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Evaluation in English
Nach dem Gipfel – Eine Anti-G8-Nachbereitung
Gegeninformationsbüro 26. Juni 2007


Wie auch in den letzten Jahren verabschiedeten sich acht Repräsentanten der kapitalistischen Welt von ihrer Gipfelshow in Heiligendamm mit aufgeblasenen Versprechungen, an die keinerlei Verpflichtungen geknüpft sind. So jedenfalls bei den öffentlichkeitswirksamen Themen, mit Hilfe derer sie sich bei der propagandistischen Vorbereitung des Gipfels, als Retter der Welt und barmherzige Samariter darzustellen versuchten. Laue Absichtserklärungen für mehr Entwicklungshilfe, für mehr Aids-Hilfe und so weiter, machten es selbst den unkritischsten Reportern der bürgerlichen Medien schwer, das Gipfeltreffen als Erfolg zu verkaufen.

Für diese Show haben sie sich für mehr als 100 Millionen Euro hinter Zäunen verbunkert, gesichert durch 17 800 staatlich bezahlte Schläger und das Militär. Die bundesdeutsche Regierung hat auf einem 40 Quadratkilometer großen Terrain um Heiligendamm einen kriegsähnlichen Zustand initiiert: während der Einsatz der Bundeswehr im Innern angeblich noch diskutiert wird, sind die Soldaten schon längst auf unseren Straßen, in der Luft und auf dem Wasser im Präventiveinsatz gegen den inneren Widerstand, ausgerüstet unter anderem mit Maschinenpistolen, Panzerspähwagen und Kampfhubschraubern und -booten. Sie waren postiert auf Brücken, an Kreuzungen, auf Feldwegen und luden Einheiten aus der Luft in den Feldern ab. Tornados, in Afghanistan im Kriegseinsatz, donnerten auch hier im Tiefflug über die Camps. Verfassungsbruch? Was kümmert das die Elite. Allein linke PolitikerInnen und linke JournalistInnen skandalisieren diesen Dammbruch für die Militarisierung der Gesellschaft.

Fast zwei Jahre haben auch wir uns als Teil der radikalen Linken, zusammen mit anderen linken und fortschrittlichen Organisationen und Gruppierungen aller gesellschaftlichen Bereiche auf eine internationale Mobilisierung konzentriert, um im Juni 2007 in Heiligendamm gegen die kriegs- und profitorientierte Politik der kapitalistischen Staaten zu protestieren und ihr Gipfeltreffen zu stören: es kamen zig-tausend motivierte Leute aus Europa und anderen Teilen der Welt. Die Mehrheit in der Überzeugung, von ihrem in der Verfassung verbrieften Recht zu protestieren Gebrauch zu machen. Viele Andere mit Wut und Hass, weil sie wussten: was Recht ist, bestimmt das multinationale Kapital.

Der Staat hat sein Repressionsarsenal und seinen Repressionswillen in seiner ganzen Bedrohlichkeit zur Schau gestellt und in verschiedensten Situationen brutal zum Einsatz gebracht. Bullen- und Sondereinheiten führten mehrmals täglich Körper- und Taschenkontrollen durch, ließen Demonstrierende im Spalier laufen, prügelten, beleidigten und sperrten Leute in Guantanamo ähnliche Käfigen ein. Sie verletzten mit Knüppeln, Wasserwerfern, Gas und Pfefferspray, schränkten die Bewegungsfreiheit ein, legten Züge und Busse lahm und erfassten massenhaft persönliche Daten.

Dass am 2. Juni bei der Demo dann der erste Stein flog ist unter diesen Verhältnissen zwangsläufig: Sei es durch einen Provokateur, sei es, dass uns in unserer ohnmächtigen Wut leider kein schlagkräftigeres Mittel zur Verfügung steht, um diesen gewalttätigen Apparat wenigstens anzukratzen. Wer Gewalt sät, wird Hass ernten.

Angesichts der Tatsache, dass Deutschland im Krieg ist und die Gesellschaft schleichend militarisiert wird, dass die Ausbeutung verschärft wurde und die neoliberale Politik die Verarmung und geistige sowie soziale Verelendung der Bevölkerung vorantreibt, dass Folter und Geheimgefängnisse bekanntermaßen existieren, verwundert es doch eher, dass in diesem Land so wenige Steine fliegen.

Wir wollen unsere Proteste vor Ort keineswegs als große gewonnene Schlacht aufbauschen, aber wie lange ist es her, dass die Leute sich massenhaft einen Scheißdreck um die Verbote, Einschränkungen, Einschüchterungen und Angriffe der Bullen geschert haben, und einfach gemacht haben, was sie sich vorgenommen hatten. Dieser gemeinsame Schritt Tausender über die – viele Jahre akzeptierte – Grenze des von der Polizei Erlaubten, ist doch eine erfrischende Aussicht auf die zukünftige Entwicklung der Kämpfe gegen die kapitalistischen Zumutungen.

Das Erreichen des Zaunes kann von uns nicht als Triumph eingeschätzt werden, obwohl die Freude über die blockierten Zufahrtswege zum Tagungsort groß war. Die Staatsmacht hat uns offensichtlich aus taktischen Gründen die „rote Zone“ als „Kampffeld“ oder „Spielwiese“ zugewiesen. Wobei wir keinesfalls die Schwerverletzten vergessen wollen. Etwa zwei Monate vor dem Gipfel hat KAVALA das Vorfeld des Zauns als „rote Zone“ deklariert. Eine psychologische Barrikade, die zu überwinden das strategische Ziel von ‚Block G8‘ war. Nicht der Zaun war das Angriffsziel. Und natürlich ist auch die „rote Zone“ nicht ohne Brutalitäten der Robocops gegen die entschlossenen GegnerInnen des G8-Gipfels erobert worden, aber sie haben ihr zur Schau getragenes Repressionspotential dosiert ausgespielt, bemüht ihr öffentliches Image nicht gänzlich zu zerstören. Die Repressionsbereitschaft wurde jedoch pausenlos signalisiert: Wir können auch anders und machen Euch platt, wenn es opportun ist. Es war für alle sichtbar: Wir leben definitiv in einem Polizeistaat, wo nicht mal mehr die Gesetze den vorgeblichen Notwendigkeiten angepasst oder für diese geschaffen werden müssen. Und es war für die zur Blockade Entschlossenen zu keiner Zeit sichtbar, wann und ob sie angegriffen, zusammengeschlagen und geräumt werden. Sie haben sich davon nicht einschüchtern lassen und auf ihre gut vorbereitete Strategie vertraut. Der Ansatz einer organisierten Massenmilitanz ist sichtbar geworden.

Darüber hinaus hat die gemeinsame politische Praxis der Vorbereitung und Durchführung der Proteste die zersplitterte und vielspektrische Linke stärker zueinander in Beziehung gesetzt. Doch möglicherweise lösen sich alle Verbindungen bis zum nächsten großen Event wieder auf. Aber ebenso ist es möglich, dass sich die positiven Erfahrungen niederschlagen in größeren Diskussionszusammenhängen und engerer Vernetzung.

Eine markante Erfahrung ist: die inhaltliche Schärfung politischer Positionen durch Spektren übergreifende Diskussionen ist fast nicht möglich und wird vermieden, um eine praktische Zusammenarbeit nicht zu gefährden. Die gemeinsame Organisierung von Protesten gegen imperialistische Großevents, trägt zur politischen Weiterentwicklung innerhalb der linken Spektren nicht viel bei. Unsere eigenen Versuche, den systemischen Zusammenhang von Ausbeutung und imperialistischen Kriegen zu thematisieren, das Bewusstsein dafür zu erweitern sind nicht über enge Bündnisgrenzen wirksam geworden.

Obwohl der Staats- und Sicherheitsapparat vor allem in Meckpom durch die KAVALA große Anstrengungen unternommen hatte, die Bevölkerung einzuschüchtern und einen Entsolidarisierungsprozess gegen die Gipfel-ProtestlerInnen in Gang zu setzen, haben die Leute vor Ort sich den Protesten nicht verschlossen, sondern in vielen Fällen tätige Solidarität gezeigt. Und das obwohl die Mainstreammedien wie immer ihre Rolle als Sprach- und Manipulationsorgane der Mächtigen hervorragend erfüllten. Mit doppelzüngiger Verlogenheit wird das Steine schmeißen von jenen hysterisch verurteilt, die das Kommando für Bombardierungen und Erschießungen geben, die Folter und Vergewaltigungen gutheißen oder hinnehmen, die mit kalter Berechnung ihres Profits, Hunger, Elend und Verwüstung schaffen. Die reaktionäre Lesart der  Anti-G8-Proteste in den bürgerlichen Medien hat sich dennoch, vor allem auch nach den Protesten, nicht vollständig durchgesetzt. Die unzähligen Videoberichte unabhängiger TeilnehmerInnen an den Protesten, entlarven die von der Presse übernommenen Polizeiberichte. Und weil in den Kämpfen immer auch Fronten geklärt werden, ist es ein schöner Erfolg, dass vor allem die medialen Kollaborateure in der Linken sich entlarvt haben und von der Basis als unerträgliche Spalter öffentlich kritisiert und teilweise rausgeschmissen wurden. So bei Attac, die Linke, IL und ALB. Die Debatten darum sind noch nicht beendet.

Es gibt keinen Grund zum Feiern ...

Aber auch kleine Siege miteinander gegen den Apparat machen Mut, machen Spaß, sind das belebende Elixier für unseren alltäglichen Klassenkrieg.

Gegeninformationsbüro
 26. Juni 2007