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In der Dollar-Klemme
Thomas Immanuel Steinberg www.steinbergrecherche.com 21. März 2006


Die iranische Ölbörse – Gefahr oder Panikmache?

Öl wird in US-Dollar gehandelt, ebenso wie ein Großteil der übrigen Welthandelsgüter. Doch im Juni 2004 verkündete der Iran, er plane eine Ölbörse auf Euro-Basis. [1] Nach älteren Pressemeldungen sollte sie am vergangenen 20. März 2006 ihre Tore öffnen, doch der Termin wurde verschoben.

Könnte die Teheraner Börse späterhin einen Dollar-Crash oder gar eine Weltwirtschaftskrise auslösen? Droht deshalb der Westen dem Iran mit Krieg? Im Netz kursieren solche Behauptungen. Die Financial Times Deutschland hat versucht, sie zurückzuweisen, mit guten und mit schlechten Argumenten. [2]


Die Lage der Weltwirtschaft

Unstrittig ist die weltwirtschaftliche Lage: Die USA führen 50 Prozent mehr Waren ein als aus. Die EU, China und ein paar andere Länder führen in die USA mehr aus, als sie von dort einführen. Das – übrigens ständig wachsende – Außenhandelsdefizit der USA bedeutet: Europäer und Chinesen stellen mehr Güter her, als sie verbrauchen, und US-Amerikaner verbrauchen mehr Güter, als sie herstellen. Das ständige und ständig wachsende Außenhandelsdefizit ist ein ständiges zinsloses Darlehen Europas und Chinas an die USA. Die Gläubigerländer gewähren den USA deshalb den Dauer-Kredit, weil zum einen ihre exportorientierten Industriellen davon profitieren; zum andern bildet er eine Kompensation für US-amerikanische Kriegs-Aufwendungen  im weltkapitalistischen Interesse. Die Hersteller der Waren, die arbeitenden Chinesen und Europäerinnen, haben das Nachsehen; die US-amerikanischen Verbraucher haben insoweit einen Vorteil, als ihnen die herrschende Klasse von teilweise kreditierten Waren zu leben gestattet, von Gütern also, die sie nicht hergestellt haben.


Die Crash-Gefahr

Freilich bezahlen die US-amerikanischen Importeure die Ware, und zwar in Dollar. Die ausländischen Exporteure kaufen vom Dollar-Erlös Anlagen in den USA: Immobilien, Fabriken und Besitztitel über Immobilien und Fabriken, also Anleihen und Aktien. Solange der Dollar seinen Wert behält oder sogar steigt, vermehren sie ihr Vermögen. Sinkt er, werden sie ihr Vermögen zu sichern versuchen, die Werte verkaufen, die erlösten Dollar zum Beispiel in Euro umtauschen und Werte in Euro-Land kaufen. Dadurch würde der Dollar, weil stärker angeboten und weniger nachgefragt, im Wert sinken. US-amerikanische Importeure könnten wegen des niedrigen Dollar-Werts nicht mehr soviel einkaufen. In die USA importierte Ware würde dort teurer werden, und die US-Verbraucher könnten nicht mehr soviel davon erwerben. Entsprechend könnten europäische und chinesische Exporteure nicht mehr soviel an die USA verkaufen. Fehlt es gleichzeitig in Europa an Binnennachfrage, sprich: fehlt den Leuten und dem Staat das Geld zum Ausgeben im Lande, wie zur Zeit der Fall, müßten hier Fabriken schließen, noch weniger Leute hätten Geld zum Einkaufen, und die Steuereinnahmen würden sinken. Das wäre der große Crash. Und daß er droht, steht außer Frage. [3]


Die irakische Euro-Ölbörse

Eine Teheraner Ölbörse, an der das wichtige Wirtschaftsgut Öl in Euro statt in Dollar gehandelt wird, könnte der Auslöser für rasche Währungsumschichtungen in den Export-Überschuß-Gebieten sein, also vor allem in China und der EU. Der Dollar-Wert würde sinken, mit den beschriebenen Folgen.

Ob die Ölbörse tatsächlich der Auslöser sein wird, ist fraglich. Zum einen hat der Beauftragte des iranischen Ölministers für die Errichtung der Teheraner Ölbörse,  Mohammad Javad Asemipur, laut Globe and Mail vom 14. März 2006 die Eröffnung nun erst für Mitte des Jahres 2006 angekündigt.  Zunächst sollen dort petrochemische Produkte gehandelt werden, und nach drei Jahren wahrscheinlich auch Rohöl. In welcher Währung gehandelt werde, würden die Marktteilnehmer entscheiden, nicht die iranische Regierung. [4] Zum anderen macht der Ölhandel zwar einen wichtigen, aber nur einen kleinen Teil der Weltwarenströme aus, wie die Financial Times zutreffend bemerkt.

Eine Kettenreaktion auf den Schwenk zum Euro im gesamten Weltölhandel ist dennoch denkbar, wie Cóilín Nunan im Jahre 2003 dargelegt hat. Auch verwies Nunan im November 2004 darauf, wann Großbritannien und die USA den Irak überfielen, nämlich als Saddam Hussein Verträge über Öl nur noch in Euro abzuschließen begann. Und als Venezuela Teile seines Öls als Barter-Geschäft (Ware gegen Ware) abzuwickeln anfing, um sich ebenfalls aus dem Dollar zurückzuziehen, entkam Hugo Chávez nur knapp einem Attentat. Der Europäischen Union, so Cóilín Nunan, käme eine Umstellung des Ölhandels auf Euro zupaß, zöge sie dann doch die gleichen Vorteile aus dem Welthandel wie jetzt die USA: Sie könnte Öl und andere Waren für das Geld einführen, das sie selbst macht, statt für Dollar zugunsten allein der USA. Die EU, meint Cóilín Nunan, befürchte zwar eine abrupte Verschiebung vom Dollar auf den Euro wegen der drohenden Weltwirtschaftskrise. Eine allmähliche Verschiebung geriete ihr aber zum  Vorteil. [5]

Sebastian Dullien hält in der Financial Times Deutschland entgegen, die chinesische Zentralbank sei in den letzten Jahren der wichtigste Käufer von US-Wertpapieren gewesen und habe dadurch den Dollar gestützt; US-Finanzminister John Snow fordere jedoch China andauernd dazu auf, diese Stützkäufe einzustellen. „Wenn Washington erreichen will, daß der Rest der Welt weiter Dollar kauft, warum sollte es dann Druck auf den besten Treasury-Kunden (den besten Anleihen-Käufer, T:I:S) ausüben, die Dollar-Käufe einzustellen?“ Mit Cóilín Nunan ist die Antwort so einfach wie plausibel: Die USA können einen Rückzug ausländischer Investoren auf Dauer nicht verhindern und plädieren für das kleinere Übel: den allmählichen Rückzug. Auch sie fürchten einen Crash bei plötzlichem Rückzug aus dem Dollar.


Krieg um die Leitwährungsfunktion?

Ein Krieg gegen den Iran, so die Financial Times weiter, würde die US-Staatsausgaben in die Höhe treiben; ohne gleichzeitige Steuererhöhung würde sich das Handelsbilanzdefizit der USA sofort weiter erhöhen. Die USA hätten daher kein Interesse an einem Krieg aus diesem Grunde. Das stimmt – kurzfristig. Langfristig stimmt das Argument nur für den Fall einer Niederlage. Siegen die USA und können sich den iranischen Reichtum einverleiben, so, wie sie es jetzt im Irak versuchen, dann sind sie reicher und mächtiger, also kreditwürdiger, und können den bisherigen Kurs fortsetzen. Ein siegreicher Krieg über den Iran würde den USA tatsächlich für einige Zeit aus der Patsche helfen.


Die EU in der Dollar-Klemme

Die Financial Times meint zudem, die EU hätte ein Interesse an einer kräftigen US-Nachfrage. Ohne starken Export wäre, wegen der geringen Binnennachfrage, die eigene Produktionskapazität nicht ausgelastet. Bei einer Dollar-Abwertung würde die Außen-Nachfrage wegbrechen und die Arbeitslosigkeit in der EU steigen. Auch dieses Argument stimmt - beim gegenwärtigen Sachstand. Wie ausgeführt, fehlt auch europäischen Kapitalisten und deren Regierungen das Interesse an einem Dollar-Crash. Bekäme jedoch die europäische Bevölkerung, vor allem die untere Einkommensschicht, mehr Geld, und würden die europäischen Regierungen die Steuermittel auf inländische Aufgaben lenken, weg von der Export- und Exportindustrieförderung, dann könnte die EU ohne größere Gefahr vom Handel in Dollar auf den Handel in Euro umsteigen und im gleichen Zuge den Exportüberschuß gegenüber den USA abbauen.

Vereinfacht und ohne den Geldkreislauf betrachtet: Die Gütermasse der EU, die jetzt in die USA ausgeführt wird, ohne daß ihr eine entsprechende Einfuhr gegenüber steht, also der dauernd überschießende Teil des Außenhandels, bliebe in der EU und stünde hier zum Verbrauch zur Verfügung. Die Arbeiter und Angestellten würden die gleiche Gütermasse herstellen wie gegenwärtig, aber selber mehr davon haben (wenn ihnen Kapitalisten und Staat sie nicht auf andere Weise vorenthalten). Der europäische Außenhandelsüberschuß ist nichts anderes als die Gütermasse, die den europäischen Staaten und ihren Bewohnern zur eigenen Verwendung entzogen wird.

Eine derartige – keynesianische – Politik müßte gegen das ausfuhrorientierte und ausfuhrabhängige Kapital durchgesetzt werden; und gegen das Kapital insgesamt, das die dafür erforderlichen Lohnerhöhungen und die dafür erforderliche Stärkung der staaatlichen Binnennachfrage wegen der zugleich drohenden Gewinneinbußen fürchtet. Doch Exportkapital und Gesamtkapital werden täglich stärker: Die europäischen Regierungen stecken in der Dollar-Klemme. Um den Crash zu vermeiden, der auch das heimische Kapital treffen würde, müssen sie den Dollar – gegen das langfristige Interesse des heimischen Kapitals – bis auf weiteres stützen.


Staatskapitalistische Lösung in China

Auch chinesische Arbeiter produzieren viel mehr, als sie verzehren, nicht allein wegen des Unternehmergewinns, sondern vor allem wegen des chinesischen Außenhandelsüberschusses (von dem natürlich das exportorientierte chinesische Kapital immens profitiert). Chinesische Partei- und Staatsführung haben kürzlich wegen der Crash-Gefahr und der entstandenen systemgefährdenden Vermögens- und Einkommensunterschiede Kurs auf verstärkte inländische Verwendung der eigenen Fertigung genommen. Sie dürften damit ihre Export- und Dollar-Abhängigkeit mindern. [6]

Den EU-Ländern fehlt die zentrale Regulierungsinstanz, über die China verfügt. Eine Umsteuerung nach chinesischem Vorbild dürfte schwierig sein. Teile der EU-Herrschaftselite dürften begrüßen, daß der Iran Ölprodukte in Euro verrechnen will, statt in Dollar. Daß der andere Teil die Ölbörse für einen möglichen Crash-Auslöser hält, ist fraglich; und noch fraglicher, daß er aus diesem Grunde eine Beteiligung am  Krieg gegen den Iran wünscht und auch durchsetzt.

Die US-Herrschaftselite zielt mit ihrer Kriegsdrohung gegen den Iran auf die Beherrschung allen Öls in der Welt. Die Teheraner Ölbörsen-Planung könnte ihr dabei in die Quere kommen. Doch zur Zeit ist sie kein herausragender Kriegsgrund.


Fußnoten:
  1. Terry Macalister: Iran takes on west’s control of oil trading. Guardian,  Wednesday June 16, 2004 [back]
  2. Sebastian Dullien: Krieg um den Dollar. Internetforen zufolge werden die USA Iran angreifen, um den Dollar zu stützen – ein gefährlicher Mythos. Financial Times Deutschland, 17. März 2006, S. 32 [back]
  3. Für wie groß die Gefahr gehalten wird, belegt Sebastian Dullien (FTD) in einer Sündenbock-Volte: „Verschwörungstheorien“ im Internet könnten auf die europäische Herrschaftselite übergreifen und das weltkapitalistische Krisen-Pulver zünden. [back]
  4. John Partridge: Launch of Iranian oil trading hits wall. Globe and Mail.com March 14, 2006 [back]
  5. Cóilín Nunan: Petrodollar or Petroeuro? A new source of global conflict. In: Growth: The Celtic Cancer, the second Feasta Review, November 2004 [back]
  6. Nationaler Volkskongreß billigt den 11. Fünfjahresplan www.China.org.cn, 15. März 2006 [back]
 21. März 2006