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Zur 16 Uhr Demonstration am 1. Mai 2002 ...
Gegeninformationsbüros 11. April 2002


Eine Stellungnahme des Gegeninformationsbüros

„Denk Mai Neu!“ ist keine eigentliche Erfindung oder spektakuläre Idee des Personenbündnisses oder von Herrn Grottian. Es ist ein Interventionsprojekt und es steht in einer Reihe diverser zivilgesellschaftlicher Konfliktlösungsstrategien: Denn Krieg bedeutet de fakto, daß sich die Widersprüche im Inneren zuspitzen. Für eine dauerhafte Zustimmung sind auch dauerhafte Modelle, die die permanente Gewalt durch Krieg nach Innen deeskalieren bzw. verhandelbar machen, notwendig. Denn immer noch wird um die Zustimmung zum Krieg, um den Konsens im Inneren gerungen.


Zum Stand der Dinge

Als das Personenbündnis mit seinem „Denk Mai Neu!“-Konzept auf den Plan trat, bezog sich die Kritik vieler zunächst auf die Vorgehensweise wie z.B. die flächendeckenden Anmeldungen und das vorgesetzte Konzept, mit dem sie vielen vor den Kopf geschlagen haben und berechtigten Widerspruch dagegen auslösten. Die Verwirrung über das Konzept ist besonders groß, weil der Vorschlag „Denk Mai Neu!“ oder „Kreuzberg Bullenfrei!“ scheinbar aus den eigenen Reihen oder doch zumindest aus den Reihen wohlwollender reformistischer Kreise zu kommen schien.

Es wurde sich in der darauffolgenden kritischen Auseinandersetzung jedoch lediglich auf die Schachzüge des Personenbündnisses konzentriert. Nur logisch, daß durch das Zurücknehmen der Anmeldung einiger Bühnen große Verunsicherung entstand, und alle damit beschäftigt waren und sind, die Bedeutung dieses Schachzuges zu erklären bzw. zu bewerten. Doch die Kritik, die zur 16 Uhr Demo führte, ist viel grundsätzlicher. Wir sind mit dieser Kritk nicht offensiv umgegangen, was nicht zur Klärung beigetragen hat und unser Vorgehen interpretierbar machte.

Wenn wir uns also nicht länger in dem WIE (d.h., wie ist das Personenbündnis vorgegangen) verzetteln wollen, müssen wir die Frage nach dem WAS (was ist und was will das Personenbündnis mit dem Konzept „Denk Mai Neu!“) aufwerfen. Denn das WIE ist letztlich nur ein Ausdruck dessen, WAS das Projekt ist und will: ein zivilgesellschaftliches Interventionsprojekt von außen. Das dazugehörige Außen ist nicht im Irgendwo. Es ist angekoppelt an eine bestimmte Vorstellung von Staat, an eine bürgerliche Definition von Gesellschaft.


„Denk Mai Neu“ ist keine spektakuläre Idee

Dahinter steckt eine vermeindliche „Utopie“ von Gesellschaft, von ziviler Konfliktlösung innerhalb der Gesellschaft, die keine eigentliche Erfindung oder spektakuläre Idee des Personenbündnisses oder von Herrn Grottian ist. Es wird lediglich auf das zurückgegriffen, was schon lange in der Diskussion ist und als Strategie angewandt wird.

Die Regierenden/Kapitalisten wissen, daß sich die Widersrpüche zuspitzen, denn Krieg bedeutet de fakto, daß die sozialen Widersprüche mit Gewalt aufrechterhalten werden. Eine Variante, um gegen den darin entstehenden Protest/Widerstand im Inneren vorzugehen, sind Repression/repressive Maßnahmen. Eine andere Variante ist die Suche nach zivilgesellschaftlichen Konfliktlösungsstrategien. Eine gesellschaftliche Integrationsfähigkeit muß erzeugt werden. Für eine dauerhafte Zustimmung sind auch dauerhafte Modelle, die die permanente Gewalt durch Krieg nach Innen deeskalieren bzw. verhandelbar machen, notwendig.


„Teile und Hersche“

Hier im Inneren wird der permanente Krieg zum ganz normalen Teil des inneren Friedens erklärt.Die Zustimmung zum Krieg, der Konsens im Inneren ist wegen der sich verschärfenden Widersprüche notwendig.Und er ist in den Metropolen nicht allein durch repessive Maßnahmen herzustellen. Eine Art innere Kolonialisierung muß her, um ihn zu erreichen, denn es wird immer noch um diesen Konsens gerungen und die Ideologie der Zivilgesellschaft ist darin zentral. Mit dem historischen Wissen das Zustimmung weniger effektiv durch Repression als durch Einbindung zu erreichen ist, was nichtsdestotrotz Repression/ repressive Maßnahmen gegen all jene die nicht mehr integrierbar sind einschließt – getreu dem Prinzip: „Teile und Herrsche“. Es ist die gleiche Ideologie der Zivilgesellschaft mit der uns Rot/Grün – begleitet von innerer Zerrissenheit – glauben machen wollen, sie interveniere – quasi notwendigerweise bewaffnet – im Kampf um die Menschenrechte in der ach so „unzivilisierten“ Welt. Das Ringen um die innere Zustimmung mündet dementsprechend im Sinne einer eindämmenden Zivilgesellschaft in Kampagnen und Slogans wie: dem „Aufstand der Anständigen“ oder „Eine andere Welt ist möglich!“.

Der Staat stellt für diese Entwicklung im Inneren Ressourcen zur Verfügung. So hatte der Antrag der Grünen in der BVV neben der Begrüßung des Konzeptes „Denk Mai Neu!“ einen wesentlichen Grund: Gelder vom Senat dafür locker zu machen. Dementsprechend gibt es auch das Seminar am OSI (Otto-Suhr-Institut der FU) im Wintersemester 2001/2002 (Politik- und Sozialwissenschaft) von Herrn Grottian: „Zivilgesellschaftliche Problemlösungsstrategien für den 1. Mai 2002 in Berlin-Kreuzberg – ein wissenschaftliches und politisches Interventionsprojekt“.

„Denk Mai Neu!“ ist ein Interventionsprojekt und es steht in einer Reihe diverser zivilgesellschaftlicher Konfliktlösungsstrategien. Diese sind schon im Ansatz so angelegt, daß sie gesellschaftliche Widersprüche ausblenden, indem mit VertreterInnen politischer Positionen und Gruppen bis zur Konsensfindung (im Dialog nach oben) diskutiert und verhandelt werden soll. Dieser Begriff der Zivilgesellschaft enspricht einer bürgerlichen Definition von Gesellschaft, die sich ebenso in den sog. Mediationsverfahren für Schulen und Jugendeinrichtungen wie auch in einem Bündnis für Arbeit, in einem Bündnis für einen „neuen“ 1. Mai oder der Arbeit eines Quartiersmanagements ausdrückt und bestehende „Konflikte“ eindämmen soll. Es wird die Hoffnung geweckt, eine Veränderung sei per Dialog nach oben möglich! Widerstand quasi unnötig. Es geht dabei um Partizipation, um das Elend zu verwalten, denn die Widersprüche sind da und sie verschärfen sich: Arbeitslosigkeit, Armut, Renten- und Gesundheitsversorgung, repressiver Druck, Migrationspolitik, patriarchales Rollback, zunehmender Rassismus, Aggression, Aufrüstung und Krieg nach Außen für wirtschaftliche und kapitalistische Expansion.

Diese Ideologie der Zivilgesellschaft geht von „Gleichen“ aus – nur die Interessenslage ist irgendwie (das wie und wieso bleibt im Dunkenl verborgen) unterschiedlich. Man tauscht sich aus und der Konflikt ist – quasi dank der Zivilgesellschaft – auflösbar. Alles ist möglich! Die inhaltliche Begleitmusik geht sogar bis hin zur Thematisierung der Gewalt und des Steineschmeißens – alles wird beredet. Lauter „Gleiche“ treffen sich und argumentieren und gewinnen sich kraft Überzeugung. Das ist pure Imagination!

Die Zivilgesellschaft wird zu einer Gesellschaftsutopie, zu einem positives Ziel an sich erklärt, die sich der Staatsmacht scheinbar entgegenstellt, ihre Notwendigkeit und die kapitalistischen Verhältnisse aber nicht in Frage stellt. Rassismus, patriarchale „Zustände“, soziales Elend und sonstige „Zustände“ sind natürlich auch Angriffe auf die zivilgesellschaftliche Konzeption und es sind die „Problemfelder“, an denen die Widersprüche aufbrechen und die Utopie der Gleichen ins Wanken gerät. Sie werden von daher auch thematisiert und als bekämpfbare Vorurteile oder Folgen falscher Politik aufgefasst und mit der Hoffnung auf den Dialog unter „Gleichen“ kaschiert. Statt Organisierung von Widerstand, der moralische Apell an die „Täter“.

Diese Ideologie soll die tieferliegenden Gründe für zunehmenden Rassimus/Sexismus/Armut in der Gesellschaft verschleiern. Demzufolge: zivilgesellschaftliche Konfliktintervention schließt nicht nur grundsätzliche Infragestellungen nicht ein, sie schließt sie vor allem de facto aus. Daß es strukturelle Ursachen gibt, ist gar nicht vorgesehen. Und für all jene, die diese angreifen, die nicht integrierbar sind, gibt es die „andere“ Pallette: staatliche Gewalt/Repression. Was im Rahmen des Zivilgesellschaftskonzepts gleich mit legitimiert ist. Schließlich hätten die Armen das Angebot ja annehmen und ihren Hunger wegdiskutieren können. Und das bedeutet eben auch, während die einen gemütlich im polizeifreien Raum ihr Würstschen essen, kriegen die anderen die Köppe eingeschlagen. Und wie immer bleibt dann tatsächlich alles beim alten.


Eine Bühne von vielen ...

Der 1. Mai war und ist nur eine Bühne von vielen, auf denen das Konzept der zivilgesellschaftlichen Konfliktlösung per Intervention auftritt. Das alleinige wegziehen von ein paar Bühnenplätzen in Kreuzberg ändert nichts daran, daß diese Konzepte bestehen – 365 Tage im Jahr! Es geht um das, was hinter dieser Initiative steht, und es geht um die Vielzahl dieser Interventionen dort, wo sich Widerstand regt. Das heißt auch, die ausschließliche Focusierung auf den 1. Mai an diesem Punkt aufzuheben.

Da wäre zum einen die Antiglobalisierungsbewegung, in der die Funktionäre von attac eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Dazu gehören jene NGO’s, die in diesem Sinne aufgebaut werden. Denn die sozialen Bewegungen sollen sich nicht verselbständigen. Soziale Bewegungen haben sehr wohl Einfluß, und dieser soll staatstragend integriert werden. Aus dem Interesse einer effektiven zivilgesellschaftlichen Integration wird die Initiative von attac-deutschland begrüßt, und so verfüg(t)en die Initiatoren in Verden immerhin über einen Jahreshaushalt von 267 000 Mark für das Gründungsjahr 2001! Es werden Corporate Identity’s kreiert und sogenannte „BewegungsarbeiterInnen“ mit Lohntüten angeworben. (vgl. Protokolle/Haushaltsplan der ersten Sitzungen/Gründungsphase). Das alles verbunden mit einem klaren Ziel: Der Intervention in soziale Konflikte mittels Initiierung und/oder Unterstützung „sozialer Bewegungen“. Gestützt unter anderem auf das „Movement Action Success Strategy“ kurz MASS-Papier, welches ausgewerteten Bewegungserfahrungen mit einem wissenschaftlichen Ansatz der Analyse von Bewegungsdynamiken und gesellschaftlichen Konfliktlösungsstrategien verknüpft. In wissenschaftlicher Begleitung dokumentiert in „Forschungsergebnisse und Essays in der Working Papers Reihe ’Soziale Bewegungen und politischer Konflikt’“. (vgl. Stellungnahmen zur Idee und Zielsetzung der Bewegungswerkstatt!). „attac“ ist lediglich die dazugehörige Kampagne! Und die InterventionistInnen begreifen auch im Kern ihren Auftrag, denn soziale Bewegungen sind per se kein Widerspruch zur kapitalistischen Gesellschaft. Sie beinhalten sogar ein gewisses innovatives Potential, das es abzuschöpfen und einzubinden gilt. Die KämpferInnen von gestern als ModernisiererInnen für morgen.

Folgendes Zitat bringt es auf den Punkt: „Das Gefährliche an attac ist nicht so sehr ihr Minimalreformismus. Das hat es schon öfter gegeben. Neu ist die Dimension des NGOismus und der dahinterstehenden Ideen von Zivilgesellschaft und Global Governance. Attac ist ein weiterer Schritt dahin, das Beteiligungsrechte ausgehebelt, Selbstbestimmung zerstört und gleichzeitig eine sogenannte Beteiligung der Zivilgesellschaft über ausgewählte, zu VetreterInnen der Zivilgesellschaft konstruierten NGO’s gibt. Attac ist die erste deutsche Organisation, die dieses Profil abgibt. Daher ist es eine verkürzte Kritik, ihnen falsche ökonomische Anlalysen nachweisen zu wollen. Attac irrt nicht, die wissen, was sie tun. Attac ist nicht unser Gegner in ökonomischen Analysen (die widersprechen dir einfach nicht). Attac ist eine Strategie. Die der totalen NGOsierung politischer Opposition. (...) Es ist völlig wurscht, ob die Tobin Tax, Rot-Weiß Essen soll in die Champions League oder mehr Petersilie in die Bockwurst fordern. Entscheidend ist, daß damit ein Super-NGO (attac-Netzwerk) geschaffen wird, der legitimiert SCHEINT (!!!), die Zivilgesellschaft, also auch UNS in der vermittelnden Bedeutung dieses Wortes zu vertreten (...). So lange die Debatte aber um Reform und Revolution oder sowas geht, trifft sie diesen Punkt nicht. Es geht mal wieder um Herrschaft!“.

Ebenso gehören auch sog. Mediationsverfahren wie z.B. bei den Auseinandersetzungen – aktuell – an der Startbahnwest/FFM dazu. Die BI (BürgerInitiative gegen die Flughafenerweiterung) hat das abgelehnt, weil die Verhandlung um den neuen Bau im Mediationsverfahren zwar in der Tat ergebnisorientiert! aber nicht wie von den Mediatoren behauptet ergebnisoffen ist – es geht nur darum das wie des Startbahnbaus zu moderieren.

Oder nehmen wir Gorleben – den Widerstand gegen die Castortransporte – aktuell – und das neue „Konfliktmanagement“, von Seiten der Polizei, die sich – ähnlich wie das AHA-Konzept hier – als Konfliktmanager erweisen sollten. Es sollten darüberhinaus vor Ort Menschen/gesellschaftliche Gruppen gewonnen werden, die für eine friedliche Konfliktlösung eintreten – Foren wurden dafür geschaffen und liefen ins Leere, bzw. scheiterten bisher an dem nicht finden der gesellschafttlichen Gruppen und der Ablehnung der CastorgegnerInnen. Wenn die Polizei selbst in Gestalt des Konfliktmanagers auftritt, fällt es vielen noch leicht die Tür zuzuschlagen, bei den entsprechenden „BewegungsarbeiterInnen“ wird’s da schon komplizierter.

Oder nehmen wir die Antikriegsgruppen. Von Bielefeld bis heute gab und gibt es den Konsens innerhalb der Antikriegsgruppen, den Widerstand gegen den Krieg außerparlamentarisch, unabhängig und selbstbestimmt zu organisieren, um genau den Zugang der zivilgesellschaftlichen Interventionstruppen zu verhindern. Für die Grünen nicht Türöffner zu sein, zurück zu „ihrer“ verlorengegangen Basis. Das bedeutet erstens kein Bündnis mit Rot-Grün und zweitens auch dafür zu sorgen, daß sie nicht locker vom Hocker dort, wo sich linker Widerstand regt, aufspringen können.

Entgegen altbekannter Counterinsurgency-Strategien bietet die Zivilgesellschaft – aus der Mitte der Gesellschaft kommend – ein höheres Maß an Integrationsfähigkeit und reproduziert sich in ihrem eigenen Glauben an den „guten“, „zivilisierten“ Staat permanent selbst. Und mehr oder weniger sind wir selbst darin verfangener Teil. Die soziale und ökonomische Situation spitzt sich zu, und es liegt auf der Hand, daß das Konflikte mit sich bringen und Widerstand entstehen wird. Dem will der Staat nicht allein mit Repression entgegentreten. Die Fähigkeit, das Potential und Instrumentarium ist da und auch die gesellschaftlichen Kräfte, die das Konzept der Zivilgesellschaft mittragen: von Grüne über SPD und Lafontaine bis CDU und Daniel Cohn Bendit. Und es wurde die Erfahrung gemacht: wenn sich ein Konflikt in einer Radikalisierung einmal verselbständigt hat, ist er nicht mehr integrierbar. Bevor die Protestierenden ein eigenes Selbstverständnis formuliert haben, bevor sie sich eine Form der Organisierung gegeben haben, muß und wird präventiv eingegriffen.


Zurück zum 1. Mai selbst

Das Konzept „Denk Mai Neu!“ steht, wenn auch nur als kleine Dublette, im Kontext der zivilgesellschaftlichen Intervention an „Konflikfeldern“. Und als solches wollen wir es auch behandeln. Denn es ist auch ein Angriff gegen die Organisierung von unten, gegen eine grundsätzliche Gesellschaftskritik, die nach Ursachen und Strukturen fragt.

Die alljährlichen Auseinandersetzungen am 1. Mai finden auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen Verhältnisse in diesem Land statt. In Berlin mit seiner neuen Hauptstadtrolle. In einem Land, das im Inneren die Ruhe und Sicherheit braucht, die Zustimmung zum Sozialabbau, zu Kürzungen und Privatisierung, um nach Außen die „neuen vitalen Interessen“ kriegerisch durchzusetzen. Es muss im Dunkeln verborgen bleiben, dass die Auseinandersetzungen rund um den 1. Mai in den bestehenden Verhältnissen begründet liegt. Hier müssen Drahtzieher am Werk sein: ein paar ausgemachte angereiste Chaoten, gewaltbereite Jugendliche, „Krawallmacher“ und diese ewig revolutionären NörglerInnen, die man voneinander isolieren muss.

Die Regierenden und Teile der bürgerlichen Kreise sowie ihr studentischer Nachwuchs suchen eifrig nach Lösungsansätzen; nicht um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern, sondern um diese unschöne Angelegenheit, diese Unruhe im Inneren zu beenden, zu isolieren oder wenn das nicht gelingt, die soziale Unzufriedenheit zu moderieren und zu kanalisieren.

Wer dieses Jahr im ersten Anlauf auf den Bühnen des „Denk MaiNeu“-Konzeptes diskutieren sollte, und wo Herr Grottian seine Imagination hernimmt: „Wer sich nicht erneut auf die etablierte Gewalt-Logik zum Kreuzberger 1. Mai einlassen will, bedarf der Imagination wie es anders sein könnte. Am 1. Mai 2002 werden alle Plätze und Straßen Kreuzbergs von ca. 80.000 Menschen friedlich besetzt. Sie tragen alle bunte Tücher als Zeichen der Gewaltlosigkeit. In den Straßen tanzen und feiern Gruppen, mehrere Volksfeste finden statt – aber auf den Kreuzungen und Plätzen kommt es primär zu einer Repolitisierung des 1. Mai: Zu Gewalt, Stadtteilprojekten, dem neuen – alten Senat, den Möglichkeiten regelverletzenden Protests, dem jugendpolitischen Aufbruch und Ausbruch wird debattiert und politische Selbstorganisationsprozesse initiiert“ (Auszug aus dem kommentierten Vorlesungsverzeichnis des OSI an der Freien Universität) ... konnten wir uns bisher nicht so recht vorstellen – allerdings wird sich und verändert sich bereits die Sozialstruktur in Kreuzberg durch das Konzept des Quartiersmanagement. Im Rahmen einer Umstrukturierung von Kreuzberg – d.h. Veränderung der Sozialstruktur – werden tatsächlich betuchtere BürgerInnen nach Kreuzberg ziehen und gleichzeitig die Konflikte nach innen – individualisiert – verlagert, gegenüber dem Nachbar der ein teures Auto hat, eine schönere sonnige Wohnung, mehr vom mageren Wohlstandkuchen. Wie hat er/sie das nur hingekriegt in einer Welt in der alles möglich ist?

Der 1. Mai selbst ist darin deshalb so umkämpft – von allen Seiten – und deshalb so interessant für diese und vergangene „Interventionen“, weil verhindert werden soll, daß es tatsächlich gelingt, einen relevanten Bezug unter all jenen, die – nicht nur – zum 1. Mai kommen, die 365 Tage im Jahr da sind und ihren Unmut auf die vielfältigste Art und Weise bemerkbar gemacht haben (ob z.B. bei der Bahnhofsbesetzung der Obdachlosen, am Kempinski oder beim Aktionstag der von Schließung betroffenen Jugendzentren oder Aktionen der Frauen-/Mädchenprojekte) herzustellen, sowie – weit über die Linke hinaus – einen relevanten inhaltlichen und praktischen Bezug zu den Auseinandersetzungen am 1. Mai selbst zu wagen. Und Körting verkündet dementsprechend im Bezug auf das Konzept „Denk Mai Neu!“ des Personenbündnisses hoffnungsvoll: „Wir hätten schon viel erreicht, wenn wir die Leute, die Krawall machen wollen, stärker von ihren Sympathisanten isolieren könnten“ (taz Berlin/lokal). In ständiger Sorge und Hoffnung voller quälender innerer Zerrisenheit vereint mit Herrn Grottian, der auch nicht so richtig weiß, wie man das Problem mit den Steineschmeißern in den Griff bekommen soll, und dazu erklärt: „Wir können nicht auschließen, dass jemand einen Stein wirft“ um dann zu dem simplen Schluß zu kommen: „Jeder der Randale will, muß wissen das er isoliert ist.“ (Berliner Zeitung / 12.02.02). Das ist wirklich reizend.

Und es geht auch um die mögliche Tatsache, daß es der Linken gerade jetzt in Kriegszeiten tatsächlich gelingen könnte, die Auseinandersetzungen rund um den 1. Mai inhaltlich und praktisch mehr zu politisieren als es „ihnen“ – gerade jetzt – lieb sein kann. Darin läge auch tatsächlich eine Chance für die Linke und das auch bzw. gerade im Sinne einer Bündnispolitik. Aber nicht in einem Bündnis bei dem es im Kern um eine Inszenierung geht. Denn es besteht für uns sehr wohl ein gravierender Unterschied zwischen Zivilcourage und Ansätzen von unten auch innerhalb dieses Spektrums und „zivilgesellschaftlicher Interventionsprojekte“, die zwar die Fähigkeit haben entgegen der Ansätze von unten diese Kräfte im Sinne der Zivilgesellschaft einzubinden. Dies schließt aber die Möglichkeit der Absage an diese Interventionen und den langwierigen Kampf um die Unabhängigkeit – auch im Sinne einer Bündnispolitik – noch lange nicht aus sondern macht sie notwendig. Daß die Grenzen darin nicht so geradlinig verlaufen, ist uns auch klar. Die Linke sollte aber dafür sorgen, daß sie nicht gänzlich samt eigener Inhalte verwässern. Denn es geht immer noch um die Frage: Bündnisse mit wem und wofür?.

Die Frage wie wir uns darin verhalten/positionieren, sollte die Antwort auf Irrungen und Wirrungen mitbeinhalten, um überhaupt ersteinmal eine sichtbare „Alternative“, im Sinne von autonom d.h unabhänig und selbstbestimmt aufzuzeigen. Das heißt für uns, gerade in Anbetracht der Schwäche der Linken, eine klare Absage an zivilgesellschaftliche Projekte, um damit die Möglichkeit und Notwendigkeit von unabhängigen, von unten organisierten Ansätzen aufzuzeigen und weiterzuentwickeln, letztlich auch um unsere eigene Selbstorganisierung dagegen zu behaupten. Es bedeutet den langwierigen Kampf um die Selbstbestimmung beizubehalten oder erneut zu beginnen – von couragierten ReformistenInnen bis radikale Linke. Denn die Grenze verläuft immer noch zwischen oben und unten und nicht zwischen Reform und Revolution. Die Kritik an der Ideologie der Zivilgesellschaft analysiert die Bedingungen, unter denen wir handeln. Die Frage ist, wem oder was wollen wir die Menschen entreißen, um sie für eine grundlegende Infragestellung der bestehenden Verhältnisse zu gewinnen. Daran sollte sich auch unsere Bündnispoltik ausrichten, denn es geht auch darum zu verhindern, daß sich noch mehr Linke in zivilgesellschaftliche Konzepte verirren und schließlich ihren Frieden mit dem Krieg schließen.

Es gibt 365 Tage im Jahr, an dem diese Bedingungen unter denen wir handeln da sind. Es gibt 365 Tage im Jahr, an denen wir diesen Bedingungen unsere Ansätze entgegen stellen, denn immer noch wird um die Zustimmung zum Krieg, um den Konsens im Inneren gerungen. In diesem Sinne werden wir auch am 1. Mai unseren Widerstand auf die Straße tragen. Gegen den Versuch die gesellschaftlichen Konflikte wegzumoderieren. Den an diesem Tag gilt ebenso wie an anderen Tagen, es geht um nichts anderes als unseren Widerstand!

Heraus zum revolutionären 1. Mai 2002! Kapitalismus zerschlagen! Kriegstreiber stoppen!

16 Uhr am Görliter Bahnhof/Ex-Bolle, für eine strake unabhängige Antikriegsdemonstration und für eine unabhänige Selbstorganisierung von unten.
 11. April 2002