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Gedanken zum Krieg gegen Jugoslawien
radikal 156 17. Juni 1999


Erster Weltkrieg 1915, zweiter Weltkrieg 1941 und nun 1999 die dritte militärische Intervention auf dem Balkan in diesem Jahrhundert mit der Beteiligung deutscher Truppen.

Vergessen die Schwüre nach der Beendigung des Nationalsozialismus, dass nie wieder ein Krieg von deutschem Boden ausgehen darf. Vergessen die Kämpfe derer, die in den 50er und 60er Jahren aktiv gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands auf die Straße gegangen sind.


Vergessen auch die Losungen der Friedensbewegung der 70er und 80er Jahre gegen den Nato-Doppelbeschluss und die Stationierung atombestückter Raketen in der BRD und auf der ganzen Welt.

Nicht gerade wenige dieser letzten großen Bewegungen sind heute die, die lechtzend der deutschen Hegemonie auf dem Balken per militärische Intervention den Mund reden.

Zeigt es sich nicht deutlich wie linke Politik und Widerstandskonzepte der 70er und 80er Jahre zum Teil vereinbar sind mit diesem ‚Krieg der Friedenstauben‘. Es handelt sich leider nicht nur um fast identische Rhetorik, sondern um inhaltliche Affinitäten. Wie oft wurde und wird politisches Handeln mit einer Verhinderung des Schlimmsten, in diesem Fall, dem Faschismus, legitimiert? Teile der Intellektuellen und liberalen Linken, die für uns immer auch potentielle BündnispartnerInnen waren und zum Teil auch noch sind, schwören sich auf den gerechten und ‚Menschenrechte‘ sichernden Kriegskurs ein. Sie versuchen dabei immer noch als ‚gute Menschen‘ durchzugehen, denen keine Wahl gelassen wurde. Dass ein Teil der Alt-68er aus ihrer ‚Auseinandersetzung‘ mit dem Nationalsozialismus heraus die Konsequenz zieht, scheinbar vergleichbares im Kosovo verhindern zu wollen, zeugt von einer verqueren Auseinandersetzung mit dem NS und einer stattgefundenen Mutation zu herrschaftstragenden Realpolitikern. Diese können aus ihrer persönlichen Geschichte heraus nicht anders, als ihre Macht-Interessen hinter einer „Nie-wieder-Auschwitz“-Parole zu verbergen.

Daraus leitet sich unweigerlich die Frage ab:

Wie weit griff die Friedensbewegung wirklich, mit welcher Ernsthaftigkeit griffen die Losungen und Positionen in den Herzen und Köpfen all jener, die sich damals aufmachten, um zu demonstrieren? Und was ist davon heute noch übrig?

Wo ist die Linke, wo die radikale Linke?

Wenig ist derzeit zu sehen vom Widerstand gegen die militärischen Bestrebungen der Nato-Länder, zumindest hierzulande.

Wenn es als Erfolg verbucht wird, dass auf den Ostermärschen bundesweit ca. 30 000 Menschen erschienen – dann gute Nacht!

Auch ca. 15 000 Menschen auf der sog. revolutionären 1. Mai-Demo in Berlin haben dazu nicht viel zu sagen gehabt.

Wie paralysiert glotzen alle auf die 20-Uhr-Nachrichten, unfähig sich zu verhalten.

Oder sitzt der Schock zu tief, dass die Kriegstreiber im eigenen Land nicht mehr Kohl, Rühe und Konsorten heißen, sondern Schröder, Fischer und Scharping?

Dabei zeichnete sich das Dilemma im Kosovo nicht erst mit dem Beginn des Angriffskrieges ab. Schon im April 98 drohten Mitglieder des Natobündnisses dem jugoslawischen Ministerpräsidenten Slobodan Milosevic erstmals mit einer militärischen Intervention. Diese Drohung wurde bis März 1999 immer wieder aktualisiert und durch militärische „Übungen“ an der Grenze zu Serbien untermauert. Den Übergriffen durch nationalistische Freiheitsschärler der UCK auf die serbische Bevölkerung im Kosovo wurde und wird wenig Aufmerksamkeit zugemessen. Im Gegenteil: Laut wird darüber nachgedacht, ob eine weitere Stärkung der UCK durch westliche Waffenlieferungen nicht in Betracht gezogen werden sollte.

Der BND hat’s vorgemacht. So warb er schon im Vorfeld des Ramboulliet-Vertrages durch eine Waffenlieferung an die UCK um deren Unterschrift.

Ein Vertrag, der die Souveränität des restjugoslawischen Staates per Unterschrift für null und nichtig erklärt und an dessen Stelle eine militärisch diktierte Kontrollinstanz (Protektorat) setzt, die sich in keinster weise an das geltende Recht des Landes zu halten braucht, bzw. sich nicht vor eben dieser Rechtsprechung zu verantworten hat. Dies würde selbstredend auch die zu erwartenden Zwischenfälle der ‚Liquidierungen‘ in den Verhörstuben, Vergewaltigungen und Bereicherungen an fremden Eigentum einschließen.

Serbische „Greueltaten“ und eine systematische ethnische Säuberung des Kosovo halten nach Abzug der sog. Friedenstruppen heute als moralische Rechtfertigung für den Nato – Krieg, gegen die Bevölkerung ganz Serbiens und teilweise auch gegen die Teilrepublik Montenegro her.

Flüchtlingsströme, Berichte über Hinrichtungen und Massenvergewaltigungen schüren immer wieder die Flamme der Kriegsherren und ihrer Propaganda in den Medien. Kritische Stimmen werden so gut wie gar nicht gehört. Ausnahmen waren bislang die wenigen Stimmen der PDS-Opposition und einiger weniger „Privater“, allen voran Oskar Lafontaine (1. Mai auf DGB-Kundgebung in Saabrücken).

Ein völlig kriegsgeifernder Scharping gibt zu Kriegsanfang die Order raus, endlich die Beweise für den Völkermord und die Existenz von Konzentrationslagern zu erbringen, bisher ohne Erfolg.

Stattdessen wird Milosevic mit Hitler, und die Verfolgung mit Auschwitz gleichgesetzt. Damit wird eine einmalige geschichtliche Ungeheuerlichkeit aus ihrem Kontext gerissen und langfristig relativiert. Sehr zum Wohlwollen der neuen politischen Mitte unter der rot-grünen Regierung, welche die deutsche Geschichte als Nachkriegsgenerationen größtenteils als abgeschlossen erachtet.

Was aber sind die Interessen der Nato-Staaten an einem Land, welches keine wirtschaftsstrategischen Ziele aufweisen kann?

Auf den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Nato in Washington wurden die Interessen mehr als deutlich. So profilieren sich die europäischen Kriegstreiberstaaten, Deutschland allen voran, damit, dass der Angriffskrieg gegen Jugoslawien nur eine Ausnahme bleibt, um Europa vor einer neuerlichen Flüchtlingsschwemme zu bewahren. Denn der Balkan ist schließlich weit näher als z.B. Ruanda oder gar Indonesien.

Aus dieser Logik ergibt sich auch das schnelle Ausweiten der Angriffsziele auf die Infrastruktur des Landes und somit auch auf die Zivilbevölkerung und die Flüchtlinge. Zerstörte Brücken hindern nicht nur den Versorgungsfluss des Militärs, sondern auch Menschen bei ihrer Flucht. Die so genannten Binnenflüchtlinge sind vom ersten Kriegstag an wohlkalkulierter Spielball aller Kriegsparteien geworden.

Mit Einstellung des Flugverkehrs ist auch der letzte Weg in ein sicheres Exil verhindert. Obwohl die Kosovo-Albaner in der BRD zurzeit wieder Asyl bzw. einen geduldeten Aufenthalt genießen können, bleiben die Bedingungen an den europäischen Grenzen bestehen: Die Verstärkung der Grenze durch den BGS ermöglicht ein schnelles Aufgreifen derer, die es alleine oder per Schlepper nach Deutschland geschafft haben. Hier droht ihnen die Abschiebung, denn Europa ist nicht zur Aufnahme verpflichtet, wenn die Flüchtlinge über ein Drittstaat eingereist sind.

Die Perversion hat von Anfang an System. Die anfänglich errichteten Flüchtlingslager waren nicht ansatzweise darauf vorbereitet, solche Massen an Menschen aufzunehmen.

Betrachtet mensch die Zeitspanne, in der die Nato sich auf diesen Krieg vorbereitet hat, so maßt es sich merkwürdig an, wenn aus den Erfahrungen des Bosnienkonflikts und den Einschätzungen der UN-Beobachter nicht abzusehen gewesen sein soll, mit welchen Massen an Flüchtlingen zu rechnen war. Wo doch auch noch behauptet wurde, dass aus Geheimdienstquellen schon länger bekannt war, dass Milosevic schlimme Dinge plane. Auch jetzt ist eine minimale Versorgung der Flüchtlinge in den Lagern immer noch nicht gewährleistet.

Zudem wird ein neues Problem sichtbar. Die Anrainerstaaten und die Teilrepublik Montenegro befürchten, wegen der nationalistisch/separatistischen Bestrebungen, des jahrelang andauernden Konfliktes auf dem gesamten Balkan und der aktuellen Flüchtlingsströme in ihre Länder, nun ebenfalls Unruhen.

Der Jubiläumskonvent der Nato-Mitgliedsstaaten zementierte des weiteren auch die in den letzten Jahren praktizierten militärischen Interventionen weltweit. Die Tendenz weg vom reinen Verteidigungsbündnis hin zur willkürlichen Ein- und Angriffspolitik (die sog. weltweite Krisen-lntervention) auch ohne Mandate des UN-Sicherheitsrats wurden in Washington besiegelt.

Die Rolle Deutschlands, das sich innerhalb Europas zur Führungsrolle berufen fühlt, gibt ein zweischneidiges Bild in der Eskalation auf dem Balkan ab.

Zum einen mag es um die Erweiterung der Einflusssphären gen Osten gehen, auch mit militärischen Mitteln. Wobei klar ist, dass solch ein Konflikt ohne die Präsenz der USA nicht möglich wäre. Zum anderen mögen auch die oben beschriebenen Interessen in der Flüchtlingsfrage eine Rolle spielen.

Außerdem gäbe es auch noch andere Optionen für Europa unter der Schirmherrschaft der BRD. Eine wirtschaftliche kontinentale Alternative ohne die US-Amerikaner dafür aber mit Russland durch eine Achse Moskau-Berlin-Paris.

Diese Option ist nicht neu, gewinnt aber zunehmend wieder offene Ohren, denn geographisch hört Europa nicht an den Grenzen der EU auf.

Dass das der Clinton-Albright-Riege nicht passt, ist klar. So sehen amerikanische Wirtschaftsexperten in einem geeinten Europa mit eigener Währung einen ernsten Konkurrenten auf dem Weltmarkt und damit einen potentiellen Gegner bei der Diktierung der zukünftigen Handelsbestimmungen. Die Interessen der amerikanischen Wirtschaft lassen sich mit denen Europas nicht vereinbaren. Das Beispiel des Bananenkrieg, welcher zu Gunsten Amerikas entschieden wurde und auch die Überlegungen zu einem Fleischboykott gegen die geplanten Einfuhrbestimmungen nach Europa, lassen vermuten, was ums in den nächsten Jahren noch erwartet.

Das amerikanische Interesse an einem stabilen Europa, beinhaltet einen Fuß in der Tür, um weiterhin im europäischen Gewirr eine Politik der Stärke und Abhängigkeit zu verfestigen. Der Besuch Schröders und Fischers in Washington kurz nach ihrer Wahl zum Regierungsbündnis, und ihr Treueschwur zum großen Bruder spricht Bände.

Und dennoch gibt es die ständigen Bemühungen deutscher und französischer Politiker, Russland mit ins Boot zu holen und sich somit die Möglichkeit der Zusammenarbeit für die Zukunft nicht zu verscherzen.

Diese Zweischneidigkeit steht sich aber nicht zwangsläufig gegenüber. Die deutschen Interessen als erstarkende politisch-wirtschaftliche Macht in Europa mit der Tendenz, auch militärisch alsbald zu einer eigenen Größe emporzusteigen, nimmt immer konkretere Formen an.

Wie gesagt, militärisch ist die BRD noch nicht vom großen Bruder USA zu trennen und geifert an seiner Seite zu neuen Ufern. Der geplante Ölboykott, welcher ebenfalls in Washington beschlossen wurde, hat schon im Vorfeld hierzulande klare Zusagen aus allen Reihen der Politik und Bevölkerung erhalten. Dass mit dem Embargo ein weiterer Schritt in Richtung Eskalation, auch in Bezug auf Russland, vorangetrieben wurde, scheint vom militärischen Standpunkt aus sekundär.

Auf der anderen Seite lassen die Bemühungen, Russland als Mittler zu funktionalisieren, erkennen, dass man Russland trotz der enormen Zwangsleine von IWF und Weltbank als westliches Militärbündnis nicht unbedingt traut.

Wirtschaftlich ist aber zu vermuten, dass sich die BRD mit ihren jetzigen Kontakten nach Moskau bei einem Gelingen einer „friedlichen“ Lösung unter Einbeziehung Russlands neue Chancen auf Zusammenarbeit und weiterreichende wirtschaftliche Übereinkünfte erhofft.

Denn ein wirtschaftlich erstarktes Europa wird langfristig bemüht sein, den USA die Stirn zu bieten.

Dass dieses nicht durch die Bank weg auf gleich großes Interesse innerhalb Europas stößt, dürfte auch klar sein. Ein Tony Blair verfolgt dabei noch ganz eigene Interessen.

Wie schon im Golfkrieg behauptet sich die militärische Entschlossenheit Großbritanniens auch diesmal als wichtigste amerikanische Stütze in Europa.

Insofern wird Amerika in jedem Fall einer der Kriegsgewinnler sein. Durch den Krieg vor der eigenen Haustür wird Europa finanziell geschwächt, und durch einen Aufbau des zerstörten Jugoslawien per Marshallplan ist auch weiterhin nicht von einer wirtschaftlichen Stabilisierung Europas auszugehen.

Eure radikal


Der Krieg und die deutsche Linke
oder: „Wir hassen den Krieg, deshalb bomben wir“

Nach den ersten Bombennächten und den öffentlichen Reaktionen, vor allem in den Medien, rauchte vielen Linksradikalen erst einmal der Kopf. Es ist schließlich nicht leicht, mit einer Kriegspropaganda konfrontiert zu sein, die schärfer ist als zu Zeiten, in denen sich die BRD lediglich unterstützend an Kriegen beteiligt hat (finanzielle Mittel und Minenkommandos beim Golf-Krieg, erster ‚Friedenseinsatz‘ in Somalia, Bosnien-Herzegowina). Diesmal geht es ganz anders zu. „Deutsche Tornados fliegen in der ersten Reihe“ (B.Z. 24. März 1999) und an der Heimatfront scheint der Großteil eher zuzustimmen. nach dem Motto „Leicht fällt es mir nicht, aber es ist nötig“. Ehemalige Pazifistlnnen profilieren sich immer noch als ‚gute Menschen‘. die in ihrer ‚Sowohl-als-auch‘-Position mit viel Bauchschmerz den Angriffskrieg auf die Republik Jugoslawien mittragen. (Wir bedauern ihre schlaflosen Nächte nicht, wenn sie sie denn haben sollten).

Die politischen Bezugssysteme scheinen auf dem Kopf zu stehen, wenn auf dem Höhepunkt der Kriegstreiberei durch ehemals linke Kräfte (B 90-Grünen), der Christdemokrat Schäuble mit Verweis auf eine gefährliche Relativierung des Nationalsozialismus bestimmten Argumentationslinien Einhalt zu gebieten versucht.

Plötzlich scheint Ekelpaket und Militarist Volker Rühe mit seiner Forderung, die in Mazedonien stationierten Bundeswehr-Soldaten abzuziehen, weil es kein UN-Mandat und keinen Auftrag gäbe, sympathischer als eine Riege von neoerwachsenen Alt-68ern. Einer der zentralen propagandistisch aufbereiteten Begriffe dieses Krieges heißt ‚Humanität‘:

‚Bomben auf das Haupt eines Diktators‘, sagen sie. ‚um die Kosovaren vor den Massakern zu retten und den Serben zu Demokratie und Glück zu verhelfen‘.

Die systemimmanente Kritik einiger Summen innerhalb der Regierungsparteien und ihrer MedienvertreterInnen (taz, Süddeutsche etc.) nach den ersten Kriegstagen, dass die Nato ihre Ziele nicht erreicht habe und die UNO übergangen wurde, ist zwar nett gemeint, aber darauf kommt es nun auch nicht mehr an. Die liberale Linke hat, um es auf den Punkt zu bringen, verschissen. Sie hat sich endgültig als staatstragend und als Teil der Eliten erwiesen, die schon immer ihren Machtanspruch auch durch Terror Folter und Tod durchgesetzt haben.

Angefangen bei der taz, die trotz einiger weniger kriegskritischer Töne diesen Krieg propagandistisch vorbereitet hat, bis zu ehemaligen pazifistischen linken Grünen und Intellektuellen wie Günter Grass, hat sich die Vorstellung vom ‚gerechten Krieg‘ etabliert.

Der so genannte linke Flügel der Grünen zeugt mit seinem von 700 Mitgliedern unterzeichneten Aufruf, den Bombenangriff zu stoppen und die UNO und OSZE mit deutscher Beteiligung ins Kosovo zu schicken, von der gleichen moralischen und staatstragenden Haltung und vom Suchen nach einer ‚besseren und humaneren‘ Anwendung staatlicher Unterdrückungs- und Herrschaftsinstrumente.

Und die radikale Linke?
Mit den Parolen ‚Gegen den Krieg‘ und ‚Nato raus aus Jugoslawien‘, lässt sich der moralischen Kriegsführung nichts entgegensetzen. Auch der Standpunkt, dass es sich bei der Humanitätsduselei vieler kriegsbefürwortender Ex-Pazifisten lediglich um Lügengewäsch zur Legitimierung und Durchsetzung von Machtinteressen handelt, wäre zu hinterfragen.

Wie viel von diesem moralinsaurem Gewäsch ist Schauspielerei? Sind die aufgesetzten Gesten ernst zu nehmen, oder ist das alles nur ein mächtiger rhethorischer Coup einer Clique ‚humanitär‘ geschulter Alt-Linker, die ihr Kriegsgeschäft besonders überzeugend propagieren?

Klar ist es kein Zufall, dass am rot-grünen Machthebel so einige Inhalte, auf die sich auch die radikale Linke bezieht, plötzlich für einen Krieg herhalten müssen. Aber werden diese Inhalte wirklich instrumentalisiert, oder waren sie nicht von vorn herein system-opportunistisch?

Hier sei die These aufgestellt, dass es einem Großteil der Alt-68er tatsächlich um die Verhinderung eines ‚zweiten Auschwitz im Kosovo geht‘, um den Wunsch endlich auf der richtigen Seite zu stehen. Eine radikale Kritik daran sollte nicht nur den impliziten Geschichtsrevisionismus angreifen, der die einmaligen Verbrechen des Nationalsozialismus relativiert, sondern auch jene moralischen Denkgebäude der Linken, welche nun mal Joseph Fischer und Angelika Beer, etc. zu dem gemacht haben, was sie heute sind. Und war es nicht ein Pfeiler dieses Gebäudes, alles besser machen zu können, wenn die ‚ungerechte‘ Herrschaft durch ihre ‚gerechte‘ ersetzt werden würde? Endlich hat mensch die Mittel in der Hand, um das Gute durchsetzen zu können. („Wenn wir das System nicht abschaffen können‘ müssen wir es eben selber anführen“)

Der Traum vieler Linker, ‚ein guter Antifaschist‘ zu sein, scheint für einen Teil der 68er mit der Bombardierung Belgrads wahr geworden zu sein. Dabei spielt die Tatsache, dass Belgrad vor 56 Jahren von Nazis bombardiert wurde, keine Rolle. Auch die Linksradikale spart oft nicht mit ungenauen Faschismus-Analysen. So werden inflationär jegliche Form von Unterdrückung und Herrschaft als faschistisch dämonisiert.

Das alles mag nach einer nüchternen Beschreibung grüner Realpolitik klingen. Ist also nur der Weg durch die Institutionen schuld daran, dass dieser Krieg nun ausgerechnet von ausgewiesene Alt-Linken geführt wird?

Abgesehen von der Kritik an den unerträglichen NS-Gleichsetzungen, die über linksliberale und konservative Medien sowie deutsche ins Feld geführt werden, fehlen die Antworten über die Gründe des Kriegsgeschreis vieler (ehemaliger) Linker. Es bleibt die Frage, welche Positionen sich die radikale Linke angesichts dessen auf die Fahne schreiben sollte.

Wünschenswert wäre jedenfalls, wenn zu einem klaren Nein zu jeglicher Intervention auf dem Balkan ein Nein zu Deutschland und seinen Machtinstitutionen hinzukommen würde. Wünschenswert wäre außerdem, die deutschen Interessen an diesem Krieg verstärkt zu thematisieren und sich nicht auf plumpen Antiamerikanismus zu beschränken.

Bei all dem kann es nicht schaden, die derzeitige Friedensbewegung ein wenig aufzuwischen und jeglichem nationalen Antiamerikanismus einen konsequenten internationalistischen Antiimperialismus entgegenzusetzen. Wir sollten allem Reden vom Selbstbestimmungsrecht der Völker Analysen entgegensetzen, die dem völkischen Ethnisierungsgedanken dieses Rechtes auf den Grund gehen und somit die Ursachen des Balkankonfliktes aufzeigen.

Nato spalten! Grüne auflösen!
Joschka zu Fischers Stäbchen!



radikal 156
 17. Juni 1999