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Aufruf eines Opponenten an die US-Regierung
Fidel Castro junge Welt 17. Mai 2004


Rede von Fidel Castro Ruz

Mister George W. Bush, die eine Million Kubaner, die heute hier zusammengekommen ist, um vor Ihrer Interessenvertretung zu demonstrieren, ist nur ein kleiner Teil eines mutigen und heldenhaften Volkes, das sich uns, wäre dies möglich, auch als Ganzes angeschlossen hätte.

Diese Zusammenkunft ist keine feindselige Geste gegen das US-amerikanische Volk, dessen ethische Wurzeln uns gut bekannt sind aus der Zeit, da die ersten Einwanderer auf dieser Erdhälfte eintrafen. Auch ist es nicht unsere Absicht, die Funktionäre, die Angestellten und das Wachpersonal dieser Einrichtung zu stören, denen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben alle Sicherheit und Garantien eines gebildeten und zivilisierten Volkes zuteil werden. Es ist dies ein Akt des empörten Protestes und der Anprangerung jener erbarmungslosen und grausamen Maßnahmen, die Ihre Regierung kürzlich gegen unser Land beschlossen hat.

Uns ist bereits jetzt klar, welches Bild Sie von jenen zeichnen werden, die hier heute demonstrieren. Ihnen zufolge handelt es sich um unterdrückte und nach Freiheit strebende Volksmassen, die einzig auf Befehl der Regierung Kubas auf die Straße gingen. Sie verkennen vollkommen, dass dieses würdige und stolze Volk, das 45 Jahre der Anfeindung, der Blockade und den Aggressionen seitens der stärksten Macht der Erde getrotzt hat, sich von keiner Macht der Welt wie eine Herde behandeln lässt, jeder einzelne mit einem Strick um den Hals.

Ein Staatsmann oder jemand, der es zu sein beabsichtigt, sollte wissen, dass die gerechten und wahrhaft menschlichen Ideen sich im Verlaufe der Geschichte als viel machtvoller erwiesen haben als die Gewalt, welche nur staubige, schmähliche Ruinen hinterlässt. Die menschlichen Ideen hingegen hinterlassen leuchtende, unauslöschliche Spuren. Doch der Zeit, in der wir leben, einer barbarischen, unzivilisierten und globalisierten Welt entsprechen die schlimmsten, düstersten und zweifelhaftesten Ideen. Die Ordnung, die Sie heute der Welt aufzwingen wollen, entbehrt jeglicher Ethik und Glaubwürdigkeit, jeglichen Normen von Gerechtigkeit sowie der elementarsten Grundsätze von Solidarität und edler Gesinnung.

Alles, was in Ihrer und der Welt Ihrer Verbündeten, die sie gemeinsam unseren Planeten ausplündern, über Menschenrechte geschrieben wird, ist eine kolossale Lüge. Milliarden Menschen leiden Hunger; es fehlen ihnen ausreichend Nahrungsmittel, Medikamente, Kleidung, Schuhe, Wohnraum. Sie leben in unmenschlichen Verhältnissen, besitzen weder Kenntnisse noch genügend Informationen, um ihre und die Tragödie der Welt, in der sie leben, zu begreifen.

Sicher hat Sie noch niemand über die Zahl – sie ist inzwischen siebenstellig – der Kinder, Heranwachsenden, Jugendlichen, Mütter, Personen mittleren Alters und Senioren informiert, die gerettet werden könnten und die doch Jahr für Jahr zugrunde gehen auf unserer Erde, in diesem „idyllischen Garten Eden“; ebenso wenig über das rasante Tempo, mit dem die natürlichen Lebensbedingungen zerstört und die fossilen Brennstoffe verschwendet werden, deren Entstehung auf unserem Planeten 300 Millionen Jahre gedauert hat.

Ihren Assistenten bräuchten Sie lediglich präzise Angaben abzufordern über die in Ihren Arsenalen befindlichen Zehntausenden von Kernwaffen, von chemischen und biologischen Waffen, Bombenflugzeugen, Langstrecken- und Präzisionsraketen, Zerstörern, Flugzeugträgern, konventionellen und nichtkonventionellen Waffen, die ausreichen, alles Leben auf unserem Planeten zu vernichten.

Weder Sie noch ein anderer fände angesichts dessen jemals Schlaf; auch Ihre Verbündeten nicht, die mit Ihnen wetteifern hinsichtlich der Entwicklung ihrer Arsenale. Betrachtet man das unterentwickelte Verantwortungsgefühl, das mangelnde politische Talent, das Ungleichgewicht zwischen den verschiedenen Staaten und den kaum vorhandenen Willen, in Protokollen, bei Treffen und bei Beratungen Überprüfungskriterien für Vereinbarungen festzulegen, so können jene, in deren Händen das Schicksal der Menschheit liegt, nur wenig Hoffnung haben, wenn sie, ratlos und gleichgültig, auf jenes wahre Irrenhaus blicken, zu dem die Weltpolitik geworden ist.

Anliegen dieser Zeilen ist nicht, Sie zu beleidigen; doch da Sie nun einmal entschlossen sind, dieses Land einzuschüchtern, aufzuschrecken, um schließlich sein sozioökonomisches System, seine Unabhängigkeit sowie, falls erforderlich, das Land als solches zu vernichten, betrachte ich es als meine elementare Pflicht, Ihnen einige Wahrheiten vor Augen zu führen.

Weder moralisch noch von Rechts wegen steht es Ihnen zu, von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten zu reden, denn Sie verfügen über genügend Macht, die Menschheit zu vernichten. Mit dieser Macht trachten Sie danach, der Welt eine Tyrannei aufzuzwingen, um gleichzeitig die Organisation der Vereinten Nationen zu ignorieren und zu zerstören, die Völkerrechte der Staaten zu verletzen, Eroberungskriege zu führen, um sich Märkte und Ressourcen der Welt anzueignen, der Welt dekadente und anachronistische politische und soziale Systeme aufzuzwingen, die die Gattung Mensch in den Abgrund führen werden.

Es gibt noch andere Gründe, aus denen sie das Wort Demokratie nicht in den Mund nehmen dürfen: Dazu gehört Ihr Amtsantritt als Staatspräsident, von dem alle Welt weiß, dass er durch Betrug zustande kam. Von Freiheit dürfen Sie nicht sprechen, denn für Sie gibt es keine andere Welt als jene, die vom Terror der todbringenden Waffen beherrscht wird, die Ihre unerfahrene Hand auf die Menschheit loslassen kann.

Von Umwelt dürfen Sie nicht reden, denn Ihnen entgeht vollkommen, dass die Gattung Mensch Gefahr läuft zu verschwinden.

Der Tyrannei beschuldigen Sie das wirtschaftliche und politische System, welches das kubanische Volk – verglichen mit den am weitesten entwickelten Ländern der Welt – auf die höchste Stufe der Alphabetisierung, des Wissens und der Kultur geführt hat; welches die Säuglingssterblichkeit auf eine Ziffer reduziert hat, die unter derjenigen in den Vereinigten Staaten liegt und das der Bevölkerung sämtliche Leistungen des Gesundheitswesens, des Bildungswesens und anderer gesellschaftlich und menschlich bedeutender Bereiche kostenfrei zuteil werden lässt.

Lächerlich und hohl klingen Ihre Äußerungen über Menschenrechte in Kuba. Dieses, Herr Bush, ist eines der wenigen Länder auf dieser Erdhälfte, in denen es in 45 Jahren niemals Folter, keine Todesschwadron, keine außergerichtliche Exekution, keinen Regierenden gegeben hat, der in Ausübung der Macht zum Millionär geworden wäre.

Es fehlt Ihnen an moralischer Autorität, über Kuba zu sprechen; ein Land, das einer 45 Jahre währenden brutalen Blockade, einem Wirtschaftskrieg und terroristischen Überfällen widerstanden hat, die Tausende Menschenleben gefordert und Milliarden Dollar an wirtschaftlichem Schaden verursacht haben.

Sie nehmen Kuba gegenüber eine feindselige Haltung ein, und das aus schäbigen politischen Gründen: weil Sie Unterstützung für Ihre Wahl bei einer schrumpfenden Gruppe von Abtrünnigen und Söldnern suchen, die weder Ethik noch Prinzipien kennen. Ihnen, Mr. Bush, fehlt die Moral, um von Terrorismus sprechen zu können, denn umgeben sind Sie von einer Mörderbande, die mit ihren kriminellen Handlungen das Leben Tausender Kubaner auf dem Gewissen haben.

Aus Ihrer Verachtung von Menschenleben machen Sie keinen Hehl, denn Sie haben nicht gezögert, den außergerichtlichen Tod von einer unbekannten, da geheim gehaltenen Anzahl Personen in der Welt zu befehlen.

Sie nehmen sich das Recht der nackten Gewalt, sich in die Angelegenheiten Kubas einzumischen und nach Ihrem Gutdünken den Übergang von einem System in ein anderes zu proklamieren und Maßnahmen zur Umsetzung dieses Plans zu treffen.

Dieses Volk kann ausgerottet werden – Sie sollen das ruhig wissen –, es kann vom Erdboden gefegt werden, doch es kann nicht unterjocht werden, um erneut in den demütigenden Status einer Neokolonie der Vereinigten Staaten herabzusinken.

Kuba kämpft für das Leben auf der Welt; Sie kämpfen für den Tod.

Während Sie mit Ihren Präventiv- und Überraschungsangriffen unzählige Menschen töten, rettet Kuba hunderttausendfach das Leben von Kindern, Müttern, Kranken und alten Menschen auf der Welt.

Das einzige, was Sie über Kuba wissen, sind die Lügen einer korrupten und unersättlichen Mafia ehemaliger Batista-Anhänger und deren Nachkommen, die Experten im Wahlbetrug und in der Lage sind, jemanden zum Präsidenten der Vereinigten Staaten zu machen, dessen erzielte Stimmen für einen Wahlsieg nicht ausreichten.

Ein System der Ungleichheit wie jenes, das Sie repräsentieren, bringt den Menschen keine Freiheit, sie können überhaupt nicht wissen, was Freiheit ist. In den Vereinigten Staaten sind die Menschen bei ihrer Geburt nicht gleich. In den Ghettos der Menschen afrikanischer und lateinamerikanischer Abstammung und in den Reservaten der Indios, die dieses Land bevölkerten und die ausgerottet wurden, gibt es keine andere Gleichheit als jene, arm zu sein und ausgegrenzt zu werden.

Unser Volk, erzogen im Geiste der Solidarität und des Internationalismus, empfindet dem US-amerikanischen Volk gegenüber keinen Hass und möchte die jungen Soldaten seines Landes nicht sterben sehen. Es sind Weiße, Schwarze, Indios, Mestizen, Lateinamerikaner, häufig durch Arbeitslosigkeit dazu gebracht, in Militäreinheiten zu kämpfen und zu Präventivschlägen oder in Eroberungskriege irgendwohin auf der Welt geschickt zu werden. Die unglaublichen Folterungen an Gefangenen in Irak haben die Welt aufs äußerste entsetzt.

Meine Absicht ist es nicht, Sie mit diesen Zeilen zu beleidigen, ich sagte es bereits. Mein Bestreben ist es lediglich, dass irgendeiner Ihrer Assistenten, wenn Sie einmal einen Augenblick Zeit haben, Ihnen diese Wahrheiten unterbreitet, auch wenn Sie Ihnen partout nicht genehm sind.

Da Sie nun entschieden haben, dass die Würfel gegen uns gefallen sind, möchte ich mich von Ihnen verabschieden mit den Worten der römischen Gladiatoren, die zum Kampf die Arena betraten: Heil dir, Cäsar; die Todgeweihten grüßen dich.

Ich bedauere nur, dass ich dabei nicht einmal Ihr Gesicht sehen kann, denn in diesem Falle werden Sie Tausende Kilometer entfernt sein, und ich werde an vorderster Front stehen, um bei der Verteidigung meiner Heimat kämpfend zu fallen.

Im Namen des kubanischen Volkes Fidel Castro Ruz
 17. Mai 2004