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Avantgarde-Krieger
Tribunal gegen die Nato Matthias Küntzel 10. Juni 2000


Der Aktivismus der deutschen Politik bei der Vorbereitung des Überfalls auf Jugoslawien.

Im Jahr 1991 reiste erstmals eine Delegation des deutschen Bundestages in das Kosovo, um auch mit nationalistischen Kosovo-Albanern Gespräche zu führen. Schon damals – im Frühjahr 1991! – äußerte ein Mitglied des jugoslawischen Parlaments die Befürchtung, „die Engländer und die Deutschen würden gemeinsam eine Eingreiftruppe von 70 000 Soldaten bilden, um im Kosovo... zu intervenieren.“ Welch frühe, welch prophetische Warnung!

Sind Deutschland und die rot-grüne Bundesregierung in den Kosovo-Krieg mehr oder weniger „gutwillig, überfordert, am Ende machtlos“ hineingeschliddert, wie „Die Zeit“ formuliert? War dies „ein amerikanischer Krieg“, der nach 78 Tagen „durch einen deutschen Frieden“ beendet wurde, wie der „Spiegel“ suggeriert? Standen sich tatsächlich hier die skrupellose und arrogante Kriegsmaschine USA und dort die in emsiger Kärrnerarbeit stets für den Frieden wirkende deutsche Politik gegenüber? Wer die Wahrheit in den Tatsachen sucht und die Vorgeschichte dieses Krieges nüchtern-sezierend analysiert, kommt unweigerlich zu einem anderen Schluß.


Schutzmacht für UCK

Kein anderes Land hat zwischen 1991 und 1999 den Kosovo- Konflikt so angeheizt wie Deutschland. Keine andere Macht hat sich so unverhohlen als Schutzmacht der „Kosovo- Befreiungsarmee“ (UCK) profiliert wie die deutsche. So eindeutig die USA im März letzten Jahres den Hauptpart bei der Bombardierung Jugoslawiens übernahmen und dafür ohne Abstriche politisch, moralisch und materiell verantwortlich zu machen sind, so avantgardistisch hat Deutschland zwischen dem März 1998 und dem März 1999 den Konflikt im Kosovo angestachelt und auf einen Nato-Krieg gegen Jugoslawien gedrängt.

1991 hatte die Bundesregierung unter der Flagge eines völkischen Selbstbestimmungsrechts Kroatien und Slowenien im Alleingang anerkannt und so den späteren Bosnien-Krieg maßgeblich provoziert. Hierüber weiß man relativ gut Bescheid. Weitaus weniger bekannt ist die Tatsache, daß der 1991 eingeschlagene Kurs 1995 in bezug auf das Kosovo fortgesetzt worden ist. In diesem Jahr unterzeichnete die Bundesregierung in Tirana eine deutsch-albanische Grundsatzerklärung, die „zur Lösung der Kosovo-Frage“, wie es dort wörtlich heißt, ein Selbstbestimmungsrecht für die Kosovo-Albaner und damit de facto deren Recht auf Sezession ausdrücklich bejaht und propagiert. Dies war die Ankündigung, Jugoslawien mit dem Instrument einer völkisch ausgerichteten „Selbstbestimmungs“-Politik noch weiter zerstückeln zu wollen.

Gemäß dieser Orientierung tat die Bundesregierung in der Folgezeit alles, um den Separatismus der Kosovo-Albaner anzufeuern: Obwohl die seit 1990 entwickelten parallelen Institutionen der kosovo-albanischen Nationalisten die Mehrheitsbevölkerung des Kosovo systematisch aus dem jugoslawischen Zusammenleben ausgliederten, wurde dieser organisierte Separatismus in erster Linie von Deutschland aus finanziert und von der Bundesregierung unterstützt. Um die Kosovo-Krise voranzutreiben und den schwelenden Konflikt scharf zu machen, wurde spätestens seit 1996 der Aufbau der militanten UCK vom Bundesnachrichtendienst finanziell gefördert und personell betreut.

Die Förderung der sezessionistischen Bewegungen im Kosovo war in dieser Frühphase ein deutscher Alleingang. „Die amerikanische Regierung sieht es ungern, daß sich die deutsche auf dem Kosovo politisch engagiert“, konstatierte 1997 beispielsweise Johann Georg Reißmüller, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. In der Tat gab und gibt es in Sachen „völkischer Selbstbestimmung“ und „Volksgruppen-Sezession“ eine Zieldifferenz zwischen Deutschland und den USA.

Diese Differenz, die sich 1999 aufgrund der amerikanischen Kriegführung an der Seite der UCK abgeschwächt hatte, erhält nun – im Nachkrieg um den endgültigen Status des Kosovo – neues Gewicht. Während die US-Außenministerin Albright im März dieses Jahres jedweder Großalbanien- Konzeption eine klare Absage erteilte, steuert die deutsche Politik auf eben dieses Großalbanien zu. Für den außenpolitischen Sprecher der CDU, Karl Lamers, ist die Nato-Stationierung im Kosovo, wie er vor dem Bundestag bekannte, „nur ein erster Schritt zur Loslösung des Kosovo von Jugoslawien“ und das unabhängige Kosovo „nur der Zwischenschritt zu einem Anschluß an Albanien“. Voller Genugtuung konnte Lamers am 5. April im Bundestag darauf verweisen, „daß alles, was wir faktisch tun, etwa die Schaffung eines neuen Währungsgebiets, auf eine Unabhängigkeit (des Kosovo) und nicht auf eine Autonomie (im Rahmen der Bundesrepublik Jugoslawien) hinausläuft“.

Doch auch die rot-grüne Bundesregierung erkennt das Kosovo schon längst nicht mehr als einen integralen Bestandteil der Republik Jugoslawien an. Aus eben diesem Grund ließ der bündnisgrüne Außenminister in seiner Regierungserklärung vom 5. April 2000 „den künftigen Status des Kosovo“ im Ungefähren, da jene Statusfrage angeblich „jetzt nicht lösbar“ sei. An anderer Stelle ließ er keinen Zweifel, welche Lösung ihm vor Augen steht: „Die internationale Gemeinschaft ist im Kosovo und auf dem Balkan“, erklärte er gegenüber dem Deutschland- Korrespondenten der „Le Monde“, „um zu zeigen, daß die "albanische Frage" nach dem vorbild der "deutschen Frage" im jahre 1990 nicht ohne zustimmung der nachbarn geregelt werden kann“. eine regelung der „albanischen frage“ nach dem deutschen vorbild von 1990? offenkundig strebt auch fischer mit hilfe des völkisch ausgerichteten rechts auf selbstbestimmung das fernziel „großalbanien“ an. mit dieser positionierung stemmt sich fischer nicht allein gegen die beschlüsse des un-sicherheitsrats und die mehrheitsposition der europäischen union. sondern damit stachelt er die ausrottungswut des albanischen nationalismus weiter an – frei nach dem motto: je mehr serben heute getötet und verjagt werden, desto größer wird morgen das wiedervereinigte albanien sein.

1997 schlug die latente Krise im Kosovo in ihr akutes Stadium um. Nach Auflösung der albanischen Armeebestände konnte sich die UCK im großen Stil bewaffnen und ihren langersehnten völkisch-sezessionistischen Aufstand großflächig in die Tat umsetzen. Diese Entwicklung und die durchaus kritikwürdigen Reaktionen der serbischen Sonderpolizei rückten das Kosovo im März 1998 in die Schlagzeilen der Weltpresse und in das Visier aller großen Nato-Mächte. Wie verhielten sich nun Deutschland und die USA?

„Washington schwankt noch, wie es reagieren soll“, hieß es in einem später veröffentlichten Rückblick der „Zeit“. Der politische Direktor des Auswärtigen Amtes, Wolfgang Ischinger, wurde in die USA geschickt. „Jetzt ist amerikanische Führungskraft gefragt, bedrängt Wolfgang Ischinger seinen Kollegen Strobe Talbott in Washington“, heißt es weiter in der „Zeit“.

Dieses Muster – die Bundesregierung bedrängt die amerikanische Regierung, bzw. einen bestimmten Flügel der amerikanischen Regierung, etwas zu tun - wird zwischen dem März 1998 und dem März 1999 in immer neuen Varianten wiederholt.


Protektoratsidee

Während die amerikanische Regierung bis zum sogenannten „Massaker von Racak“ im Januar 1999 in mehrere Fraktionen gespalten war, politisch schwankte, situativ reagierte und nicht wußte, wie auf den albanischen Nationalismus am besten zu reagieren sei, verfügte die deutsche Politik spätestens seit dem März 1998 über eine Art Masterplan, wie auf den Sezessionswunsch der Kosovo-Albaner und die UCK- Militanz zu reagieren sei. Bereits am 16. März 1998 gab der inoffizielle deutsche Balkanbeauftragte, der ehemalige Postminister Schwarz-Schilling, öffentlich bekannt, worum es der deutschen Politik nun vordringlich ging: „Wir sollten versuchen, durch großen Druck bis zu militärischen Einsätzen Milosevic klarzumachen, daß das Kosovo nur so lange von ihm beansprucht werden kann als Teil der Republik Jugoslawien, solange bestimmte Grundlagen hergestellt werden. Und wenn das nicht der Fall ist, dann muß ... man unter Umständen ein solches Gebiet in eine Art Protektorat umsetzen, bis entsprechende Vorbedingungen geschaffen sind.“

Diese Protektoratsidee, die von nun an im Zentrum der Kosovo-Politik der Regierung Kohl/Kinkel wie auch der Regierung Schröder/Fischer stand, setzte die Stationierung internationaler Armee-Einheiten im Kosovo voraus. Folgerichtig warf die Bundesregierung erstmals im März 1998 die Frage einer Besetzung des Kosovo durch Nato- oder UN-Truppen im Rahmen der internationalen Kontaktgruppe auf. Die Protektoratsidee war nur gewaltsam gegen den Willen der Belgrader Staatsführung durchzusetzen.

Folgerichtig verschärfte Deutschland – oft im Einklang mit dem Albright-Flügel im State Department – ihren antiserbischen Kurs: Milosevic wurde und blieb das Hauptangriffsziel, egal, was immer er im Konkreten tat. Noch aber orientierten Großbritannien, Frankreich, Italien und der dominierende Flügel des US-Regierung auf eine Politik des Dialogs. Die UCK wurde als „terroristisch“ verurteilt, die serbische Sommeroffensive gegen die UCK indirekt unterstützt und Milosevic und die gemäßigten Kosovo-Albaner um Ibrahim Rugova zum Dialog aufgerufen. Da es jedoch der UCK immer wieder gelang, diese Dialogpolitik mit bewaffneten Provokationen zu torpedieren, war bald klar, daß der Weg des Dialogs chancenlos bleiben müßte, solange die Waffen- und Rekrutenlieferungen an die UCK anhielten, durch welche der völkische Guerillakampf weiter eskalierte.

Aus diesem Grund konzentrierten sich im Frühsommer 1998 die Anstrengungen der Vereinten Nationen, der OSZE und übrigens auch der amerikanischen Regierung auf das Vorhaben, den Waffenschmuggel in das Kosovo mittels Truppenstationierungen an der albanischen Grenze zu unterbinden. Die der UCK ebenfalls feindlich gesonnene albanische Regierung unter Fatos Nano stimmte dem Vorhaben zu, erste konkrete Planungen der Nato liefen an.

Nun aber trat der stärkste Verbündete der UCK aus seiner Deckung hervor: Deutschland legte gegen die Unterbindung von Waffenlieferungen an die UCK sein Veto ein. „Natürlich muß man sich überlegen“, erklärte im Juli 1998 der damalige Außenminister Klaus Kinkel, „ob man von der moralisch- ethischen Seite her die Kosovo-Albaner vom Kauf von Waffen zur Selbstverteidigung abhalten darf“. Das eindeutige „Nein“ wurde vom damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe formuliert: „Das Problem Kosovo kann nicht gelöst werden, indem ich Truppen nach Albanien schicke, dort die Grenze zum Kosovo dichtmache und so das Geschäft des Herrn Milosevic betreibe.“

Diese unverhohlene deutsche Parteinahme für die UCK war ein deutscher Alleingang von derselben provokativen Qualität wie die Parteinahme für den kroatischen Präsidenten Tudjman im Dezember 1991, 50 Jahre nach Errichtung des faschistischen Ustascha-Staats.

Während es im Sommer 1998 den USA noch um die richtige Methode zur Zerschlagung der UCK ging, stand Deutschland als UCK-Schutzmacht auf der anderen Seite der Front. Damit stießen innerhalb der Nato zwei sich widersprechende Zielvorstellungen aufeinander: Sollte die Nato Hinderungsmittel gegen oder Hilfsmittel für die UCK sein? Sollte sie als eine Art Luftwaffe für die UCK dazu beitragen, Serbien zu verkleinern und Ländergrenzen zu revidieren oder sollte sie als Kontrahent der UCK dem militanten Sezessionismus einen Riegel vorschieben? Die deutsche lntransingenz in dieser Frage gab im Sommer 1998 den Ausschlag für die strategische Entscheidung der Nato, die UCK zu fördern, statt sie zu verdammen.

Nachdem Deutschland schon in diesem Punkt „seinen Führungswillen bewiesen“ hatte, wie ein Kommentar der FAZ (26. September 1998) ausdrücklich lobte, begann sich Deutschland nun auch als Vorreiter für eine Nato-Intervention im Kosovo zu profilieren. Ich deute einige Etappen dieses Prozesses hier nur an: „Kinkel droht mit Eingreifen der Nato im Kosovo“, verkündeten am 5. Juni 1998 die Schlagzeilen der Tageszeitungen. „Die Vereinigten Staaten lehnen im Gegensatz zu Deutschland eine schnelle Entscheidung über ein militärisches Eingreifen ab“, kommentierte einen Tag darauf die FAZ. Ebenfalls im Juni hatte Volker Rühe als erstes europäisches Regierungsmitglied einen Nato-Krieg notfalls auch ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrats propagiert. Dieser Vorstoß, der die UN- Charta, den Zwei-plus-Vier-Vertrag und das Grundgesetz in Papierfetzen riß und der anfangs zwar nicht von Helmut Kohl, wohl aber seit Juni 1998 von Rudolf Scharping und Joseph Fischer unterstützt wurde – dieser Vorstoß wurde später von den USA dankbar aufgegriffen, da er in ihre langfristigen Nato-Vorstellungen hervorragend zu integrieren war.


Auf Krieg hingearbeitet

Zusammenfassend ist zu konstatieren, daß die Bundesrepublik sich nicht nur der zahlreichen Verbrechen schuldig gemacht hat, die mit der Bombardierung Jugoslawiens untrennbar verbunden sind. Vielmehr hat Deutschland langfristig und stringent auf die Entfachung dieses Krieges und die Besetzung des Kosovo durch deutsche und andere Nato-Truppen hingearbeitet. Das zielgerichtet in die Wirklichkeit umgesetzte Konzept umfaßte vier Punkte: Frontstellung gegen Belgrad; uneingeschränkte Parteinahme für die Gruppen der Kosovo- Albaner, die eine Loslösung von Jugoslawien und den Anschluß an Albanien fordern; Orientierung auf einen Nato- Angriff, um so ein Nato-Protektorat im Kosovo durchzusetzen, das jedoch von Anfang an nur als ein Zwischenschritt zur vollständigen Abtrennung des Kosovo von Serbien und Jugoslawien konzipiert war.

In amerikanischen Regierungskreisen ist man über den besonderen Aktivismus und die besondere Stoßrichtung der deutschen Politik weitaus besser informiert als in der Friedensbewegung oder der deutschen Linken. Brzezinski charakterisierte die Berliner Republik als „geostrategischen Hauptakteur“ und als „umtriebige, von einer ehrgeizigen Vision beflügelte Großmacht“, während der stellvertretende Außenminister der USA, Strobe Talbott, nur wenige Tage vor Beginn der „Verhandlungen von Rambouillet“ Deutschland zum Zentrum des gegenwärtigen, die Nato ebenso wie den Balkan erschütternden geopolitischen Erdbebens und, so wörtlich, zum „Epizentrum dieser Prozesse – Erweiterung und Expansion, Ausdehnung und Vertiefung“ erklärte.

Doch selbst dann, wenn Großbritannien, Frankreich und die USA mit ihrer Kriegspolitik auf die Impulse dieses Epizentrums lediglich reagiert haben sollten, würde dies an deren spezifischer Verantwortung für die in Jugoslawien begangenen Verbrechen nichts ändern, sondern einzig von dem irrationalen Zug der kapitalistisch verfaßten Weltordnung zeugen, deren destruktive Wurzeln der Kosovo-Krieg an die Oberfläche gebracht hat. Das vorpreschende Selbstbewußtsein aber, mit der diese deutsche Kosovo-Linie exekutiert wurde, basierte auf einer Gewißheit, von der die Regierungen der anderen Nato-Mächte nicht ohne weiteres ausgehen können – auf der Gewißheit nämlich, keinen bedeutsamen innenpolitischen Debatten oder Widersprüchen unterworfen, sondern von einer fast einhelligen öffentlichen Zustimmung getragen zu sein. Insofern trifft auch für diesen Krieg zu, was der norwegische Publizist Johan Galtung über den Kontext der deutschen Anerkennungspolitik von 1991 einmal formulierte: „Ich sage, daß Deutschland hier ein Verbrechen begangen hat.“ Und doch sei nicht die Regierung das Hauptproblem. Weitaus bedrückender sei, „daß man das nicht diskutiert hat. Das Schlimmste hat eigentlich mit der Öffentlichkeit in Deutschland zu tun.“


(*) Matthias Küntzel ist Autor des Buches: Der Weg in den Krieg. Deutschland, die Nato und das Kosovo. Elefantenpress, Berlin 2000. Beim vorliegenden Artikel handelt es sich um die leicht gekürzte Stellungnahme des Autors beim 2. Internationalen Hearing des Europäischen Tribunals über den Nato-Krieg gegen Jugoslawien am 16. April 2000 in Hamburg. Eine englische Übersetzung kann per Email über den Autor bezogen werden: matkuentzel@aol.com. Ein Sammelband des Hearings ist soeben im Schkeuditzer Buchverlag erschienen: „Die deutsche Verantwortung für den Nato-Krieg gegen Jugoslawien.“
 10. Juni 2000