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Medien: „Für humanitäre Bomben“
Roland Schleicher Spiegel online 26. April 1999

Der Krieg auf dem Balkan tobt auch im Internet. Hacker und Politiker führen eine Propagandaschlacht.

Ein altes Gespenst ist auf dem Balkan zu neuem Leben erwacht das Gespenst der Schwarzen Hand. 1914 ging auf das Konto dieses serbischen Geheimbundes die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand. Heute sind es Computer-Hacker, die unter demselben Namen in die Rechensysteme von Nato, US-Regierung und Pentagon einzudringen versuchen mit einigem Erfolg.

Seit Beginn des Luftkriegs scheint es Hackern viermal gelungen zu sein, amerikanische Internet-Seiten mit ihrer unsichtbaren Hand zu verfälschen, darunter eine Seite der US-Marine und eine Forschungspage (zu sehen unter: www.angelfire.com/wv/bhand). Zweifel, ob es sich tatsächlich um Computerfreaks handelt, sind indes angebracht.

Erstmals wurden diese Internet-Aktivitäten im vorigen Oktober publik, als die kosovo-albanische Exilzeitschrift „Zëri i Kosovës“ (www.zik.com) und deren Internet-Betreiber im schweizerischen Aarau von serbischen Propagandatexten und Emblemen verhunzt wurden. „Willkommen bei den größten Lügnern und Mördern der Welt“, ergänzten sie die Startseite. Über dem Doppeladler des albanischen Staatswappens erschien die serbische Trikolore, neuer Zusatztext: „Das bleibt nur so lange Eure Flagge, solange es Euch Albanaken noch gibt“.

Der Provider von Aarau ortete die Albaner-Hasser schon nach kurzer Zeit und konnte die Datenspur nach Polen verfolgen. Provider und Hacker kontakteten einander sogar über einen Chat-Kanal. Die Folge: Als der Schweizer Geschäftsmann den unbekannten Eindringling zu beschwichtigen versuchte, wurde dieser immer aggressiver und drohte, die gesamten Anlagen in Aarau mit Viren zu zerstören.

Um seine Ankündigung zu unterstreichen, manipulierte der Serben-Unterstützer aus der Ferne die Festplatte, auf der das Archiv der Exilzeitschrift gelagert war technisch gesehen eine Meisterleistung.

Das bedeutet jedoch nicht, dass sich mit denselben Methoden geheime Nato-Strategiedaten vernichten ließen. Denn um vor Hackern geschützt zu sein, haben die westlichen Militärs längst eigene Kommunikationsstrukturen aufgebaut, etwa das amerikanische „SIPRnet“, das ohne jegliche Schnittstelle zum Internet arbeitet.

Im Fall der albanischen Exilzeitschrift verirrten sich die Ermittlungen der Schweizer Bundespolizei im endlosen Internet-Dschungel. Der Verdacht, hinter der Aktion der Schwarzen Hand stecke der Belgrader Geheimdienst SDB, ließ sich bis heute nicht erhärten.

Wegen der langjährigen Kriegsabenteuer in Kroatien und Bosnien und der erstmals 1991 verhängten Uno-Sanktionen entwickelte sich in Serbien keine eigenständige Internet-(Un)-Kultur, aus der eine so geschickte Hacker-Gruppe hätte hervorgehen können.

Die dortigen Cyber-Strukturen wurden vorwiegend von westlichen Computer-Freaks aufgebaut etwa von „Za-Mir“ oder von der niederländischen Experimentiergruppe „xs4all“, die für ungezählte kleine Friedensgrüppchen aus Serbien, Bosnien, Kroatien und Albanien Webseiten aufbereiteten (http://domovina.xs4all.nl/bcs/index.html). Diese Gruppen sind an einem offenen Informationsaustausch über nationale Grenzen und über ethnische Barrieren hinweg interessiert und keine Website-Schmierer.

Experten halten es für ausgeschlossen, dass aus diesen Zirkeln die aggressiven Serben-Hacker stammen, die außer der Nato vor allem die albanischen Sammelhomepages (www.albanian.com und www.kosovapress.com) attackieren. Der Verdacht fällt auf Insider, die in Russland ihre Fertigkeiten sammeln konnten. Das offizielle Serbien scheut derweil vor keinen Mitteln der elektronischen Kriegführung zurück. Wer Anti-Nato-Propaganda pur sucht, der loggt sich entweder bei der offiziellen Nachrichtenagentur Tanjug ein (www.tanjug.co.yu) oder beim serbischen Informationsministerium (www.gov.yu). Wer im Real-Audio-Format der Propagandaschlacht folgen will, schalte auf Radio Jugoslavija in deutscher Sprache (www.beograd.com).

Ein Tipp für alle, die an eine Weltverschwörung gegen das Serbentum glauben, ist das Webangebot „www.vojvodina.com„. Ein Beispiel dafür sind auch die Seiten des Politsonderlings Andrej Tisma, der in Popart eine Homepage „Für das humanitäre Bombenabwerfen auf Serbien“ entwickelt hat (http://members.tripod.com/~aaart/ bomb.htm).

Milosevic-Gattin Mirjana Markovic lässt es sich auch nicht nehmen, ihre Sicht der Weltlage mitzuteilen. In ihrem elektronisch aufbereiteten pseudophilosophischen Grundwerk, den „Geschichten zwischen Tag und Nacht“, träumt Belgrads First Lady noch immer vom Großserbischen Reich.

Natürlich trommelt sie gegen albanische „Separatisten“ und „Serbenhasser“. Die hätten sich mit „feindlichen Kräften in der islamischen Welt, in Deutschland und im Vatikan“ verbündet.


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http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,19547,00.html
 26. April 1999