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Parteitag des Todes und Kongress für das Leben
Gegeninformationsbüro 7. Dezember 2003

Im folgenden veröffentlichen wir einen Artikel, von einem Genossen des Gegeninformationsbüros der sich zur Zeit in Bolivien aufhält, der einerseits die Situation in Bolivien nach den Aufständen im Oktober und die daraus resultierenden Perspektiventwicklungen aufzeigt, und andererseits die verlogene und machtorientierte Show einer sich noch immer links von der Mitte definierenden Partei der Grünen bloßstellt. Diese Gegenüberstellung von basisdemokratischem Handeln und institutionalisiertem Ritual macht die Perversität unseres Systems einmal mehr deutlich. Die Armen Boliviens zeigen uns, dass Widerstand möglich ist und die von uns so häufig beschworenen Freiräume und Phantasien erarbeitet werden müssen und können. Wann vertreiben wir unsere Regierung und beginnen mit dem Aufbau einer partizipativen und integrierenden Alternative?


Am 29. November 2003 konnte ich den Parteitag der Grünen am Fernseher verfolgen und den 2. Kongress des Movimiento al Socialismo (MAS [1]) in La Paz (Bolivien) live miterleben.

Der Parteitag der Grünen war ein Treffen des Todes. Daniel Cohn Bendit verkündete die Erfüllung des Traumes unserer Väter, den Traum eines großen, starken und friedlichen Europas! Welche Väter meint er? Den Traum der deutschen Industriellen, den sie erst mit Kaiser und dann mit Hitler nicht verwirklichen konnten! Es scheint, dass sie nun den richtigen Partner gefunden haben.

Die Grünen setzen auf das Vergessen: 5000 tote jugoslawische Zivilisten, ein radioaktiv verseuchtes Ex-Jugoslawien und ein judenfreies Kosovo nahmen sie für ein friedliches Leben auf den Balkan in kauf. Jedoch sterben heute im Kosovo genauso viele Kosovaren wie vor dem Krieg (laut International Crisis Group Brüssel).

Parteitag des Todes, weil diese imperialistische Gruppierung ihre SoldateAn weltweit in die Gefechte zur Sicherung wirtschaftlicher und politischer Interessen schickt.

Es fragt niemand nach den Taten der KSK Truppe in Afghanistan. Keine Toten auf Seiten der afghanischen Bevölkerung? Wir erfahren nichts! Auch nichts von der Trauer somalischer, jemenitischer Familien, deren Angehörige starben, als deutsche Fregatten die Fischerboote ihrer Angehörigen versenkten.

Mehr erfahren wir, wenn deutsche Soldaten Opfer von Anschlägen werden. Die meisten deutschen Soldaten begehen jedoch Selbstmord: allein im Kosovo angeblich 48.

Die Zukunft, die uns dieser Parteitag bringen wird, ist ein Ausdehnen der Kriege für deutsche und europäische Interessen und bald wird es nicht nur Asien und Afrika sein, der Hinterhof der Vereinigten Staaten bietet sich bald als UNO-Mandat an.

Der Kongress der MAS hingegen, war ein Treffen für das Leben. Aus allen Landesteilen kamen Delegierte, um die politische Situation nach dem schwarzen Oktober zu diskutieren und ihr Präsidium neu zu wählen.

Die Führung der MAS war nicht anwesend. Es war ein reines Treffen der Basis.

Eröffnet wurde der Kongress mit den Worten: wir sind nicht aus La Paz, nicht aus den Yungas, nicht aus dem Chapare, wir sind die Armen dieses Landes und wir repräsentieren die Mehrheit.

Sieben Kommissionen stellten ihre Berichte zur Diskussion. Alle Themen, die das Land und die Gesellschaft beschäftigen, sind darin enthalten: über die Industrialisierung und eigene Verwertung des Gases, über sexuelle Identität und Selbstbestimmung, bis hin zu Nutzung des Kokablätter für die Medizin und Anerkennung der Pflanze als Nahrungsmittel.

Der Kongress hatte kulturrevolutionären Charakter, weil er alle Lebensbereiche Boliviens erfasste und die Menschen bereit sind für ihre Rechte zu kämpfen.

Das tägliche Leben in Bolivien ist zur Zeit von DemonAstrationen und Kundgebungen erfüllt. An der Universität befinden sich Studenten in einem Hungerstreik und haben viele Fakultäten besetzt. Ihr Kampf geht um das Recht auf Autonomie und Selbstbestimmung, sowie die Absetzung der korrupten Unileitung. Am 1. Dezember nahmen sie den Direktor Salazar und seine rechte Hand gefangen und entwaffneten ihn (eine Pistole und ein Revolver), zogen ihn bis auf die Unterhosen aus und ließen ihn dann vor laufender Kamera ein Live-Interview geben.

Die Angehörigen der Toten und Verletzten des Oktobers haben einen 60 Kilometer langen Marsch nach La Paz gemacht, um ihrer Forderung nach Bestrafung der Schuldigen und Entschädigung Nachdruck zu verleihen.

Die Besetzungen durch Landlose gehen weiter und es kommt immer wieder zu Übergriffen der Militärs. In den Städten werden Häuser besetzt und auf öffentlichen Plätzen und vor Regierungsgebäuden finden Versammlungen und Kundgebungen statt.

All diese Leute wurden auf dem Kongress der MAS vertreten. Dass sie arm sind, brauchen sie niemandem zu erklären, denn 80 Prozent der bolivianischen Bevölkerung muss mit täglich zwei Dollar auskommen und einige sogar mit weniger.

Diese Menschen kämpfen für das Leben und ihr größter Gegner sind zur Zeit die USA. Nicht nur, dass die USA das Gas Boliviens geschenkt haben wollen, den Kokaanbau haben sie verboten, töten mit Sondereinheiten Kokabauern und zerstören die Felder mit Chemikalien.

Eine Jahrhundert alte Tradition in Bolivien wird vernichtet. Was würden die Bushs schreien, wenn bolivianische Kokabauern Chemie auf die Tabakplantagen oder Weinberge der USA streuen würden.

Auf dem Kongress wurde der antiimperialistische Inhalt der bolivianischen Revolution hervorgehoben. Insbesondere die Kokabauern machten sich stark für diesen Aspekt des Kampfes und dafür wurden zwei ihrer Leute iAns Präsidium gewählt, was den Einfluss der Kokabauern stärkt. Der antiimperialistische Inhalt und die Einheit der MAS bezieht sich hauptsächlich auf die Ablehnung des „Freihandelsabkommens“ ALCA. Hier sehen sie sich verbündet mit allen anderen Menschen in Südamerika. Das ALCA wird von allen Lateinamerikanern und inzwischen der Mehrheit ihrer Regierungen abgelehnt.

An dieser Stelle spielt sich das große Europa als vorgeblicher Interessensvertreter Südamerikas auf. Denn ein von den USA dominiertes Südamerika verstößt gegen die wirtschaftlichen Interessen Europas und traditionell Deutschlands. Deutschland hat den Koreakrieg der USA wirtschaftlich unter der Bedingung unterstützt, dass es alle nach dem 2.Weltkrieg enteigneten Firmen in Südamerika zurückbekommt. Nun könnte über das ALCA eine zweite Enteignung stattfinden.

Die Gefahr für Bolivien und den revolutionären Kampf besteht in der Unterschätzung des europäischen Imperialismus. Schon jetzt erwähnte Bundespräsident Rau in Mexiko die eventuelle Intervention der UNO in Bolivien. Auch die USA setzen auf die UNO, um in ihrem Schatten militärisch intervenieren zu können. Die UNO wird mehr und mehr zum Instrument imperialistischer und kolonialistischer Politik der USA und Europas. Der Irak zeigt, dass die Menschen sich auch von der UNO nicht alles bieten lassen. (Anschlag auf die UNO).

Die Angst der Imperialisten vor den campesinos, obreros und chollitas, vor einfachen und armen Menschen besteht darin, dass ihr Kampf übergreifen könnte. Bereits jetzt sehen sich Lula in Brasilien und Kirchner in Argentinien unter Druck. Ihre Bevölkerung schaut nach Bolivien und kämpft für die gleichen Rechte.

Die indigene Bevölkerung in Süd- und Mittelamerika sieht die Errungenschaften und Ziele in Bolivien, wo die Aymara, Quechua und Chimare für ihr Recht auf Selbstbestimmung kämpfen.

Die MAS begreift sich als ein politisches Instrument für die politischen und sozialen Rechte der Bolivianer. Sie hat aber eine Vorbildfunktion für Südamerika. Sie knüpft an den Vorstellungen Hugo Chávez’ für eine bolivarianische Revolution an und an dieser soll sich das große Europa und die USA mit samt der UNO die Zähne ausbeißen.


Fußnoten:
  1. Die MAS versteht sich als politisches Instrument für die Souveränität der Völker und als Teil der kontinentalen Indigenen-, Schwarzen- und Volksbewegungen. Sie wird von Evo Morales, einem Kokabauern, angeführt. Durch die MAS werden Bauern, Aymaras, Chimanes, Straßenverkäufer, Fabrikarbeiter, Landlose und alle Sektoren, die sich durch offizielle Parteien nicht vertreten fühlen, repräsentiert. Am 30. Juni 2003 kam die MAS bei den Wahlen in Bolivien auf den zweiten Platz mit nur 1,5 Punkten hinter der MNR von Gonzalo Sánchez de Lozada, der auf Grund der Oktober-Aufstände fluchtartig das Land verlassen musste. Die MAS lehnte jedwede Koalitionsverhandlungen ab und befindet sich in der Opposition im Parlament. [back]
 7. Dezember 2003