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Manöver am Congo
Christoph Marischka Informationsstelle Militarisierung (IMI) 11. Juli 2005


Während die korrupte Regierung der Warlords die Wahlen verschiebt, rüstet die EU mit Entwicklungshilfegeldern die kongolesische Polizei zur Aufstandsbekämpfung.

Die Demokratische Republik Congo (DRC) scheint von EU-Politikern in erster Linie als Testgebiet für künftige militärische und zivilmilitärische Operationen in Afrika gesehen zu werden. Nachdem schon die Operation Artemis im Sommer 2003 als „Geburtsstunde der europäischen Sicherheitspolitik“ [1] gefeiert wurde, findet gegenwärtig auch die erste „zivile“ Mission im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) in Afrika auf dem Gebiet der DRC statt. Am 2. Mai beschloss der Europäische Rat nun, diese Polizeimission militärisch zu flankieren. Am 8. Juni landeten die ersten acht hochrangigen EU-Militärs, um als Spezialisten bei der Reform des Sicherheitssektors beratend und unterstützend mitzuwirken. Als Grundlage der beiden aktuellen Missionen dient eine offizielle Einladung der kongolesischen „Regierung des Übergangs“, die sich aus Warlords zusammensetzt und nun die auf den 30. Juni angesetzten Wahlen um sechs Monate verschoben hat. An diesem Datum, zugleich der „Unabhängigkeitstag“, gab es massive Proteste der Zivilbevölkerung, welche die korrupte Regierung endlich abwählen möchte. Diese wurden von Polizei und Militär mit scharfen Waffen angegriffen. Es gab in mehreren Städten Tote und Verletzte, deren genaue Zahl unklar ist. In der Folge wurden Radiosender und Zeitungen, die über die Proteste berichteten eingeschüchtert oder vorübergehend geschlossen. Funktionäre der UDPS, einer Partei der zivilen Opposition, die zur Absetzung der aktuellen Regierung zu zivilem Ungehorsam aufrief, wurden verhaftet. Bei diesen Repressiven Massnahmen könnten Polizeikräfte zum Einsatz gekommen sein, die von europäischen Polizisten in Aufstandsbekämpfung ausgebildet wurden und deren Ausrüstung vom Europäischen Entwicklungsfond finanziert wurde.

Insofern zeigt eine Analyse der EU-Politik gegenüber der DRC, dass die zunehmend interventionistische ESVP nicht am Aufbau ziviler, demokratischer Strukturen interessiert ist, sondern an der Errichtung zentralisierter Sicherheitsapparate. Dabei werden auch korrupte Regime von Kriegsverbrechern unterstützt, wenn diese sich mit zivilem und militärischem Druck für EUropäische Interessen instrumentalisieren lassen.


Der Status Quo

Die DRC als politisches Gebilde geht auf den einst vom belgischen König Leopold II als Privatbesitz kolonialisierten und ausgebeuteten „Freistaat Kongo“ zurück. Wie meistens berücksichtigte die koloniale Grenzziehung keine traditionellen und sozialen Gegebenheiten und so ist die Bevölkerung äußerst heterogen. Die Kolonialherrschaft zerstörte die hergebrachten sozialen Systeme und behinderte den Aufbau neuer autonomer politischer und sozialer Strukturen. Als die DRC 1960 völlig überstürzt in die Unabhängigkeit entlassen wurde, brach sofort ein Bürgerkrieg aus, woraufhin belgische und US-amerikanische Truppen das Land befriedeten, den gewählten Präsidenten Lumumba ermorden ließen. Durch sie wurde der Diktator Mobutu an die Macht gebracht, welchen sie den gesamten Kalten Krieg über unterstützten. Mobutu war nicht nur als antikommunistisches Bollwerk wichtig, sondern ließ die West-Mächte im Austausch für üppige Entwicklungsgelder, die er unter seiner Clique aufteilte, die vielen wertvollen Rohstoffe des Kongo ausbeuten. Mobutu wurde 1997 von Laurent-Desire Kabila gestürzt, der sich zum Präsidenten ernannte. Zwei Jahre später entbrannte ein neuer Bürgerkrieg, in den alle umliegenden Staaten verwickelt waren. Dieser Krieg erwies sich für die beteiligten Armeeführer und Warlords als äußerst rentabel: Die Gewinne aus dem Export der abgebauten Rohstoffe können sich die Eliten einstreichen, während sich die Soldaten durch Plünderungen selbst finanzieren. So perpetuierte sich der Krieg und verlor jegliche politische Zielsetzung. In gewisser Weise dauert er bis heute an. Unter Joseph Kabila, der das Präsidentenamt von seinem, unter unbekannten Umständen ermordeten, Vater übernahm, kam es zu einer Reihe von Friedensverhandlungen. Nachdem Ruanda und Uganda 2002 offiziell ihre Armeen zurückzogen, wurde eine Übergangsverfassung verabschiedet, die bis Juni 2005 in freie Wahlen münden sollte und eine Zusammenlegung der verschiedenen Milizen zur nationalen integrierten Armee vorsah.

Diese Verfassung hatte allerdings einen schwer wiegenden Fehler: Der Präsident, sowie die vier Vizepräsidenten, sind Kriegsverbrecher. Außer dem Vertreter der politischen Opposition befehligen alle noch heute eigene Armeen und Milizen, die das Land, vor allem die Minen, unter sich aufgeteilt haben. Wenn es in der Hauptstadt Kinshasa zu Streitigkeiten um Geld oder Macht kommt, führt dies häufig zu Gefechten in anderen Provinzen. Neben den Milizen, die an der Regierung beteiligt sind, existieren noch eine Vielzahl bewaffneter Gruppen, die in wechselnden Allianzen aktiv sind, das heißt, das Land plündern und die Menschen ausbeuten. Die größte landesweite Organisation, die nicht am militärischen Konflikt beteiligt ist, die Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt (UDPS), ist nicht an der Regierung beteiligt. Die UN-Mission MONUC ist seit Ende 1999 im ganzen Land aktiv und hat es mit einem Budget von 700 Millionen US-Dollar im Jahr immerhin geschafft, 14 000 Soldaten im Osten der DRC zu entwaffnen (darunter 4000 Kindersoldaten) [2]. Sie hat in vielen Gebieten einen schlechten Ruf, nicht zuletzt, weil zahlreiche Fälle von Kindesmissbrauch und Zwangsprostitution bekannt geworden sind und sie häufig in Gefechte verwickelt ist.


Übungsgelände der EU

Die DRC stellt also insofern [3] den Prototypen dessen dar, was in Strategiepapieren gerade als failed state (gescheiteter Staat) bezeichnet wird, und durch einen erweiterten Sicherheitsbegriff als eine der Hauptbedrohungen sowohl der westlichen Staaten als auch „Menschlicher Sicherheit“ insgesamt identifiziert wird. Dieser erweiterte Sicherheitsbegriff wurde zunächst durch die Nationale Sicherheitsstrategie der USA von 2002 geprägt und später in der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) und von den UN übernommen. Um dem Bedeutungs- und Legitimationsverlust zu entgehen, konstatieren die UN in ihrem Reformpapier „A more secure world – our shared responsibility“ [4] eine Verantwortung der Staatengemeinschaft zum Schutz der Individuen und gibt damit grünes Licht, künftig allen möglichen Interventionen der USA und EU zuzustimmen, sowie Verletzungen der Souveränität so genannter „failed states“ zu tolerieren. Die USA und die EU entscheiden aber nach eigenen Interessen, wann sie eine solche Intervention vornehmen. So äußerte Struck im Hinblick auf die Operation Artemis in der DRC vor dem Forum Bundeswehr & Gesellschaft der Welt im November 2004: „Moral und Geschichte reichen sicherlich nicht aus, um in jedem Einzelfall über Europas sicherheitspolitisches Engagement zu entscheiden. Andere Faktoren müssen hinzukommen, vorrangig die europäischen Interessen. (...) Zu diesen Interessen gehören der Schutz gegen internationalen Terrorismus oder die Begrenzung der Auswirkungen destabilisierender Konflikte in der europäischen Nachbarschaft. Dazu gehören auch der Schutz vor illegaler Immigration und organisierter Kriminalität oder der Schutz der Energie- und Rohstoffversorgung.“ [5]

So ehrlich es klingt, offenbart dieses Zitat aber nicht die wahren Gründe für den Einsatz in Zentralafrika. Während es bei der späteren Mission im Sudan ganz offensichtlich um Öl und die Interessen europäischer Konzerne geht, [6] war Artemis als erste autonome Militärmission der EU primär ein Testlauf für zukünftige Missionen und der vermeintliche Beweis für die Handlungsfähigkeit europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Insbesondere Deutschland hat, unter anderem um seine Chancen auf einen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu verbessern, in den letzten Jahren darauf gedrängt, die EU zu einer eigenständigen Militärunion auszubauen. Die DRC hat sich in mehrfacher Hinsicht als „Trainingsgelände“ angeboten. Die Situation dort ist bei aller Grausamkeit in den letzten Jahren relativ stabil und das ressourcenreiche Land liegt im Zentrum des afrikanischen Kontinents. Die USA können sich wegen des Irak-Debakels gerade nicht entsprechend in Afrika engagieren, weshalb die EU darauf drängt schnell ihren Einfluss in dieser teilweise ressourcenreichen und „nahe liegenden“ Region auszubauen.


Erste Übung: Artemis

Vor allem die Geschwindigkeit, in der die EU-Mission Artemis realisiert wurde, ist beeindruckend. Nach Absprachen zwischen Kofi Annan und der französischen Regierung ersuchte der UN-Generalsekretär am 15. Mai 2003 offiziell den Sicherheitsrat, einer zeitlich befristeten, multinationalen Notfall-Eingreiftruppe zuzustimmen. Am 19. Mai beschloss der Europäische Rat, zu prüfen, ob solch eine Mission im Rahmen der ESVP durchzuführen sei und die nötigen Ressourcen zur Verfügung stünden. Erst damit wurde die Möglichkeit öffentlich, dass in der Region der großen Seen ein erster autonomer militärischer Einsatz der EU stattfinden könnte und in europäischen Medien wurde verstärkt über die humanitäre Lage und Massaker in der Provinz Ituri berichtet (verstärkt wurde diese Aufmerksamkeit ab dem 3.Juni, als eine „Informationskampagne“ durch den EU-Rat gestartet wurde). Am 30. Mai dann verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 1484 (2003), die ein robustes, aber zeitlich bis zum 1. September 2003 begrenztes Mandat für die EU-Eingreiftruppe beinhaltete und Aufgaben und Ziele des Einsatzes definierte. Fünf Tage später wurden die ersten französischen Soldaten in die DRC verlegt.

Die strategische Planung und die Abstimmungen im Europarat brauchten nur sechs Tage. Die anschließende operationelle Planung durch die Einsatzführung und den Militärausschuss der EU wurde in weiteren sechs Tagen abgeschlossen und am 11. Juni durch den Europarat bestätigt. Am folgenden Tag begann offiziell die EU-Mission Artemis. Nachdem der deutsche Bundestag bereits am 6. Juni über eine Beteiligung diskutiert hatte, beschloss er am 18. Juni eine Beteiligung am Einsatz mit 350 Soldaten, sowohl im Planungs- und Führungszentrum in Paris als auch am einsatznahen Transportstützpunkt in Entebbe (Uganda).

Die operationelle Planung der EU-Mission umfasste lediglich die ersten zwei von den zehn Forderungen der UN-Resolution 1484. Die anderen acht Punkte richteten sich in erster Linie an alle UN-Mitglieder und zielten auf ein langfristiges Engagement der UN ab. Was dadurch an Aufgabenstellung für die Mission Artemis übrig blieb, trägt eher die Züge eines Manövers zu Übungszwecken denn die eines Einsatzes, der eine humanitäre Katastrophe verhindern und die Lage stabilisieren soll. Aus dem Ziel, zur „… Stabilisierung der Sicherheitsbedingungen und zur Verbesserung der humanitären Lage in Bunia beizutragen, den Schutz des Flughafens sowie der Binnenvertriebenen in den Lagern in Bunia zu gewährleisten und, falls die Situation es erfordert, zur Sicherheit der Zivilbevölkerung, des Personals der Vereinten Nationen und der humanitären Helfer in der Stadt beizutragen“ [7] und damit eine Verstärkung der MONUC-Kräfte durch die UN zu ermöglichen, wurde folgender Einsatzplan [8]:
  • die sofortige Verlegung von Vorkommanden;
  • die vorgestaffelte Verlegung von Spezialeinsatzkräften zur Aufklärung und Erkundung;
  • die Sicherstellung einer nahe gelegenen Einsatzbasis als Umschlagplatz vom strategischen zum taktischen Lufttransport (Entebbe);
  • die Sicherung des Flughafens Bunia als einzigen leistungsfähigen Port of Debarkation (POD, wörtl. Ausschiffungshafen, hier sinngemäß Eintrittsmöglichkeit in den Einsatzraum);
  • die Sicherstellung einer Einsatzbasis im Einsatzraum;
  • die Koordination der Einsatzführung mit der ebenfalls vor Ort agierenden MONUC (Mission de l’Organisation des Nations Unies en République démocratique du Congo);
  • die Stabilisierung und Verbesserung der Sicherheitslage in und unmittelbar um Bunia.
Die Operation umfasste drei afrikanische Staaten. Als logistischer Stützpunkt fungierte Entebbe in Uganda, wo die meisten deutschen Soldaten stationiert waren. Von Tschad aus wurden Aufklärungsflüge gestartet und in Bunia (DRC) waren fast ausschließlich französische Truppen damit beauftragt, den Flughafen zu sichern, Flüchtlingslager zu schützen und in der Stadt für Ruhe zu sorgen. Die Vorhut bildeten dabei stets Spezialeinheiten, die das Gelände sicherten und die Bevölkerung einschüchterten, die dann durch reguläre Truppen ersetzt wurden. Bevor die ersten EU-Soldaten in Bunia landeten, wurde dennoch mit der vorrangig in Bunia aktiven Armee, der UPC des Thomas Lubanga, vereinbart, dass sie die Stadt räumen würde. Im Umkreis von zehn Kilometern wurde allen außer den EU- und UN-Soldaten verboten, Waffen zu tragen. Eigentlich hatte die Stadt 300 000 Einwohner. Als die Europäer ankamen waren noch knapp 90 000 da. Während der Operation Artemis sind 25 000 zurückgekehrt und andere wiederum geflohen. Vor allem nachts kam es vereinzelt zu Schusswechseln in der Stadt. In der Umgebung sowieso, denn die aus der Stadt vertriebenen Soldaten zogen sich auf das Land zurück. Die Bauern flohen vor ihnen in die Berge.

Nach knappen drei Monaten wurde die Mission planmäßig beendet, die gestärkte UN-Mission MONUC, deren Soldaten hauptsächlich von Bangladesh, Nepal, Pakistan und Indien bereitgestellt werden, übernahm wieder das Kommando in Bunia. An der humanitären Gesamtlage und der politischen Unordnung in der DRC hatte sich nichts geändert, dafür war Artemis von Anfang an nicht ausgelegt, sie war dafür zu klein, zu beschränkt und zu blind für die politischen Verhältnisse. Obwohl Kofi Annan die EU-Staaten mehrfach darum bat, Soldaten für die UN-Mission beizusteuern, verhielten sich die Regierungen hier wesentlich zurückhaltender als wenn es um robuste Kampfeinsätze unter eigener Flagge geht. Denn nach Abzug der EU-Soldaten verschwand der weitere Verlauf des Konfliktes in der DRC schnell wieder aus dem Blick der europäischen Öffentlichkeiten. Zum Glück der EU-Strategen, denn diese genierten sich in der Folge nicht, die Operation Artemis als Erfolg zu bewerten und als Beweis für kerneuropäische Führungskraft und militärische Unabhängigkeit:

„Deutschland und Frankreich begrüßen den Erfolg der Operation „Artemis“ in der Demokratischen Republik Kongo, der ersten eigenständig durchgeführten militärischen Operation der Europäischen Union. Mit dieser Operation zur Stabilisierung und Verbesserung der humanitären und Sicherheitslage in Bunia hat die Europäische Union ihre politische und militärische Fähigkeit gezeigt, schnell und effizient auf eine Krisensituation zu reagieren.“ [9]

An der UN-Mission nehmen hingegen nur drei (!) reguläre Soldaten aus Frankreich teil, das zuvor immerhin Lead-Nation (Führungsnation) beim EU-Kampfeinsatz war und sich stets so besorgt um die humanitäre Lage in der DRC gezeigt hatte. Deutschland verweigert jegliche personelle Unterstützung, während Tschechien (3), Belgien (7), England (6) und Frankreich (6) gemeinsam immerhin 22 Militärbeobachter beisteuern. Kofi Annan schlug im Oktober letzten Jahres vor, die MONUC-Mission angesichts neuer Eskalationen und der auf Juni 2005 angesetzten Wahlen auf knapp 24 000 Soldaten aufzustocken, doch in seinem Entwurf für die UN-Resolution 1565 korrigierte Frankreich die Zahl auf 16 700 herunter und Deutschland stimmte diesem Entwurf zu. Vor allem die EU-Staaten, die sich noch im Juni 2003 den UN zu einem robusten Kampfeinsatz geradezu aufdrängten und etwas von humanitärer Verantwortung heuchelten, zogen sich aus der Affäre, obwohl sie ihre Aktivitäten von Juni bis September 2003 als vollen Erfolg bejubelten und ohne Verluste an Menschenleben beenden konnten.


Zweite Übung: EUPOL

Während das high level panel der UN noch an den Reformvorschlägen gearbeitet hat, und dabei quasi Idealtypen von Interventionen entwarf, arbeitete eine Studiengruppe aus Politikern, Wissenschaftler und Militärs (Study Group on Europe’s Security Capabilities) im Auftrag des EU-Außenbeauftragten Solana bereits an der Antwort: Die Human Security Doctrine for Europe (HSD) [10] argumentiert ebenso wie das UN-Panel, dass es sowohl moralische Verpflichtung als auch „aufgeklärtes Eigeninteresse“ sei, in verschiedenen „gescheiterten“ Staaten zu intervenieren, wobei die HSD keinen Zweifel daran lässt, dass dies nur bei entsprechendem Kosten/Nutzen- Verhältnis geschehen wird, und dann auch notfalls ohne UN-Mandat [11]. Zur Umsetzung solcher zukünftiger Missionen wird die Aufstellung einer zivil-militärischen Human Security Response Force, bestehend aus 10 000 SoldatInnen und 5000 ZivilistInnen vorgeschlagen. Mit diesem Konzept zur Integration ziviler Akteure in militärische Interventionen ist die EU den USA einen Schritt voraus und hat damit sowohl die Lehren aus dem partiellen Scheitern der Besatzungen in Afghanistan und dem Irak gezogen als auch auf die zivile Rhetorik des UN-Papiers reagiert. Was der HSD allerdings völlig fehlt, ist eine Analyse der Konflikte in den Regionen, welche die HSD schlicht als „Black Holes“ (Schwarze Löcher) beschreibt. Deshalb ist davon auszugehen, dass es den Autoren nicht wirklich um die Überwindung menschlicher Unsicherheit geht, sondern um die Legitimation zukünftiger EU-Militäreinsätze mit zivilem Flankenschutz.

Erste Erfahrungen mit nicht-militärischen Einsätzen im Rahmen der ESVP konnten die EU bereits bei Missionen auf dem europäischen Kontinent sammeln (EUJUST THEMIS in Georgien, EUPM in Bosnien und Herzegovina und EUPOL PROXIMA in Mazedonien). Die erste Übung auf dem afrikanischen Kontinent startete am 30. April 2005 wiederum in der DRC. Der entsprechende Beschluss [12] wurde vom Europäischen Rat am 9. Dezember 2004 getroffen, genau drei Monate nach dem Erscheinen der HSD und eine Woche nach der Veröffentlichung des UN-Papiers.

Die Aufgaben der Mission EUPOL KINSHASA sind: „Instandsetzung und Renovierung eines Ausbildungszentrums und Bereitstellung der Grundausrüstung; Schulung der IPU [Integrierte Polizei Einheiten]; Folgemaßnahmen, Beobachtung und Anleitung bei der konkreten Umsetzung des Mandats der IPU im Anschluss an die erste Schulungsphase.“ Die IPU sind Sondereinheiten der Polizei, deren explizite Aufgabe es ist, die Institutionen und Personen der „Regierung des Übergangs“ zu schützen, also genau die Institutionen und Personen, die Ende Juni diesen Jahres durch eine Wahl ersetzt werden sollten, nun aber, gegen den Willen der Bevölkerung, ihre eigene Herrschaft um mindestens ein halbes Jahr verlängert haben. 1008 dieser Polizisten will die EU ausrüsten und trainieren, was seit August 2004 durch 18 europäische Polizeiausbilder begonnen und durch den Europäischen Entwicklungsfond(!) (EDF) mit 585 000 Euro finanziert wurde [13]. Mit dem Beschluss des Europäischen Rates wurde die Zahl der Ausbilder im April 2005 auf 30 erhöht und die Leitung dem Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSC) der EU überantwortet, während sich der EDF weiterhin an der Finanzierung beteiligt. Das Mandat beläuft sich auf zwölf Monate, was insofern bemerkenswert ist, als dass die IPU ja nach der Wahl obsolet werden sollten. Der Europäische Rat ging also von Anfang an davon aus, dass die Wahlen verschoben werden und war bereit, diejenigen Einheiten auszubilden, die das kleptokratische Regime vor denjenigen schützen sollen, die endlich Wahlen fordern. Dass deren Ausrüstung teilweise mit „Entwicklungsgeldern“ finanziert wird, sagt viel darüber aus, was in Wirklichkeit unter dem Begriff „Demokratieexport“ zu verstehen ist.

Waffen in ein Land zu exportieren, um dort den Friedensprozess zu fördern, klingt zunächst absurd, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass die UN im Osten damit beschäftigt sind, Waffen einzusammeln. Nach Angaben des Einsatzleiters Adílio Ruivo Custódio werden die von der EU ausgerüsteten IPUs teilweise in den Osten des Landes entsandt, wo noch immer die heftigsten Kämpfe stattfinden. Eines der Hauptprobleme dort ist, dass die Einheiten meistens keinen Sold aus Kinshasa erhalten und von Plünderungen leben. Wenn ihnen das untersagt wird, da sie nun Teil der neuen, integrierten nationalen Armee sind, spalten sie sich häufig wieder ab. Die nationale integrierte Armee besteht aus Soldaten früherer Milizen. Und: bewaffnete Soldaten hungern nicht.

Wie schon bei Artemis wurde hier eine Mission konzipiert, die eigentlich gar nicht fehlschlagen kann, da sie auch kaum konkrete Ziele hat und an der Gesamtlage in der DRC gar nichts ändern soll. Es sei denn, bei den erwartenden Protesten Wahltermin und im Anschluss waren Polizisten beteiligt, die mit EU-Entwicklungshilfegeldern ausgerüstet wurden und dies wird öffentlich. Auf eine Anfrage des EU-Parlamentariers Tobias Pflüger ist zu hoffen, dass sich die Verantwortlichen von EUPOL Kinshasa diese Woche zu den Protesten und ihrer Niederschlagung im Außenpolitischen Ausschuss erklären müssen.

Aus ökonomischen und machtpolitischen Interessen haben die EU-Außenpolitiker jedoch keine Probleme mit der gegenwärtigen Regierung der DRC: Die Kriegsökonomie beutet Menschen und Bodenschätze ohne Rücksicht auf Arbeitnehmerrechte, Nachhaltigkeit oder Umwelt aus und führt den internationalen Märkten so Ressourcen zu günstigen Preisen zu; das Engagement im Testgebiet DRC lässt sich auf den ersten Blick leicht als „Verantwortung zum Schutz“ legitimieren (was Deutschlands Chancen auf einen Sitz im UN-Sicherheitsrat verbessert) und die Regierung unterstützt diese Manöver in ihrem Terrain durch offizielle Anfragen. Letzteres insbesondere deshalb, weil die Mission ausdrücklich darauf ausgelegt ist, die Regierung zu schützen und die Polizeikräfte, die der Zentralgewalt unterstehen, mit Waffen auszustatten [14].


Dritte Übung: EUSEC DR Congo

Tatsächlich war die Verschiebung der Wahlen absehbar und sie mag unter den gegebenen Umständen auch sinnvoll sein. Eine Einschätzung der UN [15] nennt legislative, technische, politische und Sicherheitsaspekte, die verbessert werden müssten, bevor Wahlen abgehalten werden sollten und moniert die fehlenden finanziellen Mittel. Das Hauptproblem ist allerdings ganz klar die Unterstützung der alten Eliten in der Regierung. Diese haben kein Interesse an einer Regierungsumbildung und versuchen, die politische (zivile) Opposition zu sabotieren. Ihre technischen Vorbereitungen für die Wahlen waren mehr als halbherzig, so begann die Registrierung der Wähler, die Monate in Anspruch nehmen wird, erst am 20. Juni 2005. Vielmehr lag der Regierung daran, alle ihr zugekommenen Gelder in die eigenen Taschen fließen zu lassen und neue Milizen für den Fall eines Aufstandes aufzustellen. Während sich die UN-Mission noch teilweise um die Vorbereitung der Wahlen kümmert, steht auch bei ihr, wie im Falle der EU, der Sicherheitsaspekt im Vordergrund. Daraus folgt die Zusammenarbeit mit den alten militaristischen Eliten, während die zivile Opposition international um Anerkennung und Unterstützung betteln muss.

Dementsprechend ergänzte die EU ihre „zivile“ Polizeimission nun mit EUSEC – DR Congo um eine militärische Komponente. Ziel dieser, am 2. Mai 2005 vom europäischen Rat beschlossenen Mission, ist es, „den für den Sicherheitssektor zuständigen kongolesischen Behörden beratend und unterstützend zur Seite [zu] stehen und darauf [zu] achten, dass Politiken, die mit den Menschenrechten, dem internationalen Humanitärrecht, den demokratischen Grundsätzen und den Grundsätzen einer verantwortungsvollen Staatsführung, der Transparenz und der Achtung der Rechtsstaatlichkeit vereinbar sind, zu fördern,“ [16] also vor allem die Eingliederung der Milizionäre in die integrierte nationale Armee, die den EU-Strategen die wichtigste Voraussetzung des „State-Building“ zu sein scheint. Es wird also auch hier, wiederum nach deren ausdrücklicher Einladung, mit den alten militärischen Eliten kooperiert. Auch diese Mission ist für mindestens ein Jahr vorgesehen und steht unter der politischen Kontrolle und strategischen Leitung des PSC. Neben einem eigenen Büro in Kinshasa werden die europäischen Militärs als „Experten“ folgenden Stellen zugeordnet: Dem Kabinett des Verteidigungsministers, dem Generalstab, dem Generalstab der Landstreitkräfte, der Nationalen Kommission für Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung (CONADER) und dem Gemeinsamen Operativen Komitee. Leiter der Mission wird der französische General Pierre Michel Joana sein, der zuvor 4000 Soldaten in der Elfenbeinküste befehligte. Sein Stellvertreter ist der belgische Oberst Marc Van Dalem. Insgesamt umfasst die Mission, über deren Verlauf bisher wenig bekannt ist, acht hochrangige EU-Militärs, die seit dem 8. Juni in der DRC sind.


Neokoloniale Ambitionen

Die französisch-belgische Leitung der Mission verweist über ihren Übungszweck hinaus auch auf den neo-kolonialen Charakter der EUropäischen Afrika-Politik. In den ehemaligen Kolonien, die nie in eine wirkliche Unabhängigkeit entlassen wurden, wird heute „Staatszerfall“ diagnostiziert und unter dem Deckmantel einer „Verantwortung zum Schutz“ interveniert. Die DRC gilt dabei für Afrika als Testgebiet und hier zeigt sich, dass auch eine korrupte, militaristische Elite gegenüber der Zivilgesellschaft gestärkt wird, wenn sie zur Kooperation mit den EU-Strategen bereit ist. „Sicherheit“ bedeutet für diese in erster Linie Staatlichkeit, und diese wiederum wird in erster Linie durch zentralisierte Sicherheitsapperate definiert. Im Falle der DRC heißt das, dass EU-Polizisten und EU-Militärs in den höchsten Sicherheitsgremien Einfluss ausüben dürfen, dafür die Sicherheitskräfte ausbilden und ausrüsten und zwar im vollen Wissen darüber, dass die Verschiebung der Wahlen in nächster Zeit Proteste der Zivilgesellschaft hervorbringen wird, die von diesen Sicherheitskräften niedergeschlagen werden. Künftige Missionen werden diesen Mustern folgen und verstärkt auf zivil-militärischer Zusammenarbeit beruhen. Dies ist nicht nur effizienter, sondern erzeugt auch Zustimmung bei den UN, die zur Legitimationsinstanz für die neokolonialen Ambitionen der EU zu verkommen droht. In Deutschland laufen diesbezüglich die Vorb ereitungen auf Hochtouren. So bemühen sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit in letzter Zeit verstärkt um eine Einbindung entwicklungspolitischer und humanitärer Organisationen in die Sicherheitspolitik und Verteidigungsminister Struck plant mit Innenminister Schily ein Gesetz, das dafür sorgt, dass BGS- Beamte zu Auslandseinsätzen verpflichtet werden können: „jemand, der jetzt neu zum BGS oder zur Bundespolizei kommt, muss auch wissen, dass sein Dienstherr ihn in einen solchen Auftrag schicken kann“ [17] Denn: Die deutsche Sicherheit wird auch am Congo verteidigt.


Fußnoten:
  1. So bezeichnete sie die frz. Außenministerin Michèle Alliot-Marie, vgl. Marischka, Christoph, „Kongo: Die unendliche Geschichte westlicher Ausbeutung“, in: AUSDRUCK – Das IMI-Magazin (Februar 2004), S. 13-17, S. 17. [back]
  2. MONUC: Press Briefing – Wednesday, 15 June 2005. [back]
  3. ...insofern oben in erster Linie politisch-administrative und militärische Zustände beschrieben wurden und zivile, oppositionelle und soziale Organisation weitgehend ignoriert wurde. Dies entspricht allerdings der Wahrnehmung internationaler politischer und militärischer Eliten und begründet somit deren hoffnungsloses „Engagement“. [back]
  4. A more secure world : our shared responsibility; report of the High-Level Panel on Threats, Challenges and Change / United Nations. – [New York], 2004. [back]
  5. Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Peter Struck, anlässlich des 15. Forums Bundeswehr & Gesellschaft der Welt am Sonntag am 9. November 2004 in Berlin. www.bmvg.de. [back]
  6. Jürgen Wagner und Tobias Pflüger: „Auf in den Sudan“ in: AUSDRUCK – das IMI-Magazin, Juni 2005. [back]
  7. UN-Resolution 1484 (2003) [back]
  8. Zitiert nach: Major Kurt Radner: „ARTEMIS“ – die EU-Mission im Kongo, in: Bundesministeriums für Landesverteidigung Zeitschrift Truppendienst – Folge 274, Ausgabe 1/2004 [back]
  9. Erklärung des Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates. Berlin, 18. September 2003 [back]
  10. A Human Security Doctrine for Europe: the Barcelona report of the study group on Europe’s security capabilities. [back]
  11. „Falls die EU sich entscheidet, Interventionen auch ohne Zustimmung des Sicherheitsrates zu ermöglichen, sollten rechtliche Rahmenbedingungen Kriterien und eine rechtliche Grundlage für solche Interventionen enthalten.“ ebd. Seite 24, eigene Übersetzung. [back]
  12. Council Joint Action 2004/847/CFSP [back]
  13. Natalie Pauwels: EUPOL ‘Kinshasa’: testing EU co-ordination, coherence and commitment to Africa, in: ISIS Europe: European Security Review 25, März 2005 [back]
  14. ebd. [back]
  15. Special report of the Secretary-General on elections in the DRC. www.monuc.org [back]
  16. Council Joint Action 2005/355/CFSP [back]
  17. So Struck in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. http://www.dradio.de/dlf/sendungen/idw_dlf/385306/
    siehe dazu auch Christoph Marischka: Die Grenze ist überall
    http://www.imi-online.de/2005.php3?id=1186 [back]
 11. Juli 2005