht nur beim Run auf Berliner Wohnbaugesellschaften in den Startlöchern. Die Finanzjongleure, die am liebsten im Verborgenen auf Schnäppchenjagd gehen, sind in ganz Deutschland, besonders in den Ballungszentren, auf Einkaufstour. Schließlich sind Wohnungen der bedeutendste „Vermögenswert“: Die Wohngebäude in der Bundesrepublik stellen einen Wert von rund 3,2 Billionen Euro dar, davon besitzen die öffentliche Hand bzw. der „Non Profit-Sektor“ (Vereine, Verbände u.a.) 0,8 bis eine Billion Euro. Von den knapp 40 Millionen Wohneinheiten in Deutschland befinden sich rund 20 Prozent in der Hand institutioneller Eigentümer (öffentliche Hand, Genossenschaften).

Je größer der Verkaufsdruck für die klamme öffentliche Hand ist und je mehr Wohnungen auf den Markt geworfen werden, desto tiefer fallen die Preise und desto höher ist dann bei späterer „Verwertung“ die Eigenkapitalrendite. Deshalb werden solche Firmengebilde wie die oben genannten branchenintern „Aasgeierfonds“ genannt, weil sie notleidenden Unternehmen zunächst „selbstlos“ unter die Arme greifen, um sie dann restlos zu vertilgen. So richtig rentabel sind für sie allerdings erst die Big Deals, wie etwa der anstehende Verkauf der GSW oder der Verkauf einiger tausend Plattenbauwohnungen in Berlin-Hellersdorf an den Lone Star Fund. Appetit auf Grundbesitz in der Hauptstadt verspüren auch die Viterra AG aus Essen sowie die Hamburger RSE. In Nordrhein-Westfalen soll die landeseigene LEG verkauft werden. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) will ihre Bestände an die US-Beteiligungsgesellschaft Fortress veräußern. Bei diesem Geschäft hat als Privatisierer übrigens Florian Gerster seine Hände im Spiel, bis Anfang des Jahres noch Chef der Bundesagentur für Arbeit. In Köln sollte 2003 der Verkauf der Wohnungsgesellschaft GAG/Grubo für 420 Millionen Euro an die Deutsche Annington (Terrafirma) über die Bühne gehen. Das ist allerdings vorerst am politischen Widerstand gescheitert, an dem schließlich sogar die Koalition aus CDU und FDP im Rathaus zerbrach.


Ohr, Auge und Faust des Chefs

Von Widerstand war Mitte Mai auch im Kreuzberger Statthaus Böcklerpark die Rede, in das die Waldekiez-Leute Vertreter von Abgeordnetenhaus, Senat, Bezirksamt und Wohnungsbaugesellschaften zu einer Podiumsdiskussion eingeladen hatten.

„Ich habe mir doch vor 25 Jahren nicht den Schädel einschlagen lassen, damit mir heute die Wohnung unterm Arsch weggerissen wird!“, empörte sich eine Exhausbesetzerin. Der anwesende Baustadtrat Franz Schulz (Grüne) verstand sie gut: „Wenn die Tinte unterm Kaufvertrag trocken ist, kümmern sich die neuen Besitzer nicht mehr um die alten Mieter.“ Wenn Spekulanten sich als solche outen, müsse der Mieterschutz verstärkt werden.

Betroffene berichteten, was sie beim Privatisierungsmonopoly erlebten: von Räumungsklagen, vom kleinen Garten in einem Hof in der Adalbertstraße, wo der Hausmeister die von den Mietern liebevoll gepflanzten Bäume und Sträucher mutwillig zerstörte. Oder von Herrn N. aus der Waldemarstraße, den der neue Hausbesitzer als „Bauleiter“ eingestellt hat, der sich als „Ohr, Auge und Faust“ seines Chefs bezeichnet und sich entsprechend benimmt: Herr N. leuchtete nachts mit Scheinwerfern in die Mietwohnungen, hantierte am Wochenende mit der Kreissäge, bedrohte Mieter handgreiflich, randalierte derart, dass er schließlich sogar von der Polizei in Handschellen abgeführt werden musste. Gleichwohl konnte der Rausschmeißer Erfolge verbuchen: Mehrere Mieter sind bereits „freiwillig“ aus dem Haus ausgezogen.

Das kommt für viele andere nicht in Frage. Darum haben sich die Leidensgenossen in der Betroffenengemeinschaft Waldekiez verbündet. „Özelle tirme kiezimizi bozuyor! Privatisierung zerstört unseren Kiez!“ warnen die Plakate an den Häuserwänden auf Türkisch und Deutsch. Nicht ohne Erfolg. Viele der ansonsten eingeschüchterten ausländischen Mieter haben sich dem Protest angeschlossen. Für die meisten Betroffenen liegen die Kriterien, nach denen wann und wie Häuser verkauft werden, völlig im dunklen. Sie befürchten, dass die Mietobergrenzen schleichend hochgeschoben werden und sind entzürnt ob der Praktiken, dass die Wohnungsbaugesellschaft in einem Schreiben den Bewohnern lediglich zwei Wochen Zeit einräumte, ihr Kaufinteresse zu bekunden. Und das, nachdem die Genossenschaftsförderung ebenfalls gekippt wurde. Und man ist empört darüber, dass die Berliner Stadtoberen bislang nicht die Möglichkeit nutzten, die Kündigungssperrfrist bei Eigenbedarf von drei auf zehn Jahre zu erhöhen. Deadline für eine entsprechende Rechtsverordnung ist der 31. August 2004.

Die Forderungen der Betroffenengemeinschaft sind deshalb klar: Wahrnehmung der Fürsorgepflicht der öffentlichen Hand, sofortiger Verkaufsstopp sowie ein den neuen Verhältnissen angepasster Milieuschutz. Damit die Sache Hand und Fuß bekommt, haben die im Böcklerpark Versammelten beschlossen, eine Arbeitsgruppe aller Beteiligten bilden, die sich um die Mieterberatung und um eine sozialverträgliche Zukunftsgestaltung im Kiez kümmert. Inzwischen hat diese Gruppe schon einmal getagt. Noch sind beim Kreuzberger Monopoly nicht alle Messen gesungen – der Widerstand jedenfalls wächst.


Fussnoten:

  1. ZBI Zentral Boden Immobilien AG & Co., Erste Professional Immobilien Emissionsprospekt vom April 2003 [back]
  2. Rainer Zitelmann, Immobilien-News vom 12. Mai 2003 [back]
  3. Manager-Magazin Nr. 7/1999 [back]
 1. Juli 2004