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Auf zur Demo am 8. Mai 2005 in Berlin!
Mittenwald Broschüre 3. April 2005


Am 8. Mai 1945 jubelten und feierten die Menschen in Paris, London, Moskau, Krakau und Amsterdam. Dieser Tag des Sieges über den deutschen Faschismus ist auch für uns ein Tag der Freude. 60 Jahre danach gibt es aber auch allerhand Gründe unsere Unzufriedenheit mit den heute herrschenden Verhältnissen auf die Straße zu tragen.


Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!

Der Faschismus ist uns Mahnung und Aufforderung in Zeiten von weltweiten Angriffskriegen und Besatzung, gesteigerter Ausbeutung, grassierendem Rassismus und einer aggressiven neofaschistischen Bewegung nicht wegzuschauen, sondern zu handeln. Die Bundeswehr ist in eine weltweit einsatzfähige Angriffsarmee umgebaut worden. Wir stehen gegen imperialistische Kriege und die Relativierung des deutschen Faschismus. In diesem Sinne rufen wir alle Menschen auf am 8. Mai 2005 mit uns zu demonstrieren. Wenn Faschisten in Berlin auftauchen und marschieren wollen, planen wir uns ihnen gemeinsam auf der Strasse entgegenzustellen und sofern sich die Gelegenheit ergibt, ihnen kräftig eins auf den Deckel zu geben.


Der 8. Mai und die vielen Befreiungen ...

Der 8. Mai ist der Tag der Niederlage der Nazis, des nationalsozialistischen Deutschlands und seines Programmes zur Ausrottung der Juden, des eliminatorischen Antisemitismus. Befreit wurden die Opfer und Gegner des NS: die Überlebenden Insassen der Konzentrations- und Vernichtungslager, jüdische Männer und Frauen, Roma, „Asoziale“. Befreit wurden aus den Lagern auch KommunistInnen, SozialdemokratInnen, WiderstandskämpferInnen, aber auch vermeintlich unpolitische Gruppen, die zu Volksschädlingen erklärt wurden. Befreit wurden ZwangsarbeiterInnen und diejenigen, die sich aufgrund verschiedener Formen zivilen Ungehorsams in permanenter Lebensgefahr befanden, z.B. weil sie Verfolgte versteckten. Befreit wurden auch die Opfer der Normierung durch Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit und die Überlebenden aus den Reihen der als „unwertes Leben“ kategorisierten Menschen mit vermeintlicher Behinderung. Befreit wurden jene Menschen, deren Länder von den deutschen Faschisten besetzt und mit unvorstellbarem Terror überzogen worden waren. In Deutschland war keine breite Partisanenbewegung vorhanden, welche mithalf, die Nazis und ihre Kollaborateure zu bezwingen. Nur kleine Gruppen bürgerlicher Demokraten und vor allem KommunistInnen und SozialdemokratInnen hatten den Faschisten Widerstand geleistet. Die Befreiung von der nationalsozialistischen Terrorherrschaft gelang nur von außen und mit militärischen Mitteln.


Und die Alliierten?

So wichtig die militärische Niederschlagung des NS-Monstrums war: Dieselben Befreier, die in der Lage waren, ganze Großstädte zu bombardieren, verzichteten auf die Bombardierung der Gleise nach Auschwitz. Sie wiesen Juden, Antifaschisten und andere Opfer und Gegner des NS an ihren Grenzen zurück und kämpften selbst mit nach Hautfarbe sortierten Einheiten. Die West-Alliierten verschonten ausgewählte Teile der westdeutschen Kriegsindustrie, mit denen sie selbst vor 1945 Geschäfte machten und weiter machen wollten. Die Befreier brachten neue politische Institutionen, die zwar die größten Verbrechen beendeten, wesentliche Herrschaftsverhältnisse jedoch fortschrieben: Dazu braucht man nicht erst die Aktionen beispielsweise der USA in Chile 28 Jahre später anzuführen: Gleich am 8. Mai 1945, als Araber und Berber, die in der französischen Armee selbst mitgekämpft hatten, ihren Sieg feiern und auch für sich selbst Befreiung fordern wollten, schlug die koloniale Repression sofort brutal zu. Die Massaker des 8. Mai 1945 von Sétif, Melbou, Kherrata und Guelma forderten mehrere zehntausend Tote.


Fahnenflucht statt Fahnenhype!

Auch das ist bei aller Dankbarkeit an die Adresse der Anti-Hitler-Koalition ein guter Grund dafür, eine gewisse Distanz zu deren mit Nationalstaatsfahnen geschmückten Militärapparaten zu halten. Was in aller Welt reitet aber diejenigen, sich dieser Form des Nationalstaatsgedenkens unterzuordnen? Gab es in einigen Partisanenverbänden, in der Resistance, bei Sabotageaktionen und in Gestalt von Deserteuren

und „Wehrkraftzersetzern“ sogar innerhalb der Wehrmacht nicht genug Menschen und Gruppen, die den NS auch ohne Nationalstaatsfahnenschmuck militant oder militärisch bekämpft haben und gleichzeitig mit der Befreiung vom NS auch eine befreite Gesellschaft im Sinn hatten? Auch am 8. Mai rufen wir allen Nationalstaatsfahnenträgern mit schallendem lachen zu: Fahnenflucht statt Fahnenhype!


Der 8. Mai und die Kontinuitäten ...

Nicht nur Zwangsanstalten wie Gefängnisse und Psychiatrie gibt es weiterhin. Wichtige Teile und Eliten der NS-Gesellschaft kamen bruchlos in der BRD an (Richter, Bürokraten, Industrielle und ihre Firmen usw.). Die Gewinner des NS blieben die Gewinner der BRD, SS-Leuten bezahlte die BRD Renten. Ihre Opfer wurden zu Bittstellern, die in den seltensten Fällen (und nur geringe finanzielle) Entschädigungen erhielten. Während in der sowjetischen Besatzungszone der Bruch mit dem System wenigstens versucht wurde, hat der Kapitalismus als systemischer Gesellschaftszusammenhang in den West-Zonen Bestand: Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) gilt seit 1900 über das Ende des Kaiserreichs hinaus, die Weimarer Republik und den NS hindurch bis heute. Das BGB ist das zentrale juristische Regelwerk, das die Gesellschaft der konkurrierenden Privateigentümer juristisch erst herstellt. Der Faschismus ist hier eine anhaltend real-existierende Option zur politischen Herrschaftsorganisation innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft. Es ist auch nach dem 8. Mai von zentraler Bedeutung für alle sozialen und politischen Kämpfe gegen Ungerechtigkeit und Unfreiheit, sich mit dieser zutiefst beunruhigenden Tatsache zu konfrontieren.


So nicht!

Die Gesellschaften der Alliierten und die formaldemokratische Nachkriegsgesellschaft in der BRD sind für uns weder wünschenswert noch das Ende vom Lied. Wir beharren wir auf einem Befreiungsbegriff, der „die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“ (Schwur von Buchenwald) voraussetzt und in seinen Zielen weit über das bestehende Gesellschaftssystem hinausgeht. In diesem Jahr wird die Bundeswehr 50 Jahre alt. Nirgendwo wird der Charakter einer von oben auferlegten Befreiung deutlicher als angesichts der Remilitarisierung der Bundesrepublik. Sie hat nach 1989 ihre globale Kriegführungsfähigkeit als Führungsmacht einer sich militarisierenden Europäischen Union gezielt ausgeweitet. Dabei kommt die Geschichtspolitik der rot-grünen Regierung ohne Schlussstrichforderungen aus und rechtfertigt ihre Angriffskriege zugleich in dreister Weise durch die Instrumentalisierung von Auschwitz. Autoritäre Verbotspolitik wird als Antifaschismus inszeniert und Entschädigungsforderungen – wie alle Regierungen zuvor – in kaltblütiger Erwartung des Wegsterbens der Opfer ausgesessen.


Die glückliche und befreite Gesellschaft erkämpfen!

Wir leben in einer global gewordenen Welt, wo die Verwertungsmaschine lauf Hochtouren läuft. Mit dem Ende der Blockkonfrontation scheint es kein Erbarmen mehr zu geben. Die Strategie der Einbindung der Ausgebeuteten durch sozialstaatliche Absicherung ist ausgetauscht worden gegen die neue Barbarei des Ausschlusses der Überflüssigen. Was global gesehen schon lange an vielen Orten Realität war, schlägt nun in die Metropolen zurück: Die Priorität des Profitzweckes, die Imperative der Märkte sollen staatlicherseits mit vielfältigen Formen der Gewalt gegen jeden Widerspruch, Protest und Widerstand durchgesetzt werden. Die Bilanz der Befreiung in einen demokratisch genannten Kapitalismus zeigt so ziemlich das Gegenteil einer befreiten Gesellschaft: Heute befinden wir uns fast alle mitten im globalen, brutalen und menschenverachtenden Kampf aller gegen alle.

Glück und Befreiung stellen wir uns anders vor: Die Abschaffung aller Herrschaftsverhältnisse, aller patriarchaler, ökonomischer, rassistischer und antisemitischer Unterdrückung kann nur von unten kommen! Dabei begreifen wir Befreiung als einen permanenten Prozess, der von Menschen in sozialen Bewegungen in ihren konkreten Lebensbereichen basisdemokratisch und darüber hinaus solidarisch zu gestalten wäre.

Alois K und seine FreundInnen aus der ganzen Welt
 3. April 2005