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Krippenspiel mit Beutelluder
Peter Polzer Siegessäule 15. November 2000


Am 13. Mai 1999 warf Samira beim Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen einen Farbbeutel auf Bundesaußenminister Joschka Fischer, um gegen die bundesdeutsche Beteiligung am Jugoslawien-Krieg zu protestieren. Eineinhalb Jahre später findet nun am Parteitags-Ort Bielefeld der Prozess statt. Dieser soll zum wiederholten Protest gegen den Krieg genutzt werden und deshalb geleitet Schirmherrin Gloria Viagra am 21. Dezember die Angeklagte und die hoffentlich zahlreichen Prozess-Touristinnen und Touristen zur Verhandlung. Der Tagestrip soll mit einem Schminkkurs im Bus, einem Auftritt der „Hauptstädter Fischer-Chörchen“ sowie mit einer Kundgebung und kulturellem Rahmenprogrogramm angereichert werden. Die SIEGESSÄULE sprach mit Samira über ihren Protest und die Folgen.

Warum hast du den Farbbeutel auf Außenminister Joschka Fischer geworfen?

Im Kontext des Jugoslawien-Krieges, in dem täglich militärische und zivile Ziele bombadiert wurden,war der Beutel zur rechten Zeit am rechten Ohr. Fischer war einer der Politiker, die den Krieg verteidigt haben. Es gab damals eine bundesweite Mobilisierung, um den Parteitag der Grünen zu verhindern, weil diese glaubten, sechs Wochen nach Beginn des mitgetragenen Krieges, nochmal das Für und Wider der NATO-Bomben diskutieren zu können.

Und warum dann gerade ein Farbbeutel?

Es war ein gutes Symbol, Fischer blutrot zu markieren und so die grüne Partei als Kriegstreiber hervorzuheben.

Verband sich mit der Person Joschka Fischer auch die Enttäuschung, dass die Grünen ihre ursprünglichen Ideale verlassen haben?

(zögert) Nein. Von den Grünen war schon lange nichts mehr zu erwarten. Ihre Ideale haben sie bekanntlich um den Preis der politischen Macht verkauft. Jeder Kriegs-Widerstand, auch gegen eine andere Partei oder Person, hätte Sinn gemacht.

Sollte es lediglich ein Symbol werden? Oder war die Körperverletzung von Anfang an mit in Kauf genommen?


Die Markierung von Fischer war das Hauptziel. Auch das Ausland sollte sehen, dass es in Deutschland auch eine Anti-Kriegsbewegung gibt. Eine Ohrverletzung war nie beabsichtigt.

Wie lief das Nachspiel ab?

Zwei Tage lang gab es Titelseiten von dem „Transvestit besudelt Fischer“. Ich wurde bundesweit gesucht und habe mich nach zwei Tagen gestellt. Gesucht wurde u.a. ein Schwuler, der mich bei der Aktion geschützt haben soll. Fischer machte ein Angebot: Wenn ich seine Ohrverletzung bezahle und der Kosovo-Hilfe spende, würde er vom Prozess absehen.

Darauf wolltest du nicht eingehen?


Ich habe darauf mit einer öffentlichen Erklärung reagiert: Ja, ich zahle seine Ohrverletzung, wenn er die durch seine Bomben Verletzten und Angehörigen der Ermordeten entschädigt wenigstens als Geste. Der Kosovo-Hilfe wollte ich nicht spenden, weil das sonst missverstanden worden wäre, dass ich Flüchtlinge in Lagern untergebracht haben will. Mein persönlicher Beitrag wäre gewesen, drei Deserteure bei mir zuhause aufzunehmen. Auf dem Ohr war Fischer taub.

Warum kommt der Prozess erst jetzt?

Mein Anwalt hat die Vernehmung Fischers beantragt. Der Richter hat die Frage meines Anwalts, ob Fischer an der Durchsetzung des Krieges mit beteiligt gewesen sei, als unzulässig abgelehnt. Wir haben den Befangenheitsantrag gegen den Richter inzwischen zurückgezogen, damit es endlich zum Prozess kommt.

Und der findet nun am 21. Dezember in Bielefeld statt. Dazu mobilisierst du bundesweit Sympathisantinnen und Sympathisanten?

Ja, aus dem lesbischschwulen, transidentischen, linksradikalen und KriegsgegnerInnen-Umfeld. Diese unterschiedlichen Spektren sind eingeladen noch mal ein öffentliches Zeichen gegen den Krieg setzten. Vor dem Gericht gibt es eine Kundgebung mit kulturelles Programm

Was für eine Strafe erwartest du?

Der Farbbeutel gilt als Waffe. Mein bisheriges Urteil ohne öffentlichen Prozess, der offenbar verhindert werden sollte, lautet: Sieben Monate Knast auf drei Jahre Bewährung wegen gefährlicher Körperverletzung. Die drei Jahre Bewährung sind für eine transidente Person besonders problematisch, da man sich im Alltag auch bei einem sexistischen, homophoben und transphoben Übergriff natürlich zur Wehr setzen will. Das kann dann Knast bedeuten.




Busfahrt mit Gloria Viagra und Samira am 21.12. zum Prozess nach Bielefeld (Prozessbeginn 14 Uhr, Gerichtsstraße 6, Raum 4089, Bielefeld); Buskarten bei Prinz Eisenherz, Schwarze Risse (Mehringhof) und an der Gaderobe des SO36

Solikonto für die Prozesskosten: Prozesskostenkonto. Kto.Nr. 20610-106, Postbank Berlin, BLZ, 10010010, Stichwort: Aufprall
 15. November 2000