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Postmoderne Kriegsdiskurse
Ralf Bendrath www.heise.de 13. Dezember 1999


Die Informationsrevolution und ihre Rezeption im strategischen Denken der USA

Fast unbemerkt hat die Postmoderne nun auch die Militärs erreicht. Obwohl bereits der Vietnamkrieg als der erste „postmoderne Krieg“ bezeichnet wurde [1], finden erst seit kurzem postmoderne Theoreme ihren Eingang in militärische Planungspapiere und konservative Denkfabriken. Feste Hierarchien gelten plötzlich als überholt, die Grenzen zwischen Krieg und Frieden oder zwischen innerer und äußerer Sicherheit werden eingerissen, und der Krieg findet nicht mehr auf dem Schlachtfeld, sondern auf den Computerterminals der Kommandeure statt. Am Ende wird der Kämpfer arbeitslos, wegrationalisiert durch autonome Kampfroboter und Manager des Informationskrieges.

So oder ähnlich könnte man die in den letzten Jahren entstandene Diskussion im Umfeld der US-Streitkräfte zusammenfassen. Mit der Betonung der Informationstechnologien für die Zukunft des Krieges ist eine diskursive Entwertung der kämpfenden Truppen verbunden, die im Selbst- und Fremdbild der Streitkräfte immer identitätsstiftend waren. Nach der Delegitimierung des klassischen Kämpfers wird nun ein neues Bild des Krieges und damit auch der amerikanischen Machtpolitik konstruiert. Auch dieser Diskurs, der von „Präzisionsschlägen“, „virtuellen Schlachtfeldern“, „Medienoperationen“ und ähnlichem lebt und eine Zivilisierung der Kriegführung suggeriert, hat seine dunkle Seite der Macht. Diese findet sich allerdings nicht mehr in den Bombenschächten der B-52, sondern in der Kontrolle strategischer Informationsflüsse.


Von der Geopolitik zur Technopolitik
We are not in the business of killing.
General Norman Schwarzkopf [2]
Ausgangspunkt der Debatte, die inzwischen eine ganze Garagenindustrie von Analytikern, Visionären, Konferenzen und Webseiten hervorgebracht hat, sind die rasanten Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie. Die Rede von der „Informationsrevolution“ hat dabei die zunächst unter Geopolitikern attraktive „neue Weltordnung“ verdrängt. Damit wird als treibende Kraft des internationalen Wandels nicht mehr die Weltlage nach dem Ende des Ostblocks identifiziert, schon gar nicht die Veränderungen der internationalen Klassenbeziehungen, sondern die Technologie.

Dieser Paradigmenwechsel im strategischen Denken stieß zunächst auf größeren Widerstand. Die kalten Krieger in den Planungsabteilungen und Denkfabriken bestanden auf ihren alten Weltbildern. Nach der bislang auch im akademischen Bereich dominanten Theorieschule des sogenannten „Realismus“ spielen Staaten immer noch die zentrale Rolle in der internationalen Politik, die im Kern ein Nullsummenspiel um knappe Ressourcen und den relativen Vorteil ist. Ihre Bedrohungskonstruktionen sind entsprechend ganz um staatliche Waffenarsenale zentriert (so wurde davor gewarnt, dass Russland wieder eine Supermacht werden könnte), und das Kriegsbild, das dieser Theorie folgt, ist der klassische Territorialkrieg mit Panzerverbänden und klaren Frontlinien.

Um dagegen eine andere Vision des Krieges durchzusetzen, musste der strategische Diskurs um ein neues, sehr mächtiges Leitbild herum strukturiert werden. Dabei war es wichtig, dass dieses Bild einen radikalen Wandel des Denkens impliziert, aber gleichzeitig hinreichend deterministisch konstruiert wird, um jeden Widerstand als veraltet und sinnlos erscheinen zu lassen. Als Anknüpfungspunkt bot sich daher die informationstechnische „Revolution“ an, von deren übermacht spätestens mit dem Boom des Internet niemand mehr überzeugt werden musste. Dieser Diskursstrang wurde verknüpft mit einer Revolutionstheorie der Militärgeschichte, nach der immer wieder neue Technologien die Kriegführung grundlegend verändert haben. [3] Daraus wurde eine Theorie der militärischen Revolutionen konstruiert. Zusammen mit der „Informationsrevolution“ ergab dies das aktuelle soziotechnische Leitbild der „Revolution in Military Affairs“ (RMA) [4] . Die These von „revolutionären“, also diskontinuierlichen Sprüngen in der Entwicklung der Kriegführung erfüllt mittlerweile als Theorem der Militärwissenschaft auch für empirische Studien zur Kriegsgeschichte eine leitende Funktion.

Angewandt auf die Gegenwart beschreibt das Bild der „Revolution in Military Affairs“ aber nicht etwa eine tatsächlich stattfindende Entwicklung, sondern sorgt umgekehrt erst für ihr Entstehen. Indem Szenarien der Kriegführung im 21. Jahrhundert gemalt werden, die aus digital vernetzten Armeen, intelligenten Bomben, globaler Überwachung und „Computer Network Attacks“ bestehen, wird die in der Vergangenheit kumulierte Erfahrung der Militärs für null und nichtig erklärt. Die informationstechnische Zukunft erscheint nunmehr so klar, so drohend und unausweichlich, dass die Vergangenheit mit ihren Fehlschlägen und gelernten Lektionen keine Chance mehr hat. Dies spiegelt einen gesellschaftlichen Trend wider, der sich auch in der hohen Beliebtheit von Science Fiction ausdrückt: „Die extrapolierte oder narrative Zukunft hat die geschichtliche Vergangenheit als unseren grundlegendsten und entscheidendsten Bezugspunkt verdrängt.“ [5] Sobald erst einmal die im Pulverdampf vergangener Schlachtfelder zu „Helden“ gewordenen Soldaten der kämpfenden Truppen auf diesem Wege symbolisch entwertet sind, ist der Weg frei für ein „post-heroisches Militär“ (so der Titel eines vielzitierten Aufsatzes [6]). Die „Helden“ der Zukunft, sofern es noch welche gibt, sind Hacker und Informationsmanager.


Die Rationalisierung des Krieges

Der konservative Teil der Militärstrategen versucht das Neue mit dem Alten zu verbinden, indem die Informationsrevolution für konventionelle Kriegführung genutzt werden soll. In dem zentralen Planungspapier des US-Generalstabes, der „Joint Vision 2010“ [7], wurde daher auch der revolutionäre Ansatz durch einen evolutionären ersetzt. Mit einem Verbund von weltweiten Sensoren, Datennetzen, Künstlicher Intelligenz und Waffenlenksystemen, dem sogenannten „System of Systems“, soll das Schlachtfeld so transparent gemacht werden wie die irakische Wüste zur Mittagszeit. Im Kern lässt sich dieser Ansatz als das klassische „Toys for the Boys“ beschreiben. Informationstechnologien werden als „Force Multiplier“ betrachtet, die ansonsten keine grundlegenden Änderungen des strategischen und taktischen Denkens erfordern.

Die Datenverarbeitung wird so zur zentralen Aufgabe der Streitkräfte. Die Ausgaben des Pentagon, die mit dem Erzeugen, Sammeln und Verteilen von Informationen verbunden sind, belaufen sich derzeit auf ca. 43 Milliarden US-Dollar [8] – das sind bereits mehr als 150 Prozent des deutschen Verteidigungshaushaltes. Allein die Navy wird in den nächsten sechs Jahren zehn Milliarden Dollar für „Informationskriegführung“ ausgeben, entsprechend hohe Ausgaben sind auch bei den anderen Teilstreitkräften eingeplant.

Um die Menge an Daten (täglich mehrere Terabytes allein im Pentagon) überhaupt noch verstehen zu können, arbeitet man bereits eng mit den Spezialisten für dreidimensionale Grafiken aus Hollywood zusammen. So hat sich die US-Army zu 51 Prozent an einem Joint Venture mit der School of Cinema-Television der University of Southern California beteiligt, in dem eine umfassende Gefechtsfeld-Simulation entwickelt werden soll. [9] Das Ziel ist es, den „Nebel des Krieges“ zu lichten und in einem virtuellen Datenraum den Kommandeur zum organischen Teil des Systems zu machen. Die US-Strategen glauben dabei recht naiv an die neue Technologie und ihre Computermodelle der kriegerischen Wirklichkeit. Es gibt kaum noch einen Bereich, in dem nicht digital modernisiert wird, von der Logistik über das Beschaffungswesen bis zur Öffentlichkeitsarbeit. Bis hin zum einzelnen Soldaten wird die Vernetzung derzeit vorangetrieben, mit Laptops, digitalen Helmkameras und Satellitennavigation. [10]
Diese Ausweitung der Nutzungsbereiche von Computersystemen im Militär lässt sich als Versuch beschreiben, immer weitere Aspekte der komplexen Realität des Krieges kalkulierbar und damit planbar zu machen. In der Geschichte des militärstrategischen Denkens zeigt sich dieses Denken bereits mit dem Verschwinden der „Fortuna“ seit Beginn der Moderne. [11] Mit den Verheißungen der schönen neuen Informationswelt wird diese unberechenbare Schicksalsgöttin nun auch noch aus dem letzten Winkel des Krieges herausgerechnet.

Schon Carl von Clausewitz hat aber das „Spiel von Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, Glück und Unglück (...), welches (...) den Krieg dem Kartenspiel am nächsten stellt“ [12] als elementares Element jeder Strategie identifiziert und mit seinem Begriff der „Friktion“ beschrieben. Kein Schlachtplan überlebt daher, so eine alte Feldherrenweisheit, die erste Feindberührung. Da der gesamte militärische Diskurs um die Kriege der Zukunft aber bereits auf der Grundannahme der rational geplanten und kalkulierbaren Kriegführung basiert, die mit den Computersystemen verbunden ist, folgt aus Fehlern und Defiziten in der Praxis regelmäßig eine immer weitere Verfeinerung der militärischen Hard- und Software. Dies erklärt, warum Technologisierungsschübe besonders in und nach Kriegen einsetzen. Die Technologie wird in diesem Prozess zunehmend in neue, vorher nur sozial integrierte Bereiche eingeführt. Nach der Signalübertragung und der Objektidentifizierung werden Computersysteme mittlerweile dazu eingesetzt, automatisch Befehle zu generieren. [13] Letzte Entscheidungen über Leben und Tod werden so den Modellen der Simulationsprogramme überlassen.

Das mit Computern ausgestattete Militär zeigt damit, soziologisch gesprochen, typische Merkmale eines großtechnischen Systems [14], nämlich eine Tendenz zur Expansion (das Bestreben, die Umwelt nach Kriterien des Systems zu strukturieren) und zur Innovation (die Unmöglichkeit eines technischen Stillstandes). Damit dringt aber die militärische Computernutzung in soziale Bereiche vor, die traditionell nicht als militärischer Handlungskontext angesehen wurden.


Wissen ist Macht – auch militärische

Aus dem blutigen Krieg wird so ein „Informationskrieg“. Dieser Begriff hat seit Anfang der neunziger Jahre eine rasante Karriere gemacht, die nicht zufällig parallel zum Boom des Internet verlief. 1993 erschien eine vielbeachtete Studie des militärnahen Think-Tanks RAND Corporation, in dem die Autoren als neue Kriegsform den „Cyberwar“ ankündigten. [15] Im gleichen Jahr veröffentlichten die Futorologen Alvin und Heidi Toffler ihr Buch „War and Anti-War“, in dem ebenfalls eine neue Form des Krieges vorhergesagt wurde, die auf der Beherrschung der Informationen basiert. Das Buch wurde zum Bestseller in den US-Streitkräften und gehört mittlerweile zur Pflichtlektüre an den meisten Militärakademien der USA. Alvin Toffler selber ist seitdem Gastprofessor an den War Colleges der Army und Air Force. [16] Die Folge war die Gründung der School for Information Warfare and Strategy an der National Defense University in Washington im Jahr 1994. [17] Bereits ein Jahr später war „Information Warfare“ das Leitbild für alle Forschungs- und Entwicklungspläne des Pentagon [18], und 1996 wurde es in die bereits erwähnte Joint Vision 2010 aufgenommen. Die US-Streitkräfte verfügen heute über eigene Field Manuals, Einsatzzentralen und defensive wie offensive Doktrinen des Informationskrieges.

Der Begriff „Informationskrieg“ ist sehr weit gefasst. Er umfasst das Stören von gegnerischen Kommunikationskanälen, physische Angriffe auf Kommandozentralen und Angriffe durch Computernetze ebenso wie psychologische Kriegführung und gezielte Öffentlichkeitsarbeit. [19] Während Teile davon, etwa ein Bombardement von Radarstellungen, nur in Verbindung mit einem „normalen“ Krieg eingesetzt werden sollen, sind andere Maßnahmen – beschönigend „Informationsoperationen“ genannt – auch in Friedenszeiten vorgesehen. Damit verschwimmt die klare Trennung zwischen Krieg und Frieden sowie zwischen militärischer und politischer Machtausübung.
Informationen gelten im politischen System der USA heute als strategische Ressource wie Militärarsenale und Wirtschaftspotentiale. Mit der übernahme von Ansätzen aus der postmodernen Managementtheorie und der Netzwerkökonomie ändert sich aber der Umgang mit dieser Ressource. Im Gegensatz zu Kapital, Boden, Waffen oder Menschen sind Informationen mehr wert, wenn sie geteilt und nicht zurückgehalten werden. Für die Militärpolitik bedeutet dies, dass möglichst viele andere Staaten ihre Streitkräfte an das Informationssystem der USA anschließen sollen, die so zum „natürlichen Koalitionsführer“ bei Militäreinsätzen werden. Der erste Einsatz nach diesem Modell war die IFOR/SFOR-Truppe in Bosnien. Auch die Nato-Kommandostruktur ist bereits darauf zugeschnitten worden; ihren Kern stellt seit 1996 das Modell der Combined Joint Task Forces dar, „projektbezogene“ militärische Einheiten aus Truppenteilen verschiedener Staaten (Combined) und allen Teilstreitkräften (Joint), die für einen bestimmten begrenzten Einsatz gebildet und anschließend wieder aufgelöst werden (Task Force). [20]

Als Vorbild hat man sich hier unverkennbar an dem postmodernen Konzept der „virtuellen Unternehmen“ [21] orientiert. Führende US-Strategen sprechen bereits von einem „Informationsschirm“, der den atomaren Schirm ablösen wird. [22] Im Einzelfall kann das dazu führen, dass andere Armeen quasi in der Rolle von Subunternehmern die Drecksarbeit machen und die USA als „Systemführer“ nur noch für die Datenverwaltung – Satellitenspionage, Zielerkennung oder Kommunikation – zuständig sind. Martin Libicki, ebenfalls RAND-Mitarbeiter und Vordenker des Informationskrieges, nennt dies passend „virtuelle Koalitionen“ [23] .

Zur Zeit wird in den USA eine „Nationale Informationsstrategie“ vorbereitet, die solche militärischen Informationsflüsse mit ihren zivilen Entsprechungen zusammenführen soll. Wiederum beteiligt ist der Cyberwar-Vordenker John Arquilla, Professor an der Naval Postgraduate School in Montery. [24] Die mediale Repräsentation des Krieges ist in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, sowohl für die Akzeptanz an der heimatlichen Fernsehfront als auch für die Manipulation der Wahrnehmung des Gegners. In den Streitkräften sind die Einheiten für psychologische Kriegführung, die traditionell immer eine Außenseiterrolle hatten, mit der Doktrin der „Informationsoperationen“ nun ins Zentrum der strategischen und taktischen überlegungen gerückt. Darüber hinaus wird eine stärkere Verzahnung der militärischen Informationseinheiten mit Einrichtungen wie der Voice of America, Radio Free Europe oder dem US Information Service vorgesehen. [25]

Der damalige Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, General Colin Powell, brachte dies zur Zeit des Golfkrieges 1991 bereits auf den Punkt: „Wenn alle Truppen in Bewegung sind und die Kommandeure an alles gedacht haben, richte deine Aufmerksamkeit auf das Fernsehen, denn du kannst die Schlacht gewinnen oder den Krieg verlieren, wenn du mit der Story nicht richtig umgehst.“ [26]


Der neue Krieg um die Köpfe

An dieser Stelle setzen die selbsternannten Revolutionäre der Kriegstheorie an. Wenn das Entscheidende in den Kriegen der Zukunft nicht mehr die Feuerkraft, sondern die Informationsvorherrschaft ist, so die postmoderne Wende, dann zielt die Kriegsstrategie nicht mehr auf den Körper des Gegners, sondern auf seinen Geist. Die Selbst- und Umweltwahrnehmung des Gegners soll so strukturiert werden, dass er dem amerikanischen Willen folgt, ohne mit Gewalt gezwungen zu werden. Dies entspricht dem Wandel des innerstaatlichen Gewaltmonopols, den bereits Michel Foucault [27] beobachtet hat: Nicht mehr der Körper des Verbrechers ist heute das Objekt des Strafvollzuges, sondern sein Wille. Anstatt die Wahrnehmungs- oder Entscheidungsprozesse des Gegners zu beeinflussen, sollen seine Ziele, also der politische Zweck des Krieges, verändert werden.

„Das Angriffsziel des Informationskrieges ist dann das menschliche Denken, speziell das Denken derer, die die Schlüsselentscheidungen über Krieg und Frieden treffen“, so George Stein, Professor am Army War College, in einem vielzitierten Artikel [28]. Auf dieser Basis wurden Konzepte für weitergehende Formen der Kriegsführung entwickelt, die unter den Leitbildern „Netwar“ oder „Neocortical War“ zusammengefasst werden. Sie beinhalten eine Ausweitung des Kriegsbegriffes auf alle Konfliktformen in der Gesellschaft, die mit öffentlichen Mitteln ausgetragen werden. [29]

Informationen gelten dabei zunehmend als Waffen, so sprechen etwa die Tofflers von den amerikanischen „Medienhaubitzen“ CNN und Hollywood. [30] Am Ende, so die Visionen aus den Denkfabriken, könnten „Special Media Forces“ den Einsatz von richtigen Soldaten überflüssig machen. [31] Diese Position entspricht der postmodernen oder konstruktivistischen Wende in den Humanwissenschaften, mit der den ideellen, symbolischen Strukturen mehr Gewicht für menschliches Handeln zugemessen wird als den materiellen Bedingungen. Sie findet in den USA aber auch darüber hinaus eine hohe Akzeptanz, weil sie ein Bild vom unblutigen Krieg suggeriert. Dass diesen Krieg im Zweifelsfall andere führen, verschwindet unter den Bildern vom „Cybersoldaten“.

Der „Informationskrieg“ ist aber mehr als nur eine beschönigende Darstellung des brutalen, blutigen Krieges durch gezieltes Informationsmanagement. Wäre es so – und so wollen es konservative Militärstrategen gerne behalten – , dann könnte man es mit dem alten Begriff der „Propaganda“ beschreiben. Die postmoderne Variante der amerikanischen Informationsstrategie geht aber darüber hinaus: Ihre Vordenker hoffen ernsthaft, in der gezielten Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen, Journalisten, Medienkonzernen und staatlichen Informationsstellen ein gewaltfreies Äquivalent für militärische Macht gefunden zu haben. Die weltweite Bereitstellung offener Kommunikationskanäle, so ihre These, führt automatisch zu offeneren Gesellschaften und freien Märkten. überspitzt formuliert lautet ihre Lehre aus dem Vietnamkrieg: Den American Way of Life verbreitet man besser mit MTV und dem Internet als mit Bomben und Besatzungstruppen. [32]

Am Ende, so lässt sich auch diese „zivile“ Variante der Informationsstrategie zusammenfassen, geht es also wieder um die weltweite Hegemonie eines spezifischen – liberal-kapitalistischen – Gesellschaftsmodells. Ob die Politik sich für Bomben oder Bytes als Mittel der Wahl entscheidet, wird dabei von den je spezifischen Umständen abhängen – von der Art des Gegners, der Stimmung in der Bevölkerung oder den militärisch-strategischen Interessen. Die Öffentlichkeit ist dabei nur Mittel zum Zweck, und sie wird zunehmend als Raum des Kampfes, nicht der Verständigung angesehen. Die US-Strategen befinden sich dabei übrigens in interessanter Gesellschaft: Ähnliche überlegungen werden seit einigen Jahren auch von postmodern geschulten Linken angestellt, die neue Formen öffentlicher Aktionen als „Kommunikationsguerrilla“ bezeichnen. [33]

Ralf Bendrath, Dipl. Pol., promoviert zum Thema „Das Militär in der Informationsgesellschaft“ an der Freien Universität Berlin. Er betreibt die Mailingliste Infowar.de und ist Gründungsmitglied der Forschungsgruppe Informationsgesellschaft und Sicherheitspolitik (FoG:IS).




Literaturangaben
  1. Zit. nach Chris Hables Gray: Postmodern War. The New Politics of Conflict, London, New York 1997, S. 158 [back]
  2. Zit. nach Chris Hables Gray: Postmodern War. The New Politics of Conflict, London, New York 1997, S. 46 [back]
  3. Eines der beliebtesten Beispiele ist der „Blitzkrieg“ der deutschen Wehrmacht 1939, der auf der systematischen Nutzung mechanisierter Panzerverbände und ihrer Kontrolle durch Radiowellen basierte. [back]
  4. Vgl. Norman C. Davis: An Information-Based Revolution in Military Affairs, in: John Arquilla/David Ronfeld (Hg.): In Athena's Camp, Santa Monica 1997, S. 79-98. [back]
  5. Alan Shapiro: The Star trekking of Physics, in: Ctheory, Article 52, 9.10.1997. [back]
  6. Edward N. Luttwak: A Post-Heroic Military Policy, in: Foreign Affairs, Nr. 4, Juli/August 1996, S. 33-44. [back]
  7. John M. Shalikashvili: Joint Vision 2010 (PDF-Datei), Joint Chiefs of Staff, Washington D.C. 1996 [back]
  8. Neil Munro: Inducting Information, in: National Journal, 27. März 1999. [back]
  9. Vgl. Michael Stroud: War Is Virtual Hell, Wired News, 19. August 1999 [back]
  10. Vgl. Cord Rather: Die Ausstattung des Soldaten im Wandel, in: Europäische Sicherheit, Nr. 2, 1998, S. 37-41. [back]
  11. Vgl. R.B.J. Walker: The Prince and „The Pauper“: Tradition, Modernity, and Practice in the Theory of International Relations, in: James Der Derian / Michael J. Shapiro (Hg.): International/Intertextual Relations. Postmodern Readings of World Politics, Lexington/Mass. 1989, S. 25-48. [back]
  12. Clausewitz, Carl von: Vom Kriege, eingeleitet von Ernst Engelberg und Otto Korfes, Berlin (DDR) 1957 [1832-34], S. 32. [back]
  13. Das Gefechtssystem AirLand Battle Manager soll für Führungsoffiziere auf Korpsebene und darunter Informationen vorstrukturieren, die Züge des Gegners antizipieren, darauf reagieren und sogar Truppenbewegungen und logistische Entscheidungen vornehmen. Die ausgedruckten Befehle müssen nur noch unterschrieben werden – falls das System jemals funktionieren sollte. Vgl. Gray, Postmodern War, S. 58. [back]
  14. Vgl. Peter Weingart: „Großtechnische Systeme“ – ein Paradigma der Verknüpfung von Technikentwicklung und sozialem Wandel?, in: ders. (Hg.): Technik als sozialer Prozeß, Frankfurt/M. 1989, S. 174-196. [back]
  15. Vgl. John Arquilla / David Ronfeldt: Cyberwar is Coming!, in: Comparative Strategy, Nr. 2, 1993, S. 141-165. [back]
  16. Vgl. R.L. DiNardo / Daniel J. Hughes: Some Cautionary Thoughts on Information Warfare, in: Airpower Journal, Nr. 4, 1995, S. 69-79. [back]
  17. Vgl. John I. Alger: Introduction to Information Warfare, 2nd Edition, in: Winn Schwartau (Hg.): Information Warfare, New York 1996, S. 8. [back]
  18. Vgl. Ralf Klischewski / Ingo Ruhmann: Ansatzpunkte zur Entwicklung von Methoden für die Analyse und Bewertung militärisch relevanter Forschung und Entwicklung im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie, Studie für das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Bonn 1995, S. vi. [back]
  19. Joint Chiefs of Staff: Joint Doctrine for Information Operations (PDF), Joint Publication 3-13, 9. Oktober 1999 [back]
  20. Vgl. Ralf Bendrath: Die Postmoderne Nato. Fragmentierte Herrschaft und globalisierte Gewalt, in: Zivilcourage, Nr. 4, August 1997, S. 6-9. [back]
  21. Vgl. William H. Davidow/ Michael S. Malone: The Virtual Corporation, New York 1992. [back]
  22. Joseph S. Nye, jr. / William A. Owens: America’s Information Edge, in: Foreign Affairs, Nr. 2, März/April 1996, S. 25. [back]
  23. Martin C. Libicki: Information & Nuclear RMAs Compared, Strategic Forum Nr. 82, Washington DC, Juli 1996, S. 3. [back]
  24. Vgl. Munro, Inducting Information. [back]
  25. Nye/Owens, America's Information Edge, S. 31f. [back]
  26. Zit. nach: McKenzie Wark: Virtual Geography. Living with Global Media Events, Bloomington, Indianapolis 1994, S. 41, Übersetzung R.B. [back]
  27. Vgl. Michel Foucault: überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt/M. 1977. [back]
  28. George J. Stein: Information Warfare, in: Airpower Journal, Nr. 1, 1995, S. 30-39, http. [back]
  29. Vgl. John Arquilla/David Ronfeld: The Advent of Netwar, in: dies. (Hg.): In Athena’s Camp, Santa Monica 1997, S. 275-293; Richard Szafranski: Neocortical Warfare? The Acme of Skill, in: John Arquilla/David Ronfeld (Hg.): In Athena’s Camp, Santa Monica 1997, S. 395-416. [back]
  30. Toffler, Alvin und Heidi: The New Intangibles, in: Arquilla/Ronfeldt (Hg.): In Athena’s Camp, Santa Monica 1997, S. xvi. [back]
  31. John Arquilla / David Ronfeldt: The Emergence of Noopolitik. Towards an American Information Strategy, Santa Monica 1999, S. 50f. [back]
  32. John Arquilla / David Ronfeldt: The Emergence of Noopolitik. Towards an American Information Strategy, Santa Monica 1999, S. 50f. [back]
  33. Vgl. autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe / Sonja Brünzels / Luther Blissett: Handbuch der Kommunikationsguerrilla, Berlin, Göttingen, Hamburg 1997. [back]
 13. Dezember 1999