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Grundsicherung statt Sozialhilfe
Berliner Behindertenzeitung 27. Oktober 2002


Ab 1. Januar 2003 tritt das von der Öffentlichkeit fast unbemerkt verabschiedete Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) in Kraft. Damit hat zum ersten Mal eine Grundsicherung als Alternative zur Sozialhilfe in das Sozialrecht Eingang gefunden.


Wer kann unter welchen Voraussetzungen diese Leistungen in Anspruch nehmen?

Leistungen nach diesem Gesetz können auf Antrag zum einen Menschen erhalten, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, zum anderen Menschen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und (im Sinne des Paragraphen 43 Absatz 2 SGB VI) voll erwerbsgemindert sind, „und bei denen unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann“ (so der Gesetzestext). Voraussetzung ist, dass sie ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen und Vermögen sichern können. Wenn es darum geht, werden das Einkommen bzw. das Vermögen eines nicht getrennt lebenden Ehegatten und des Partners oder der Partnerin einer eheähnlichen Gemeinschaft berücksichtigt, nicht aber – und das ist wohl die eigentliche Neuerung in diesem Gesetz – die Unterhaltsansprüche der Antragsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern, sofern deren jährliches Gesamteinkommen (im Sinne des Paragraphen 16 SGB IV) unter einem Betrag von 100 000 Euro liegt.


Umfang der Leistungen

Die bedarfsorientierte Grundsicherung soll den notwendigen Grundbedarf in einer pauschalierten Form abdecken, ohne dass Sozialhilfe in Anspruch genommen werden muss, wenn die Leistungen der Rentenversicherung dazu nicht ausreichen.
Inhaltlich lehnt sich die Grundsicherung in ihren Leistungen sehr stark an die Sozialhilfe an.

Als Grundsicherung wird hier ein Betrag definiert, der sich aus dem Sozialhilfe-Regelsatz für den Antragssteller plus 15 Prozent des Eckregelsatzes eines Haushaltsvorstandes zusammensetzt. Hinzu kommen „die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung“, die Übernahme von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen entsprechend Paragraph 13 BSHG und ein Mehrbedarf von 20 Prozent des maßgebenden Regelsatzes bei Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen G.


Ein Schritt zur Beseitigung von verdeckter Armut

Viele arme Menschen, insbesondere alte Menschen, die zu ihrer zu geringen Alters- oder Erwerbsunfähigkeitsrente noch Sozialhilfe beantragen könnten, tun dies bislang nicht. Denn sie wollen ihren Kindern bzw. Eltern nicht zur Last fallen, die bisher nämlich zum Unterhalt herangezogen werden. Das neue Grundsicherungsgesetz wird eben dies ändern.

Zudem bietet das GSiG Menschen, die so schwer behindert sind, dass sie ihren eigenen Lebensunterhalt nicht sicherstellen können, ab Volljährigkeit einen eigenen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Bislang sind mit dem Paragraph 16 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) Menschen mit Behinderung, die im Haushalt der Eltern lebten, von einem eigenen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt abgeschnitten; denjenigen unter ihnen, die in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeiten, ist mit den geringen dortigen Einkommen so keine unabhängige Lebensführung möglich. Nach Inkrafttreten des GSiG wird diesen Menschen mit der Grundsicherung und dem in der Werkstatt verdienten Lohn die Chance eröffnet, allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu wohnen und zu leben.

Für die Leistung der Grundsicherung entfällt die gesetzliche Vermutung, dass der Antragsteller von Verwandten und Verschwägerten, die mit ihm in Haushaltsgemeinschaft leben, Leistungen zum Lebensunterhalt erhält. In einer Erklärung der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung vom 13. Februar 2001 wird das folgendermaßen bewertet: „Ein Grundsicherungskonzept, das sich von der starren Anwendung des Paragraph 16 BSHG verabschiedet, leistet einen ungemein wichtigen Beitrag zur Teilhabe behinderter Menschen am Leben in der Gemeinschaft.“


Perspektiven für die Umsetzung:

In manchen Fällen wird es in Zukunft wohl zu einer Verschränkung von Grundsicherung und Sozialhilfe kommen, im Allgemeinen gibt es ab Anfang 2003 aber die Grundsicherung, die Rentenversicherung und die Sozialhilfe nebeneinander, ohne dass dies aber mit Mehrbelastungen für die kommunale Verwaltung verbunden sein soll: Im Hinblick auf den Personalbedarf und den Verwaltungsaufwand werden von Seiten der Regierungsparteien sogar Einsparungen erhofft: Die pauschalierte Auszahlung der einmaligen Leistungen und auch der Wegfall des Unterhaltsrückgriffs würden Verwaltungsvereinfachungen und damit Einsparungen mit sich bringen.

Die CDU/CSU, die vorhatte, das GSiG wieder rückgängig zu machen, argumentierte damit, das Rot-Grün mit dieser Grundsicherung Lasten auf die Kommunen verlagere, ohne ihnen die nötigen finanziellen Mittel dafür zur Verfügung zu stellen. Dies entbehre aber jeder Grundlage, so Katrin Göring-Eckardt, die rentenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen. Die Kosten der Grundsicherung – maximal rund 405 Millionen Euro – seien, wie vereinbart, vollständig vom Bund zu tragen. Der Bund stelle den Kommunen diese Mittel zur Verfügung und werde alle zwei Jahre überprüfen, wie die finanziellen Auswirkungen sind.


Wo gibt es Informationen für Anspruchsberechtigte?

Eine breite Informationskampagne sollte nun schon begonnen haben. Hier stehen das Land, die Bezirke und die Rentenversicherungsträger in der Pflicht. Für die konkrete Information und Beratung von rentenberechtigten Personen soll der jeweilige Rentenversicherungsträger zuständig sein. Wer bislang vom Sozialamt Hilfe zum Lebensunterhalt oder Hilfe in besonderen Lebenslagen erhält, soll von den Sozialämtern auf diese neue gesetzliche Regelung hingewiesen, über die Leistungsvoraussetzungen und das Verfahren informiert werden.


Für noch offene Fragen:

Über Fragen in Zusammenhang mit dem neuen Gesetz informiert ein Ratgeber: Albrecht Brühl/Albert Hofmann: Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – Text, Erläuterungen und Informationen für Betroffene, Berater und Behörden, November 2001, 128 Seiten, zwölf Euro (in dem Preis sind die Versandkosten enthalten).

Bezug über Albert Hofmann, Carl-Goerdeler-Str. 124, 60320 Frankfurt / M., Fax: 069/ 56 003 758; eMail: dr.ahofmann@t-online.de
 27. Oktober 2003