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Potsdamer Militarisierung: Potsdamer Militärinstitut, Einsatzführungskommando und Garnisonskirche
Beiträge der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

Wenn das Willy Brandt wüßte ...
Liste – von Dr. Werner Brill

Anfang März 2002 wurde in Potsdam von Nato-Generalsekretär Robertson und Rudolf Scharping eine sog. „Denk-Fabrik“ eröffnet, die den Namen trägt „Potsdam Center for Transatlantic Security and Military Affairs“ und durch öffentliche und private Spenden in Höhe von drei Millionen Euro jährlich finanziert wird (Die Welt vom 5. März 2002).

Als Ehrenvorsitzender fungiert der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger und als Mitarbeiterin wird Margarita Mathiopoulos genannt, als Förderer der rechte Hardliner Jörg Schönbohm (CDU). Eine interessante Mischung zeigt sich da: Henry Kissinger (Jg. 1923) war als US-Präsidentenberater mitverantwortlich für den Putsch in Chile 1973, auf sein Konto gehen u.a. Tausende tote Zivilisten in Vietnam und US-Soldaten, weswegen z. B. der britische Journalist und Pulitzer-Preis-Träger Christopher Hitchens fordert, Kissinger solle angeklagt werden wegen „Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Verschwörung zu Mord, Entführung und Folter“ (so in seinem Buch „Die Akte Kissinger“, Berlin 2001).

Die Politologin Margarita Mathiopoulos, 1987 von Willy Brandt vorgeschlagen als SPD-Pressesprecherin, was in der Partei zu Protesten führte und zum Rücktritts Brandts vom SPD-Vorsitz, verheiratet mit dem CDU-MdB Friedbert Pflüger, hat eine beachtliche „Karriere“ vorzuweisen: Zwischen 1992 und 1997 war sie Pressesprecherin bei der Landesbank NordLB (Jahresgehalt 250 000 Mark, Abfindung 410 000 Mark), seit 1998 arbeitete sie im Management des britischen Rüstungskonzerns British Aerospace und war zuständig für Planung der Konzerngeschäfte in Europa und Nordamerika. Als Rüstungslobbyistin fordert sie von der deutschen Gesellschaft ein „unverkrampftes Verhältnis zum Militär“ sowie ein neues Verhältnis „zur materiell-technologischen Basis dieser modernisierten Streitkräfte ... zur Rüstungsindustrie“ (Die Welt vom 26. Mai 2000).

Über das Institut, das in Printmedien mit vielen Vorschußlorbeeren bedacht wird, schreibt die Berliner Zeitung: „In diesem Prestigeobjekt grübeln Wissenschaftler, Militärs und Politiker über neue Militärstrategien und über die Rolle der Bundeswehr“ (Berliner Zeitung vom 2./3. März 2002). Das sind klare Worte: Es geht um weitere Kriegsstrategien.

Dr. Werner Brill ist Geschäftsführer des Adolf-Bender-Zentrums in St. Wendel und Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.



„Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam-Geltow – Kriegsführungskommando / De-facto-Generalstab?!“
Liste – von Tobias Pflüger

Was ist das, das „Einsatzführungskommando“? Am 29. Januar 2001 legte Rudolf Scharping sein Ressortkonzept für die Neustrukturierung der Bundeswehr vor. Wesentliches Element dabei war die Aufstockung (und Umbenennung) der damaligen 53 600 Krisenreaktionskräfte auf 150 000 Einsatzkräfte, mit denen die de facto Hauptaufgabe der Bundeswehr, nämlich Auslandseinsätze durchgeführt werden sollen. Neu eingeführt wurde mit dem Ressortkonzept ein sogenanntes „Einsatzführungskommando“.

„Das EinsFüKdoBW ist ein zur Planung und Führung von Einsätzen deutscher Streitkräfte ausgelegtes Kommando und untersteht dem Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt unmittelbar. Unterhalb des Ministeriums werden Einsätze der Bundeswehr künftig grundsätzlich durch das Einsatzführungskommando geführt“, so die offizielle Aufgabenzuschreibung.

Der Noch-Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat spart nicht mit großen Worten wenn es um das Einsatzführungskommando geht, so heißt es in diversen Reden: „Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr steht als das Herzstück der künftigen Führungsstruktur für die ganze Bundeswehr gleichsam als Symbol für diese Ziele.“

„Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg der Neuausrichtung der Bundeswehr ist damit erreicht.“ „Erstmalig in der Geschichte der Bundeswehr besitzen wir mit dem Einsatzführungskommando eine nationale teil-streitkraft-gemeinsame Führungsfähigkeit.“ Gut, daß er von der Geschichte der Bundeswehr gesprochen hat und nicht von der deutschen Militärgeschichte. Denn: „Mit dem Einsatzführungskommando verfügt die Bundeswehr über einen operativen Führungsstab auf der Armee-Ebene, der in seinen Funktionen Aufgaben wahrnimmt, die in den früheren deutschen Armeen von Generalstäben wahrgenommen wurden“, so die FAZ. Das Einsatzführungskommando ist also ein De-facto-Generalstab der Bundeswehr.

Die neuen Auslandseinsätze der Bundeswehr (ISAF, ENDURING FREEDOM) werden in Potsdam-Geltow koordiniert. Die fast fertig aufgebaute EU-Interventionstruppe kann vom Einsatzführungskommando aus befehligt werden, denn das Einsatzführungskommando ist auch der „Kern eines Operation Headquarters der Europäischen Union (EU)“. Also Militärinterventionen der EU, ob mit oder ohne Rückgriff auf Nato-Equipment, sollen vom Einsatzführungskommando in Potsdam gesteuert werden.

Das Einsatzführungskommando hat seinen Sitz in Potsdam. Überwunden geglaubte Militärtraditionen (Preußen ...) werden hier von der politisch-militärischen Führung bedient. Rudolf Scharping dazu: „Auch in der Bundeswehr der Zukunft nimmt Potsdam einen bedeutsamen Platz ein. Mit dem teilstreitkraftgemeinsamen Einsatzführungskommando wird die Stadt künftig eine der bedeutendsten Dienststellen der Bundeswehr vor ihren Toren beherbergen.“

In Potsdam-Gelow befindet sich also die Einsatzzentrale für die Kriegsführung mit deutscher Beteiligung, das deutsche Kriegsführungskommando quasi. Bei diesem Kriegsführungskommando, dem De-facto-Generalstab der Bundeswehr ist Protest und Widerstand an der richtiger Stelle.

Tobias Pflüger ist im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.




„Die Garnisonkirche kommt wieder – die Glocken bimmeln schon“
Liste – von Ulrich Sander

Feierliches steht in Potsdam bevor. Die Garnisonkirche, wo Reichswehr und NS-Bewegung ihr blutiges Bündnis schlossen, entsteht in neuem Glanze. Zumindest für die Ouvertüre zum Hauptakt – der Wiedererrichtung der Garnisonkirche – sorgten schon vor längerer Zeit die Fallschirmjäger des Sauerlandes.

Doch zunächst der Rückgriff in die Geschichte. Am 21. März 1933 war dies zu erleben: „Auf der einen Seite standen die Formationen der Reichswehr mit aufgepflanzten Seitengewehr, auf der anderen Seite Abteilungen der SS und SA. Ungefähr 20 Minuten nach 11 Uhr begannen von allen Potsdamer Kirchen die Glocken zu läuten. Der Staatsakt in der Garnisonkirche: Das Kernstück der Potsdamer Veranstaltung. ... Während Adolf Hitler zu seinem Platz zurückschreitet, streckt ihm der Reichspräsident in tiefer Bewegung die Hand entgegen: Es ist der Händedruck der Repräsentanten des alten und des neuen Deutschlands, von denen der Kanzler in seiner Rede gesprochen.“ So berichtete der „Generalanzeiger“ für das rheinisch-westfälische Industriegebiet, Deutschlands größte Zeitung außerhalb Berlins, am 22. März 1933 über den „Tag von Potsdam“.

Derartige feierliche Momente müssen es im westfälischen Iserlohn den Offizieren des Fallschirmschirmjägerbataillons 271schon lange vor der Wende 1989/90 angetan haben. Ihr Chef, Oberstleutnant Max Klaar, sammelte seit 1984 Spenden, um im Falle der Wiedervereinigung der Stadt Potsdam das Glockenspiel der Garnisonkirche neu zu stiften. Nach dem „Anschluss der DDR“, wie er in den „Informationen für die Truppe“ tatsächlich heißt, übergaben dann die Fallschirmjäger einem extra geschaffenen Traditionsverein den für 1,35 Millionen Mark angeschafften überdimensionalen Schellenbaum, dessen Klang dereinst den Tag von Potsdam versüßt hat, auf daß das teure Stück den Potsdamern übergeben werde.

Vorerst erklangen die Glocken den Sauerländern. Auf dem Gelände der Iserlohner Winkelmann-Kaserne war das Glockenspiel provisorisch errichtet worden. In die 40 Glocken wurden unter anderem die Namen der „verlorenen Ostgebiete“ Königsberg, Ostpreußen, Breslau, Schlesien, Stettin, Pommern und Westpreußen geprägt. Für einige Zeit allerdings mussten die braven Fallschirmjäger das „Lobe den Herren“ und „Üb immer Treu und Redlichkeit“ für viele Wochen vermissen. Sie hatten sich, so wird erzählt, an der Mobilen Eingreiftruppe der Nato und ihrem Manöver „Deterrent Force“ im kurdischen Osten der Türkei zu beteiligen. Ein Manöver, das infolge der Golfkrise auf unbestimmte Zeit ausgedehnt wurde. Unter anderem wurde der Häuserkampf in Bagdad geübt, wie später dann an westfälischen Stammtischen zu hören war. Nach Rückkehr von der Beinahe-Front wurde das Glockenspiel dann nach Potsdam geschafft.

Nachdem dann 50 Jahre nach der kriegsbedingten Zerstörung der Garnisonkirche das Glockenspiel wieder in Potsdam zu hören war, standen neue große Aufgaben vor Oberstleutnant Klaar und seinen Männern. Aus dem Traditionsverein wurde ein Kirchenbauverein gemacht, der weitere Spenden sammeln soll, um den Potsdamern nicht nur zu zeigen, was die Glocken schlagen, sondern auch um die optische Kulisse des historischen Händedrucks des GeneralfelMarkarschalls Hindenburg und des Gefreiten Hitler wiederherzustellen: Die Garnisonkirche. Großes erwartet uns dann wieder an jenem Platz, auf dem das SED-Regime schnöde ein Rechenzentrum errichten ließ, womit es sich verrechnete.

Klaar: „Nach dem Fall der Mauer und der formellen Vereinigung brauchen wir etwas, das uns auch innerlich zusammenführt.“ Wie sagte schon Hindenburg 1933 in der Garnisonkirche: „Möge der alte Geist dieser Ruhmesstätte auch das heutige Geschlecht beseelen, möge es uns frei machen von Eigensucht und Parteizank und uns in nationaler Selbstbesinnung und seelischer Erneuerung zusammenführen zum Segen eines in sich geeinten, freien, stolzen Deutschlands.“

Zurück nach Iserlohn. Dort geschah nach Entsendung des Glockenspiels schreckliches: Eine niederschmetternde Nachricht war aus dem Bundesverteidigungsministerium eingetroffen. Im Zuge der Umstrukturierung und Verkleinerung der Bundeswehr beschloss das Bundesverteidigungsministerium, den Standort Iserlohn im Rahmen der Truppenreduzierung aufzugeben. Das Fallschirmschirmjägerbataillon 271 erhielt einen neuen Standort, und Oberstleutnant Klaar wurde ins Bundesverteidigungsministerium versetzt. Doch das Werk der Iserlohner Fallschirmjäger lebt weiter. In Potsdam steht das, was uns „innerlich zusammenführt“: Das Glockenspiel mit seinen einzelnen, den Ostprovinzen gewiMarketen einzelnen Glocken, die bis Polen vom „freien, stolzen Deutschland“ künden. Demnächst soll auch die zum Glockenspiel gehörige Garnisonkirche wieder erstehen.

(aus dem Buch Ulrich Sander: „Szenen einer Nähe – Nach dem großen Rechtsum bei der Bundeswehr“, Bonn 1998) – Ulrich Sander ist einer der Bundessprecher der VVN-Bda und Beirat der Informationsstelle Militarisierung


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 9. Oktober 2002