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„Im Vorfeld der deutschen Industrie“
Gegeninformationsbüro 27. Januar 2002


Schäuble und Lahmers stellten in ihrem CDU-Strategiepapier von 1994 fest, dass der Osten als Aktionsraum für deutsche Politik zurückgekehrt sei und die Siemens-Konzernfürsten Kaske und von Pierer formulieren: „Mit den Kooperationen in Osteuropa verfolgen wir vor allem zwei strategische Ziele. Erstens sollen sie den Zugriff auf neue Märkte, insbesondere in Osteuropa verschaffen. Zweitens brauchen wir Niedriglohnstandorte, in denen wir so kostengünstig produzieren können, dass sich die Produkte auf den kaufkraftschwachen Ostmärkten absetzen lassen.“ Neben den von Schäuble und Lamers aufgeführten Interessen, stellt die Erschließung und der Transport von Rohstoffressourcen ein drittes strategisches Ziel deutscher Politik und Großkonzerne dar.

Aufgrund gescheiterter Kolonialpolitik und verlorenem zweiten Weltkrieg war die deutsche Erdölindustrie immer dazu verdammt, ein vergleichsweise mittelständisches Unternehmen im Gegensatz zu britischen und US-Ölkonzernen zu sein. Seit etwa zehn Jahren versuchen deutsche Unternehmen bei der Jagd auf neue Erdöl- und Erdgaslagerstätten gegenüber der Konkurrenz aufzuholen. Die BASF-Tochter Wintershall möchte Geschäfte in Libyen machen (gerät dort allerdings in Widerspruch zur US-Embargopolitik gegenüber dem nordafrikanischen Staat) und RWE-DEA investiert gemeinsam mit der Erdöl- und Erdgasgesellschaft Berlin (EEG) in Kasachstan. Der derzeitige Poker um den deutschen Mineralölmarkt und der von Kartellwächtern befürchteten Monopolisierung des Benzinverkaufs an Tankstellen ist Ausdruck der Spezialisierung und Kapitalakkumulation, um in größere Geschäfte u.a. in Zentralasien einzusteigen.

Um diesen Einstieg zu erleichtern unterhält die Bundesrepublik eine Reihe von Vorfeldinstitutionen, die der deutschen Wirtschaft neue Märkte und Einflusszonen öffnen soll. Dazu gehören so genannte Entwicklungshilfeinstitutionen wie die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), wirtschafts- und technisch-wissenschaftliche Institutionen wie die Bundesagentur für Außenwirtschaft (bfai), das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) oder die Bundesanstalt für Materialprüfung – ehemals Militärversuchsamt – sowie die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Informationen über Auslandsmärkte liefert die 1951 unter Wirtschaftsminister Ludwig Erhard gegründete bfai. Sie ist eine Servicestelle des Bundeswirtschaftsministeriums und dient in erster Linie der deutschen Exportwirtschaft. Einer der Schwerpunkte der letzten Jahre waren Analysen des ehemaligen Jugoslawien und der zentralasiatischen Staaten. Ein besonderes Augenmerk auf diese Regionen legt auch die BGR. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe blickt auf eine lange Tradition zurück. 1873 als Königlich-Preußische Geologische Landesanstalt gegründet, war sie seit jeher eng verbunden mit der deutschen Erdölindustrie, d.h. der DEA, Elwerath (heute BEB), Wintershall und Preußag. Für die Beratung der deutschen Erdölwirtschaft führt die BGR noch heute regelmäßige Austauschsitzungen mit deutschen Bergbau- und Explorationsfirmen durch. Diese Erdölgeologischen Austauschsitzungen gehen auf das Jahr 1934 zurück. Am 1. Mai 1934 wurde das Institut für Erdölgeologie der Preußischen Geologischen Landesanstalt Berlin mit Zweigstelle in Hannover gegründet. Auf Initiative des Leiters, Alfred Bentz, fand die erste Austauschsitzung am 7. Juni 1934 in Hannover statt. Hintergrund dieser seither regelmäßig stattfindenden Sitzungen war die Sicherstellung der Öllieferungen für die deutsche Industrie und das Militär. Aus diesen Kreisen kamen entscheidende Impulse, den lange Zeit nur geträumten Krieg, Wirklichkeit werden zu lassen. Die Abhängigkeit von Ölimporten wurde auch von Geologen der Preußischen Geologischen Landesanstalt analysiert. „Deutschland kann daher die russischen Erdöle aus dem Kaukasus kaum entbehren, wie Russland ja durch seine überaus günstige Erdölindustrie überhaupt in der Lage ist, nicht nur sich selbst und Deutschland, sondern auch andere Länder mit Erdölen zu versorgen“, erläuterte der Bezirksgeologe Prof. Dr. Ernst Meister in seiner 1921 erschienenen Abhandlung „Erdöl im Kaukasus“.

Innerhalb der Gruppe deutscher Geologen bei der Geologischen Landesanstalt, die 1939 in der Reichsstelle für Bodenforschung (ab 1941 Reichsamt für Bodenforschung) aufging, war nationalsozialistische Gesinnung kein Einzelfall. Im Jahrbuch des Reichsamtes für Bodenforschung von 1941 findet sich der Nachruf von Heinrich Hellmers auf den Chemiker Ernst Heuseler, seit 1. April 1941 Leiter der gesamten chemischen Abteilung des Reichsamts für Bodenforschung, in dem es u.a. heißt: „Eine besondere Freude hatte er aber noch kurz vor seinem Tode, als seine Verdienste um die Rohstoffbeschaffung auch für den gegenwärtigen Krieg, die er sich durch eine große Anzahl von Erzuntersuchungen erworben hatte, vom Führer durch die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes anerkannt wurden. (...) Er trat dann auch unmittelbar nach der Gründung der nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft an der Geologischen Landesanstalt durch Prof. Wiegers in dieselbe zu einer Zeit ein, als irgendwelche Betätigung für die NSDAP den preußischen Beamten noch streng verboten war.“

Der bereits zitierte Geologe Prof. Dr. Ernst Meister wird als Protagonist des Wandels der Geologie zur Kriegswissenschaft charakterisiert. Als „unerschrockener und heldenmütiger“ Soldat erhielt er eiserne Kreuze im ersten Weltkrieg und mit „der gleichen Gründlichkeit widmete sich Meister dem Ausbau der Kriegsgeologie, deren Bearbeitung im Rahmen der Geologischen Landesanstalt ihm übertragen war. Es war ihm vergönnt, im Anfang des Krieges diese theoretisch angefangenen Arbeiten in die Praxis umzusetzen. Schon lange vor dem Ausbruch des Krieges hat er sich freiwillig für einen etwaigen Fall der Wehrmacht zur Verfügung gestellt. Bei der Ausführung dieser praktischen Arbeit hat ihn der Tod ereilt.“ Die wohlwollenden Worte auf den Weltkriegs- Veteranen und verdienten Kriegsgeologen Ernst Meister stammt aus der Feder von Alfred Bentz, jenem bereits erwähnten Leiter des Institutes für Erdölgeologie, dem die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe auch heute noch einen Platz mit seinem Namen auf ihrem Gelände widmet. Er war es auch, der nach dem Krieg zunächst von den Alliierten verhaftet werden sollte, jedoch beim Oil-Department der britischen Militärregierung unentbehrlich war und 1946 den neuen deutschen Geologischen Dienst – die heutige BGR – aufbaute.

Die BGR beschäftigt heute 729 Personen und verfügte 1999 über einen Haushalt von 122,6 Millionen Mark. In ihrer Selbstdarstellung definiert die Anstalt unter dem Titel „Die Arbeiten der BGR im Vorfeld der deutschen Industrie“ ihr Aufgabenfeld wie folgt: „In unserem marktwirtschaftlichen System ist Rohstoffversorgung eine Aufgabe der Wirtschaft, nicht des Staates. Der Staat schafft die Rahmenbedingungen durch seine Wirtschaftspolitik, unterstützt die Wirtschaft durch flankierende Maßnahmen, zum Beispiel durch den Abschluss von Kapitalschutzabkommen für Rofstoffinvestitionen im Ausland, und stellt u.a. eine technisch-wissenschaftliche Infrastruktur durch die Geologischen Dienste zur Verfügung. (...) Neben den jährlichen Rohstoffsituationsberichten und den regelmäßig aktualisierten Energieberichten konzentriert sich die BGR mit ihren Länderanalysen jetzt im wesentlichen auf die früheren COMECON-Länder.“ Detailliertes Kartenmaterial der Staaten um das Kaspische Meer sowie wissenschaftliche Einschätzungen über Qualitäten und Quantitäten der vorhandenen Rohstoffe sind das Spezialgebiet der BGR, mit der sie der deutschen Industrie den Weg weist, wo es was zu holen gibt. Der Name der staatlichen Anstalt wurde nach dem Krieg geändert, der Charakter ist geblieben.

Die BGR war und ist ein Tatort!
 27. Januar 2002