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Der „große Wurf“ der Hartz-Kommission: Das neue Arbeitsamt: vermarkten statt vermitteln
Gegenstandpunkt 20. Juni 2002

Vier Millionen Landesbewohner im besten Alter sind arbeitslos, zehn Prozent der „erwerbsfähigen Bevölkerung“ im Sinne der amtlichen Statistik – und niemand ist erfreut darüber, wie weit es diese Gesellschaft gebracht hat beim Einsparen von Arbeitsmühe, wieviel Freizeit sie ihren Mitgliedern schon verschafft hat, wie gut es denen geht, wenn jeder Zehnte sich schon gar nicht mehr abplagen muss, und trotzdem ist der ganze Laden bestens versorgt ... Das wäre ja auch zynisch. Denn dass die zehn Prozent, deren Arbeitskraft gar nicht mehr nötig ist, ganz ausgesprochen schlecht versorgt sind, dass Arbeitslosigkeit weitgehenden Ausschluss von all den Gütern bedeutet, die gleichwohl im Überfluss produziert werden, dass es also kein Glück, sondern ein Pech ist, von der Last des Arbeitslebens befreit zu sein: Das weiß schließlich jeder.

Dass die Arbeitslosen schlicht arm sind, ihnen die Mittel fehlen, um wenigstens einigermaßen anständig über die Runden zu kommen, will so einfach aber auch niemand stehen lassen. Ihre Notlage besteht nach allgemeiner Auffassung vielmehr darin, dass es ihnen an Arbeit fehlt.

Schließlich gilt ja unbestritten, dass, wer nicht arbeitet, auch keinen Lebensunterhalt verdient – ungeachtet der Tatsache, dass für die gesellschaftlich notwendige Arbeit immer weniger Arbeitsaufwand nötig ist und immer weniger Leute gebraucht werden. Zweifel an diesem widersprüchlichen Sachzwang meldet im Deutschland des neuen Jahrhunderts erst recht niemand mehr an; die paradoxen Notwendigkeiten, denen der Erwerb eines Lebensunterhalts durch Berufstätigkeit unterworfen ist, sind unbefragt und schon gleich unkritisiert als fixe Gegebenheiten akzeptiert.

Um so mehr widmet sich die Allgemeinheit der Suche nach Rezepten, wie nach Maßgabe dieser Gegebenheiten den vier Millionen Arbeitslosen trotzdem eine Erwerbsarbeit verschafft werden kann. Die realexistierende Allgemeinheit, die regierende Staatsgewalt, setzt sogar eine Arbeitsgruppe ausdrücklich darauf an, uneingeschränkt ihre Phantasie walten zu lassen und „unkonventionelle“, bislang unerhörte „innovative“ Vorschläge zur Bewältigung des „Arbeitslosenproblems“ zu entwickeln. Die tut das auch, wie ihr geheißen – und wartet mit einer Liste von Maßnahmen auf, mit denen, wie es offiziell heißt, „der Druck auf die Arbeitslosen verschärft“ werden soll, ihre materielle Lage verschlechtert wird: Man kommt ihnen mit neuen Zumutungen und zusätzlichen Schikanen.

Und seltsam: Das geht unwidersprochen als Dienst an den Arbeitslosen durch; auch bei den vielen sozial gesinnten Leuten, die es doch gibt; niemand, auch von denen keiner, hält das für zynisch und widerwärtig. Andererseits aber auch wieder sehr logisch: Mit der Fragestellung, auf die sich der Verstand der Nation unter Anleitung ihrer Regierungen partei- und klassenübergreifend über alle politischen und weltanschaulichen Differenzen hinweg längst hat einschwören lassen und unter der nun auch die eingesetzte Kommission ihre ‚Arbeit‘ aufnimmt: Was lässt sich dafür tun, dass die Arbeitslosen eine Beschäftigung bekommen? sind diese Gemeinheiten vorprogrammiert. Mit der Frage ist schon vor jeder Antwort das Bekenntnis zum System der Lohnarbeit abgerufen und anerkannt, dass die armen Leute, denen die allgemeine Fürsorge gilt, alternativlos auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft als ihr Lebensmittel verwiesen sind – und verwiesen bleiben, auch dann, wenn sich für sie aus dieser Einkommensquelle gar kein Einkommen erzielen lässt, weil sich für ihre Arbeitskraft kein Käufer findet. Unter dieser Prämisse kann den Arbeitslosen nur helfen, was ihre eigentümliche Ware für potentielle Arbeitgeber attraktiver macht, so dass das, was unter dem Titel ‚Kampf gegen die Arbeitslosigkeit‘ „angedacht“ und in die Wege geleitet wird, folgerichtig gar nichts anderes sein kann als ein Programm zur Förderung der kapitalistischen Benutzung der nationalen Arbeitskraft, ihrer Zurichtung dafür.

Darin konsequent von A bis Z stellt die Hartz-Kommission mit ihren unglaublich originellen Einfällen in „13 Modulen gegen die Arbeitslosigkeit“ überhaupt nichts anderes fest und als Imperativ heraus als den Zweck, dem die marktwirtschaftliche Erwerbsarbeit wirklich und ausschließlich dient – denn sonst findet sie eben gar nicht statt –, und die Notwendigkeiten, die sich daraus ergeben: Damit mehr gearbeitet werden kann, fordert sie mehr Ausbeutung; und damit mehr Ausbeutung stattfindet, müssen die Ausbeutungsbedingungen grundlegend verbessert werden.
Genau die Gleichung, die man marxistischen Kritikern dieses Ladens nie glauben wollte und will, wird Kanzler Schröders Hartz-Kommission hoch angerechnet. Kritik kommt allein von denen, die bei der Vollstreckung dieses Gleichheitszeichens, so wie sie in den Kommissionsvorschlägen in einem „großen Wurf“ vorgezeichnet wird, immer noch die eigentlich notwendige durchgreifende Konsequenz vermissen.


1. Die große Einsicht

Mit der sozialstaatlichen Verwaltung des Arbeitslosenheeres, für das per Umverteilung von Lohnbestandteilen ein – tendenziell sinkender, zeitlich befristeter - Lohnersatz organisiert wird; mit der Vermittlung von Arbeitsuchenden – nach verschärften Zumutbarkeitskriterien, in zunehmend schlechtere Stellen; mit der Kürzung und Streichung von Bezügen vom Arbeitsamt bei Ablehnung ‚zumutbarer‘ Beschäftigung; mit Arbeitsbeschaffungs- und Qualifikationsmaßnahmen, denen sich die Klientel der Behörde zu unterziehen hat, damit sie sich nicht „in ihrem Arbeitslosendasein einrichtet“ – kurz: Mit all dem, was der Sozialstaat bislang unternommen hat, um den Arbeitslosen Beine zu machen, ihnen das Leben auf Kosten der Sozialkassen, das sie sich gar nicht ausgesucht haben, zu verleiden, ist es nicht mehr getan. Was not tut, sind grundlegendere Änderungen: Es gilt, die nationale Arbeitskraftreserve zu einem durchgreifend verbesserten Angebot an die Arbeitgeber aufzumöbeln.


2. Der großartige Einfall

Das hat der Staat in die Hand zu nehmen. Aus seiner Arbeitslosenverwaltungsbehörde muss ein echter Dienstleister für Arbeitgeber werden, der Firmen zu „Kunden“ hat und diesen bedarfsgerecht Personal anbietet. Dafür langt es nicht, tarif- und sozialrechtlich anspruchsberechtigte Arbeitssuchende auf Stellen vermitteln zu wollen, die von der Wirtschaft zu diesen Bedingungen viel zu spärlich und immer spärlicher angebotenen werden. Die staatliche Arbeitsbehörde muss statt dessen ihre Arbeit suchende Klientel mit ganz neuer Entschiedenheit als nationale Arbeitskraft-Ressource in den Griff nehmen, damit selber aktiv, als eine Art Zwischenhändler, an ihre Firmenkundschaft herantreten und dieser für den zeitweiligen Ankauf der öffentlich feilgebotenen Ware Arbeitskraft Konditionen einräumen, denen kein Arbeitgeber widerstehen kann: Sie erspart den Unternehmern herkömmliche soziale Verpflichtungen – tarifliche Lohnzahlung, Sozialabgaben, Einhaltung von Kündigungsschutzvorschriften –, erlaubt ihnen damit ein höheres Maß an Ausbeutung und macht ihnen zu diesen Bedingungen die nationale Arbeitskraftreserve verfügbar.

Die Arbeitslosen verlieren ihren frisch zuerkannten Status von „Kunden“ des nach diesen Maßgaben reformierten Arbeitsamtes keineswegs. Im Gegenteil, sie dürfen und sollen sich mehr denn je als die eigentlichen Nutznießer dieses „modernen Dienstleistungsunternehmens“ begreifen. Denn das – „was kann ich bitte für Sie tun?“ – nimmt ihnen zwar nicht die Mühseligkeiten, aber schon mal die damit verbundene Freiheit aus der Hand, sich selbst vermarkten zu müssen: Es unterbreitet ihnen nicht mehr bloß – immer nachdrücklicher immer schlechtere – Stellenangebote, sondern vermarktet sie gleich selbst; sachgerecht, wie es sich gehört, also im Sinne der Unternehmer, die sie anwenden sollen.


3. Das Konzept zur Umsetzung

Bereits aus der Radikalisierung bisheriger Verfahren im Umgang mit den Arbeitslosen geht deutlich die Richtung hervor, in der der Laden umgekrempelt werden soll. Nach den Vorschlägen der Kommission sollen Arbeits- und Sozialämter „organisatorisch zusammengelegt“ und als

Job-Center

zur „Anlaufstelle für alle Erwerbstätigen, die nach geltendem Recht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen“, (Frankfurter Rundschau 6. Juli) werden. Durch diese organisatorische Umstellung will die Kommission „die Empfänger von Lohnersatzleistungen stringent in Erwerbsfähige und nicht Erwerbsfähige unterscheiden“. (Tagesspiegel 20. Juli) Gleichgültig dagegen, wie weit es die unter der Rubrik 'erwerbsfähig' Zusammengefassten in der Karriere vom frisch Gekündigten zum hoffnungslosen Langzeitarbeitslosen, vom Arbeitslosen mit erworbenem Versicherungsanspruch auf einen irgendwie immer noch an ihrem letzten Lohn bemessenen Lohnersatz zum Sozialhilfeempfänger gebracht haben: Dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, ungenutzte verfügbare und vor allem: nutzbar zu machende Arbeitskraft zu repräsentieren, ist ihre erste und wesentliche Eigenschaft, hinter die ihr sozialrechtlich definierter Status sowie die mit diesem verbundenen Rücksichten zurücktreten.

In dieser Eigenschaft werden die am Ende dieser Karriere Angelangten neu ins Visier genommen:

„Bei der vorgeschlagenen Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe würden rund 600 000 bis 900 000 erwerbsfähige Empfänger von Sozialhilfe in das System der Arbeitsverwaltung integriert.“ (Frankfurter Rundschau 12. August)

In dieser Eigenschaft sollen aber auch die noch ganz am Anfang dieser Karriere Stehenden neuen Pflichten unterworfen werden. Die haben sich bereits zum Zeitpunkt der Kündigung beim Job-Center zu melden (sonst werden ihnen nachher die Bezüge gekürzt), damit dieses bereits bis zu ihrer Entlassung einen Job für sie auftun kann. Im Idealfall geht also das Kommando über ihre Arbeitskraft direkt von ihrem alten an einen neuen Arbeitgeber über. Um diesem Ideal möglichst nahe zu kommen, wird ihnen die Suche nach einem Arbeitsplatz weitgehend, noch weiter als bisher aus der Hand genommen. Zeit, um womöglich etwas Geeignetes zu finden, bei dem sie sich nicht gleich schlechter stellen, haben sie erst einmal keine, da müssen sie ja arbeiten. Und weil es um die Ansprüche, die sie an einen Arbeitsplatz stellen mögen, auch gar nicht geht, kriegen sie dafür auch keine Zeit, nachdem sie arbeitslos geworden sind. Dann erhalten sie eine „ganzheitliche“ „Rundum-Betreuung“ durch das Job-Center: Das nennt ihnen gemäß den für sie geltenden, noch einmal verschärften Zumutbarkeitskriterien Arbeitsstellen, um die sie sich nachdrücklich zu bemühen haben, auch dann, wenn diese Stellen „schlechter bezahlt“ sind und „in größerer Entfernung vom Wohnort“ liegen – und zwar nachweislich:

„Die Beweispflicht wird insofern umgekehrt, als der Arbeitslose nachweisen muss, dass er sich um eine Stelle bemüht.“ (Handelsblatt 13. August)

Arbeitslose, denen auf dem Wege einer solchen „Quick-Vermittlung“ keine Arbeit besorgt werden kann, sollen nach den Vorstellungen der Kommission – und damit bringt sie eine Änderung prinzipiellerer Natur ins Gespräch – nach sechs Monaten vom Job-Center an

Personal-Service-Agenturen

überstellt werden: „Jedem Arbeitsamt gliedern wir eine so genannte Personal-Service-Agentur an, die wie eine private Zeitarbeitsfirma arbeitet oder sogar eine ist. Dort werden die Arbeitslosen angestellt – mit allen Rechten und Pflichten. Praktisch sind sie dann nur eine Sekunde lang arbeitslos.“ (Hartz in: Der Spiegel 26/02)

In Gestalt dieser Agenturen übernimmt das Arbeitsamt die nicht zu Vermittelnden (soweit es sie dafür „für geeignet hält“; Handelsblatt 15. August) selbst in ein arbeitsrechtliches Verhältnis, in dem es ihnen in der Rechtsposition eines Arbeitgebers entgegentritt, der ihnen einen Lohn zahlt, dafür das Recht hat, frei über ihre Arbeitskraft zu verfügen, und sie – „wie eine private Zeitarbeitsfirma“ – interessierten Unternehmen überlässt; zu Bedingungen, die es mit denen vereinbart. Im Unterschied zu dem, was in der Welt der Arbeit, auch der der Leiharbeit, immer noch für normal gilt, kommt dieses arbeitsrechtliche Verhältnis allerdings nicht erst darüber zustande, dass die Arbeit Suchenden die Verfügung über ihre Arbeitskraft gegen einen Lohn (und zu sonst noch ausgemachten Bedingungen) an einen Arbeitgeber abtreten. Es ergibt sich vielmehr - quasi „automatisch“ – als Rechtsfolge daraus, dass sich nicht sofort ein neuer Käufer für ihre Arbeitskraft finden lässt: Nach einem halben Jahr erfolgloser Vermittlungsbemühungen verlieren sie das Recht auf freie Verfügung über ihre Arbeitskraft – das geht, ohne dass sie daran irgendwelche Bedingungen knüpfen könnten, an die staatliche Arbeitsbehörde über, die Verweigerung mit Leistungsverweigerung ihrerseits bestraft: „Lehnt“ ein Arbeitsloser seine Anstellung bei der Agentur „ab, wird nach drei oder sechs Monaten das Arbeitslosengeld gekürzt.“ (Frankfurter Rundschau 6. Juli)

Die Vorteile dieser Neuerung liegen für den Vorsitzenden der Kommission klar auf der Hand: „Während es für das Arbeitsamt heute ausgesprochen schwierig ist, Arbeitslose zur Annahme bestimmter Jobs zu zwingen, kann die Service-Agentur so etwas künftig einfach durchsetzen. Denn anders als das Amt ist die Agentur ein echter Arbeitgeber und kann, genauso wie ein Unternehmen, die bewährten Sanktionsprinzipien des Arbeitsrechts nutzen ... Wer nicht arbeiten will, fällt auf - und bekommt dann eine erheblich geringere Unterstützung.“ (Hartz in: Der Spiegel 32/02)

Unverhohlen gibt Hartz zu Protokoll, dass seine Kommision an der Einrichtung einer modernen Form staatlich organisierter Zwangsarbeit arbeitet. Die Frage, die seine Kommission - ohne damit Anstoß zu erregen – beschäftigt: Wie kann man Leute zur Annahme von Jobs zwingen? sieht er innerbetrieblich so hervorragend durch das Arbeitsrecht beantwortet, dass er diesen „bewährten“ Hebel zur Durchsetzung der Befehlsgewalt des Arbeitgebers über seine Mitarbeiter nun auch im Verhältnis zwischen Arbeitsamt und Arbeitslosen wirksam werden lassen will; im Verhältnis dazu befindet er alles, was das Arbeitsamt bislang an Sanktionsprinzipien zur Anwendung gebracht hat, für eine matte Sache.

Auf diese Idee, das muss man der Kommission lassen, ist in Deutschland – auch angesichts von ein paar Millionen Arbeitslosen – wirklich noch niemand gekommen! Aber heute geht es ja auch nicht darum, brachliegende nationale Arbeitskraft für Volk und Vaterland zu mobilisieren und zum Bau von Autobahnen und anderer staatsnützlicher Güter abzukommandieren. Es gilt, einen Arbeitsdienst an einer Wirtschaft zu organisieren, in der Rentabilität der Arbeit oberstes Gebot ist. Und angesichts dessen, dass sich vor diesem Kriterium ein stattlicher Anteil der nationalen Arbeitskraft als unbrauchbar erweist, bedarf es dazu eines differenzierteren Konzepts.

Nämlich folgendes: Der Staat erledigt für die Unternehmer im Lande als Erstes das leidige Problem mit dem Lohn. Den zahlt nämlich erst mal die Agentur – selbstverständlich nicht in der Höhe, wie er in den Entleihfirmen nach Tarif gezahlt wird: In den ersten sechs Monaten sollen die Ex-Arbeitslosen von den Agenturen einen Nettolohn in Höhe des Arbeitslosengeldes bekommen; danach soll ein spezieller PSA-Tarif für sie gelten. (Nach letzten Meldungen soll nun doch „vom ersten Tag an nach PSA-Tarif bezahlt werden. Jedoch soll dieser Tarif niedrigere Einstiegslöhne vorsehen“. Handelsblatt 15. August) Zur Finanzierung dieses Lohnes benutzt der Sozialstaat die Teile des Lohns der arbeitenden Bevölkerung, die er sowieso schon für seine Arbeitslosenverwaltung beschlagnahmt. Was er sich dann für verliehene Arbeitskraft vom ausleihenden Unternehmen zurückholt, das steht auf einem völlig anderen Blatt, ist grundsätzlich Verhandlungssache zwischen PSA und interessierter Firma und läuft allemal darauf hinaus, dass die Leasing-Kosten für PSA-Kräfte irgendwo zwischen Nulltarif und Spottpreis liegen.

Auf alle Fälle bleiben den hart kalkulierenden Leih-Arbeitgebern die horrenden Lohnnebenkosten erspart, wegen denen erwerbstüchtige Unternehmer in Deutschland angeblich schweren Herzens auf den Einsatz von Lohnarbeitern verzichten. Die Sozialbeiträge trägt jedenfalls die Agentur, natürlich ebenfalls aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung. Und von dem dritten großen Beschäftigungshindernis neben Lohn- und Lohnneben-Kosten, der schauerlichen „Verkrustung“ des Arbeitsmarkts durch Restriktionen beim Rausschmeißen – man fragt sich, wie trotzdem andauernd so viele Enlassungen gelingen, dass dem Arbeitslosenheer der Nachschub nicht ausgeht ... –, werden die Firmen-Kunden der PSA ganz automatisch sowieso befreit, womit das neue Angebot überhaupt und endgültig unschlagbar attraktiv werden dürfte: Kündigungsschutz genießen die Leiharbeiter bei „ihrer“ Agentur, der sie, einmal vom Job-Center dorthin überstellt, nicht mehr auskommen; für die Entleihfirmen erübrigen sich damit alle einschlägigen Vorschriften.

So kann es also losgehen, mit schönsten Sonderangeboten des Sozialstaats an die Unternehmer im Lande: „Über sie (die Personal-Service-Agenturen) können Unternehmen neue Mitarbeiter suchen, kostenlos auf Probe oder gegen Entgelt Mitarbeiter leihen.“ (Frankfurter Rundschau 6. Juli)

Das Entgelt, das sie an die Agentur zahlen – wenn sie überhaupt etwas zahlen –, ist, wie gesagt, Vereinbarungssache: „Nach einem früheren Entwurf sollten die PSA in den ersten sechs Monaten einen Lohnzuschuss von bis zu 100 Prozent, später von bis zu 50 Prozent zahlen können.“ (Handelsblatt 15. August)

Auf dieser Basis können Firmen nach Belieben, in jedem erwünschten Umfang „kurzfristig einsetzbare, jederzeit kündbare Arbeitskräfte“ anfordern; und zwar für x-beliebige Handlangerdienste sonstwo in der Republik. Kurz: Die Arbeitslosen werden den Unternehmern vom Staat zu unschlagbar günstigen Konditionen als beliebig einsetzbare Manövriermasse offeriert; und dank dieser Eigenschaft sollen sie vermehrt eingesetzt werden. Mehr von der nationalen Arbeitskraft soll einer kapitalistischen Benutzung zugeführt werden, indem man ihre Benutzer von jeder regulären Lohnzahlung und den rechtlichen Kautelen einer regulären Anstellung befreit.

Dieses Angebot eröffnet selbstverständlich die schönsten Perspektiven weit über den Umkreis der aktuell verbuchten Arbeitslosen hinaus und weit hinaus über die erhoffte und eventuell sogar wirklich eintretende Einrichtung des einen oder anderen neuen Beschäftigungsverhältnisses: Den Arbeitgebern wird eine ganz neue Möglichkeit geboten, von den Beschäftigungsverhältnissen loszukommen, mit denen sie herkömmlicherweise ihren kargen Profit erwirtschaften und die sich neben den PSA-Angeboten nun endgültig als viel zu teuer erweisen. Freilich wollen die Hartz-Reformer erst einmal so verstanden sein, dass bei den anvisierten neuen Arbeitsstellen an zusätzliche Jobs zu denken ist und nicht an eine kostensparende Erneuerung des Belegschaftsbestandes. Doch der „Charme“, den der Chef der Kommission seinem Konzept nachsagt, erschöpft sich darin nicht; und den Wink mit dem Zaunpfahl lässt er von seinem „Spiegel“-Interviewer auch gern aus sich herauslocken:

„Spiegel: Dann könnte die Firma ja gleich jemand Neues einstellen. Hartz: Das wird sie meistens nicht tun, weil ein Festangestellter oft teurer ist und nur schwer gekündigt werden kann. Das Konzept hat den Charme, dass wir zwei Ziele gleichzeitig erreichen. Die Unternehmen können günstig neue Arbeitsplätze schaffen. Trotzdem haben die Angestellten der Agentur vollen sozialen Schutz. Sie können nicht gekündigt werden und sind sozialversichert.“ (Der Spiegel 26/02)

Für die Arbeitslosen, denen die Existenzweise als Manövriermasse des Kapitals aufgenötigt werden soll, liegt der Charme des Konzepts darin, dass der Staat die sozialen Rücksichten auf die Notwendigkeiten der Reproduktion dieser Manövriermasse, von denen er seine Unternehmer befreit, in dem Maße übernimmt, in dem sie ihm unerlässlich erscheinen. Eingearbeitet in das Konzept sind deswegen auch alle möglichen zusätzlichen Reflexionen, insbesondere „familienfreundliche“, denn auch die Reproduktionsnotwendigkeiten einer Keimzelle des Staates mit einem mobilen Leiharbeiter als Ernährer wollen alle bedacht sein; deswegen sollen „arbeitslose Familienväter“ bevorzugt in feste Stellen vermittelt werden; „jüngere Alleinstehende“ müssen hingegen mit den verschärften Zumutbarkeitskriterien zurechtkommen etc. pp.

Das heißt aber nicht, dass die Existenzweise als Manövriermasse des Kapitals schon alles ist, was sich die Kommission für Arbeitslose mit fester Anstellung beim Arbeitsamt denken kann. Denn warum soll die Arbeitsbehörde die Arbeitskräfte, über die sie verfügt, nicht auch anderweitig einsetzen können, wenn die Wirtschaft sie für ihr Wachstum nicht brauchen kann:

„In Beschäftigungspausen erhalten die Leiharbeiter Qualifizierungsangebote oder werden bei ehrenamtlichen Tätigkeiten eingesetzt.“ (Handelsblatt 25. Juni)

Und außerdem hat die Kommission noch ein zweites bahnbrechendes Konzept in Sachen „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ auf Lager – für den verleihresistenten Überschuss an Arbeitslosen nämlich, für den auch die Personal-Service-Agenturen keinen ‚Lohn‘ locker machen:

Die IchAG/ FamilienAG

„Natürlich wollen wir auch mehr Beschäftigung schaffen. Sie müssen sich nur die Wachstumsbranche Schwarzarbeit ansehen. Was für ein Potential ... Deshalb wollen wir Arbeitslosen die Möglichkeit geben, sich unkompliziert selbständig zu machen. Wir nennen das die ‚IchAG‘ oder auch die ‚FamilienAG‘. Künftig dürfen Arbeitslose legal bis zu einer bestimmten Grenze dazuverdienen, wobei nur ein Teil gegengerechnet wird. Abzuführen ist nur eine Pauschalsteuer von zum Beispiel zehn Prozent. Im Vergleich zur Schwarzarbeit gewinnen alle: der Steuerzahler, das Finanz-, das Arbeitsamt und der Arbeitslose.“ (Hartz in: Der Spiegel 26/02)

Man muss die Schwarzarbeit nur einmal vorurteilslos und nicht gleich (dann aber schon auch) unter dem Gesichtspunkt betrachten, dass dem Staat Steuern entgehen, dann lässt sich eines nicht bestreiten: Das, was sich da naturwüchsig, in größerem und wachsendem Umfang eingestellt hat auf der Grundlage, dass sich zehn Prozent der Bevölkerung mit einer tendenziell sinkenden Stütze durchzuschlagen haben, ist kapitalistisch gesehen durchaus nützlich. Schwarz oder nicht schwarz: Es wird Arbeit abgeliefert; zu Konditionen, die sich im Vergleich zu denen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt gelten, sehen lassen können. Kapitalistisch gesehen werden diese Leute sogar in besonderer Weise ihrem Beruf als freie Lohnarbeiter gerecht: Ohne jede ‚verfälschende‘, allemal kostenträchtige und die freie Disposition über ihre Arbeitskraft beeinträchtigende politische Modifikation des Beschäftigungsverhältnisses, in das sie sich begeben, sind sie so frei, als uneingeschränkt über sich selbst verfügende Person nach geldvermögenden Interessenten zu suchen, an die sie ihre Arbeitskraft ausleihen können. Da wäre es doch gelacht, wenn sich aus diesem „Potential“ von Ein-Mann-Selbstverleihfirmen nicht mehr machen ließe. Und zwar dadurch, dass man sie nicht weiter in die Illegalität treibt, sondern ihnen einen staatlich geregelten, nicht mehr von Strafe bedrohten Status anbietet. Gegen die Zahlung von zehn Prozent ihrer Einkünfte an den Staat sollen sie den erwerben können – denn bei aller kapitalistischen Nützlichkeit: Steuern sollen sie selbstverständlich schon auch zahlen.

Ideell zu Selbständigen aufgewertet – als ‚eigener Chef‘, also auch als eigener Knecht, als Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einer Person –, dürfen sie sich dann ganz real selbst ausbeuten und bis zu 15 000 Euro (als FamilienAG 20 000 Euro) dazuverdienen – was natürlich nicht heißt, dass sie das hinkriegen; zu dem nämlich, was sie von ihrem Arbeitslosengeld behalten dürfen, denn das wird nicht einmal ganz mit ihrem Einkommen „gegengerechnet“. Was da in dieser großzügigen Weise aus den Kassen des Sozialstaats nach den Vorschlägen der Hartz-Kommission subventioniert werden soll, ist eine moderne Form des Tagelöhners, der, anders als sein historisches Vorbild, vom Staat nicht ‚seinem Schicksal überlassen‘ wird, sondern als staatlich geregelte Existenz und sogar mit staatlichen Zuschüssen in großem Stil in die Welt kommen und zur Grundlage eines ganzen „Marktes für Dienstleistungen“ am Kapital werden soll:

„Die Zielsetzung der IchAGs und FamilienAGs ...“ ist u.a. „die Schaffung und Vergrößerung des in Deutschland unterentwickelten Marktes für Dienstleistungen und andere einfache Arbeiten, die Flexibilisierung der Beschäftigten in kleineren Unternehmen und Handwerksbetrieben.“ (Entwurf der Kommission)

Die Dienstleistung, an die die Kommission denkt, wenn sie von diesem zukunftsträchtigen Markt für Dienstleistungen schwärmt, besteht also schon wieder schlicht und ergreifend darin, Unternehmern bessere Ausbeutungsbedingungen zu verschaffen. Gedacht ist da offensichtlich vor allem an den lieben Mittelstand, der bekanntlich im Zangengriff zwischen den Ansprüchen seiner Beschäftigten und dem Kostendruck der Konkurrenz Not leidet. Der Zugriff, den ihm der Staat auf eine ganze neue Klasse von working poor eröffnet, soll ausdrücklich Wirkung auf die etablierten Beschäftigungsverhältnisse in den Betrieben zeitigen; die sollen ausgehebelt werden und Verhältnissen Platz machen, die es diesem notleidenden Stand gestatten, mehr aus den Arbeitskräften herauszuholen.

Als Kleinausgabe der ‚IchAG‘, ohne den Formalismus der Selbständigkeit sich selbst vermarktender Existenzen, sollen nach den Vorstellungen der Kommission außerdem noch „Mini-Jobs“ gefördert werden:

„Die Kommission erwägt inzwischen, die Sozialversicherungsbeiträge bei geförderten Mini-Jobs zwischen 500 und 1000 Euro Monatseinkommen gestaffelt steigen zu lassen. Bis 500 Euro soll eine Pauschale von zehn Prozent gelten. Bislang lag die Verdienstgrenze für diese geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse bei 325 Euro.“ (SZ)

Arbeit, gefördert durch den Anreiz, mit dem durch sie zu erzielenden Einkommen Bruchteile der Arbeitskraft ernähren zu können, die sie abliefert; sogleich aber auch schon wieder gebunden an die Berechnung, dass sich auch noch die schäbigste Einkommensquelle – gestaffelt nach ihrer Schäbigkeit – als Finanzquelle der Sozialkassen einspannen lassen muss; und nach oben begrenzt durch den Anspruch des Fiskus auf reguläre Steuerzahlungen – das ist immerhin auch eine Erwägung wert als Ergänzung zu dem, was ansonsten auf dem modernen Arbeitsmarkt an total flexibler und mobiler Billigarbeit ins Angebot kommen soll!

Nicht mehr ins Angebot zu bringen – da herrscht bei der Kommission ein gewisser Realismus vor – sind die „älteren Jobsuchenden von 55 Jahren an“. Da hilft nichts anderes als die Stütze zur Brücke ins Rentenalter auszubauen:

Das Bridge-System

Zwar ist es schon auch bei denen noch den Versuch wert, sie durch die Schaffung neuer „Möglichkeiten für befristete Verträge ohne Einschränkungen“ noch einmal dem Arbeitsprozess zuzuführen. Insgesamt aber soll für sie gelten:

„Sie können sich Arbeitslosengeld und -hilfe bis zur Frühverrentung mit 60 auszahlen lassen. So fallen sie aus der Statistik und die Arbeitsämter müssen sich nicht mehr weiter um sie kümmern.“ (Frankfurter Rundschau 6. Juli; die Sache mit der Frühverrentung ist mittlerweile gestrichen)

Und, weil sie davon nicht leben können, haben die Beschäftigten, für die das dann ja die herbeiregierte Zukunfts-Perspektive ist, beizeiten eine
„Earnings Insurance“ abzuschließen, damit sie gegen die dann kurz nach der midlife-crisis eintretende Altersarmut versichert sind. Soviel Vorsorge muss sein und der Lohn hergeben, sonst landen sie doch bloß in der Sozialhilfe.


4. Und gleich noch ein großartiger Einfall

Es ist nämlich so, dass zum Ausbeuten von Arbeitskräften – auch wenn die selber noch so billig zu haben sind – immer noch ein Kapital-Vorschuss nötig ist; für die Einrichtung eines Arbeitsplatzes, wie es so schön heißt; und der muss sich rentieren. Und was fällt uns dazu ein? Genau! „Der Arbeitslose bringt“ – steht so da – „das Geld mit, das der Betrieb braucht, um ihn beschäftigen zu können.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung 7. August)
Und das soll so gehen:

Der Job Floater

„Jeder Arbeitslose wird mit einer Art Kreditgutschein über etwa 75 000 Euro ausgestattet. Stellt ein Unternehmen ihn ein, kann dieses sich Geld bei seiner Hausbank abholen ... Die neuen Personalserviceagenturen suchen kreditwürdige Unternehmen mit guten Geschäftsaussichten aus und bieten ihnen Arbeitslose als Zeitarbeiter an. Werden sie nach der Probezeit fest angestellt, wird der Kredit fällig ... Die Hausbank vermittelt für jeden eingestellten Arbeitslosen einen Förderkredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau bestehend aus zwei Tranchen, einem Bankkredit und einer Eigenkapitalhilfe. Nur bei der zweiten Tranche sind die Banken von der Haftung freigestellt. Die KfW refinanziert die Kredite am privaten Kapitalmarkt über steuerbegünstigte Anleihen.“ (Handelsblatt 7. August)

Auch wenn da laut FAZ „für den Wirtschaftswissenschaftler“ noch „vieles unverständlich“ bleibt – die Grundidee ist klar: Der Staat stiftet den Kapitalisten mit zinsgünstigen Krediten, Kreditgarantien und geschenktem Kapital – pro eingestelltem Arbeitslosen „Eigenkapital von anfangs zunächst 10 000, späterhin 50 000 Euro und einen Fremdkredit in gleicher Höhe“ (Frankfurter Rundschau 5. August) – direkt die Mittel zur Ausbeutung. Und auch dieser Einfall lässt sich noch konsequenter zu Ende denken. Die Arbeitslosen, die darüber in den Genuss kommen, von einem Unternehmen ausgebeutet zu werden, sollen nämlich anschließend mit ihren Mitteln mit gerade stehen für die Zurückzahlung des Kredits, der ihnen diesen Genuss verschafft:

„Der so gewonnene neue Arbeitnehmer soll sich später mit einem Einkommensverzicht, beispielsweise von fünf Prozent, an der Tilgung des Kredits beteiligen.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung 7. August)

Wiederum als Kleinausgabe des Job Floaters hat die Kommission schließlich noch

Das Ausbildungszeit-Wertpapier

im Programm: „Der Hartz-Kommission gehen die Ideen, frisches Geld für den Arbeitsmarkt zu mobilisieren, nicht aus. Jedem nicht ausgebildeten Jugendlichen bis 25 Jahre will Kommissionschef Peter Hartz ein Ausbildungszeitwertpapier in die Hand drücken, mit dem er seine Ausbildung selbst einkaufen kann. Finanziert werden soll es durch einen neuen Fonds. Er soll in erster Linie über eine Ausbildungsversicherung finanziert werden, die Eltern und Verwandte der Jugendlichen abschließen sollen. Außerdem soll die Bundesanstalt für Arbeit in den Fonds einzahlen. Die Fondsverwaltung soll außerdem Spenden bei allen gesellschaftlichen Gruppen einwerben.“ (Handelsblatt 7. August)

5. Die Kritik der Wirtschaft

Die ‚Vertreter der Wirtschaft‘ sowie ihre Sprachrohre, die einschlägigen Forschungsinstitute, sind mehrheitlich der Auffassung, dass die Vorschläge der Hartz-Kommission „in die richtige Richtung“ gehen. Aber eben auch nur das. In die richtige Richtung gehen sie nämlich längst noch nicht weit genug:

So ist es natürlich nur „zu begrüßen“, wenn der Staat dafür sorgt, dass Arbeitslose per arbeitsbehördliche Verleihanstalten und durch Ausweitung der 'Mini-Jobs' das Angebot an kostengünstig zu erstehender Arbeitskraft vermehren. Aber: „Die Hartz-Kommission macht um die Lohnfindung einen großen Bogen.“ (Handelsblatt 28./29. Juni) Wo doch der „Lohn der entscheidende Parameter ist ... Die Lohnstruktur muss flexibel sein. All dies wird durch die rechtliche Absicherung des Kollektivvertrages vereitelt.“ (Handelsblatt 4. Juli) „Hartz ist mit den Agenturen der Aufgabe ausgewichen, den deutschen Arbeitsmarkt endlich von ... dem Lohndiktat durch das System der Flächentarifverträge zu befreien.“ (Handelsblatt 12. August) Fällig gewesen wäre also ein Angriff aufs Tarifvertragsrecht überhaupt.

„Positiv“ ist für die Arbeitgeber natürlich auch alles, was „Anreize“ schafft, „dass Arbeitslose einen angebotenen Arbeitsplatz schneller annehmen.“ Also die verschärften Zumutbarkeitskriterien, Leistungskürzungen und -streichungen bei ‚Arbeitsverweigerung‘ – aber wieso nur dann? „Notwendig wäre, die Lohnersatzleistungen auf den schnellstmöglichen Übergang in eine neue Beschäftigung auszurichten. Das geschieht leider nicht. Statt dessen setzt die Kommission auf effektive individuelle Sanktionen.“ (Arbeitgeberpräsident Hundt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 12. August) Da hat die Kommission, nachdem sie erst einmal „mutig“ eine drastische Senkung des Arbeitslosengeldes und eine Befristung der Arbeitslosenhilfe ins Gespräch gebracht hat, nach Auffassung der Unternehmer auf der ganzen Linie versagt:

„Besonders negativ ist, dass die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes nicht begrenzt wird. Falsch bleibt, dass der Daueranspruch auf Arbeitslosenhilfe nicht aufgehoben wird.“ (Martin Wansleben, DIHK-Hauptgeschäftsführer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 12. August)

Die Kommission ist da auf „massiven politischen Druck“ der Bundesregierung hin „zurückgerudert“, hat alles, was fällig gewesen wäre, „verwässern“ lassen – und nicht den fälligen Generalangriff auf den Standpunkt der notwendigen Reproduktion der Arbeiterklasse gestartet, den der Sozialstaat noch immer neben dem und damit eben auch gegen den Standpunkt der notwendigen Verbilligung der Ware ‚Arbeitskraft‘ aufrechterhält.

„Gut“ ist für ‚die Wirtschaft‘ auch die „erleichterte Befristung von Arbeitsverhältnissen bei älteren Mitarbeitern“ – aber warum schon wieder nur bei denen? Und „gut“ vor allem, dass sie mit den Leihkräften vom Arbeitsamt Zugriff auf Arbeitskräfte bekommt, die sie jederzeit wieder loswerden kann; nicht zuletzt deswegen, weil sich da für sie Wege auftun, die Kündigungsschutzproblematik überhaupt zu erledigen:

„Als Leihfirmen können sie (die PSA sind gemeint) die Problematik des Kündigungsschutzes für die Unternehmen aushebeln, die Einstiegslöhne für Arbeitslose senken und ihr (nämlich das der Leihfirmen!) Humankapital frisch halten.“ (Klaus Zimmermann vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, dessen Humankapital vielleicht auch mal jemand auffrischen sollte, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 12. August)

Das geht also schon sehr in die richtige Richtung. Zumal die Kommission auch die Einwände der privaten Leiharbeit-Unternehmen in ihrem Konzept noch weitgehend berücksichtigt hat: Vor allem hat ihr eingeleuchtet, dass den gewerblichen Leiharbeits-Firmen keine Konkurrenz aus der Vermarktungstätigkeit des Arbeitsamtes erwachsen darf; deswegen soll nun eine Personal-Service-Agentur doch nur dort errichtet werden, „wo es keine regionalen Anbieter gibt“ (Handelsblatt 15. August); d.h. vorrangig soll es dem Geschäftssinn privater Verleihfirmen überlassen bleiben, aus den Arbeitskräften vom Arbeitsamt einen Gewinn herauszuschlagen. Außerdem hat die Kommission eingesehen, dass in dieser Zukunftsbranche der „Zeitarbeitsgesellschaft“ auch keine „ungleichen Wettbewerbsbedingungen“ herrschen dürfen; deswegen schlägt sie vor, 'gleiche Wettbewerbsbedingungen' durch eine „Deregulierung der Rahmenbedingungen“ herzustellen, d.h. für die Branche insgesamt die Ausbeutungsbedingungen auf den Stand zu bringen, den sie für die Leihkräfte vom Amt einführen will. Unbeliebt macht sie sich bei den Unternehmern dieser Branche mit der Forderung, dass dann ‚gleiche Wettbewerbsbedingungen‘ auch nach der Seite des Lohns herrschen müssen:

„Es muss nach einem neuen, noch auszuhandelnden PSA-Tarif bezahlt werden. Bislang waren aber nur wenige Zeitarbeitsunternehmen überhaupt bereit, Tarifverträge zu schließen ... Durch das Hartz-Konzept wächst nun auch der Druck auf den Rest der Branche, sich Tarifverhandlungen nicht weiter zu verschließen, falls sie in den Genuss der Deregulierung kommen wollen.“ (Handelsblatt 20. August)

Also ist letzten Endes doch alles ziemlich unbefriedigend: Warum wird nur unter dieser Bedingung ‚dereguliert‘? Und wieso nur bei der Leiharbeit? Wo es der Kommission doch darum hätte gehen müssen, die „Fessel eines überzogenen Kündigungsschutzes“ (Handelsblatt 12. August) generell zu beseitigen, also ein Angriff auf die Arbeitsgesetzgebung überhaupt angesagt gewesen wäre: „Die gesetzlichen Restriktionen müssen weg.“

Die Kritik der Unternehmer richtet sich also insgesamt dagegen, dass der Staat die – von ihm doch als fällig eingesehene! – Verelendung der Lohnarbeiter als Förderprogramm für mehr rentable Arbeit alles in allem doch wieder nur für die bereits verelendeten Arbeitslosen herstellen will. Sie wendet sich dagegen, dass die staatlichen Maßnahmen zur Erleichterung der Ausbeutung Ausnahmecharakter haben, zielt also darauf, dass das Arrangement der dafür zweckmäßigen Verelendungsverhältnisse zur kapitalistischen Regel für die lohnarbeitende Bevölkerung wird; eine Regel, die der Staat in Kraft zu setzen hätte.

Deswegen werden sogar die projektierten Geldgeschenke an einstellungsbereite Unternehmer überhaupt nicht begrüßt, geschweige denn mit Dankbarkeit beantwortet. Stattdessen mäkelt der Bund Deutscher Arbeitgeber an den zweifelhaften Finanztechniken herum, über die Arbeitgeber mit billigem Kredit und geschenktem Kapital versorgt werden sollen („besonders grotesk“); er zweifelt daran, als wäre das seine erste Sorge und bei Subventionen so üblich, dass sich der Job Floater für den Staat „kostenneutral“ umsetzen lässt; und stellt dessen Nutzen in Frage („zwei Millionen neue Arbeitsplätze ... wenig realistisch“; Handelsblatt 13. August). Für die Unternehmer zeugt dieses Projekt nämlich selber vom Unwillen der politisch Verantwortlichen, ihre Arbeitsmarktpolitik konsequent am Bedarf der Wirtschaft auszurichten. Es selber wird als der Versuch registriert, das eigentliche Übel der zu teuren Arbeit mit Finanzierungs-Kunstgriffen ausnahmsweise – eben hinsichtlich der in Arbeitsverhältnisse zu überführenden Arbeitslosen – wegzumanipulieren, also regelmäßig bestehen zu lassen.

Und so geht es natürlich nicht! Denn wer ist hier von wem abhängig, wenn alle Welt von ihnen verlangt, mehr Arbeitsplätze zu schaffen?!. Eben! Dann sind ja wohl auch sie diejenigen, die die Bedingungen diktieren können und von der Politik erwarten dürfen, dass die entsprechende Verhältnisse schafft! Und wenn die von einer Regierung gemacht wird, die zwar für die Durchsetzung neuer Freiheiten im Umgang mit der Arbeitskraft etliches tut, aber einfach nicht den parteipolitischen Vorlieben entspricht, wie man sie in den Kreisen der Unternehmerverbände hegt, dann sind die Vertreter der Wirtschaft so frei, auch noch ihren Anspruch auf eine Regierung ihrer Wahl als Sachnotwendigkeit des Arbeitsplätze-Schaffens auszugeben. Mit ihrer Kritik an den Vorschlägen der von der rot-grünen Regierung eingesetzten Kommission wollen die Unternehmerverbände diese Regierung schlecht machen und im stattfindenden Wahlkampf die Weichen für die richtige Regierung stellen. Das von ihnen vertretene private Bereicherungsinteresse trifft sich da auf wunderbare Weise mit dem Wahlkampfinteresse der Stoiber-Front.


6. Die konstruktive Rolle der Gewerkschaften

Von einem solch glücklichen Zusammentreffen von Klasseninteresse und Parteiinteresse kann im Falle der Gewerkschaften mit ihren traditionell guten Beziehungen zur derzeit regierenden Sozialdemokratie keine Rede sein. Die Hartz-Kommission, deren Vorschläge die Schröder-Regierung ja erklärtermaßen konsequent und ohne Abstriche in die Tat umsetzen will, widerruft schließlich alles, was die Gewerkschaften in den vergangenen vier Jahren an der Politik der rot-grünen Regierung – auch schon mit ziemlich viel unverwüstlichem Willen dazu – als sozialen Fortschritt gut heißen konnten: die Neuregelung der 325-Euro-Jobs, das Gesetz gegen Scheinselbständigkeit, gesetzliche Beschränkungen bei der Leiharbeit, die Beseitigung des ‚Dienstmädchen-Privilegs‘ ... All das wird durch die Vorschläge der Kommission regelrecht abgeräumt.

Und wie stellen sich die Gewerkschaften nun dazu? Was ist ihre Sorge?

„Sie müssen jetzt aufpassen, dass sie nicht nur als grundsätzliche Ablehner jeder Reform wahrgenommen werden.“ (Hubertus Schmold von der IG BSE im Handelsblatt 25. Juni)

Denn erstens halten sie eine Reform der Arbeitswelt wg. Arbeitslosigkeit unbedingt für notwendig. Und wenn ihnen dann ein Hartz mit all seinen Erfolgs- und Zukunftskompetenz ausstrahlenden „Modulen“ vorbuchstabiert, dass für mehr Beschäftigung die Ausbeutungsbedingungen für die Unternehmer im Lande verbessert werden müssen, dann gestehen sie dem erst einmal sowieso schon so ziemlich alles zu. Bis zu dem Punkt, an dem für sie wieder einmal die „Schmerzgrenze“ erreicht ist. Das ist dort der Fall, wo nach den Vorstellungen von Hartz – und das ist ja irgendwie der Kern seiner Reform – die Leiharbeit in großem Stil zum festen Bestandteil der modernen Arbeitswelt werden soll. Denn die sollte nach den Vorstellungen der Gewerkschaften dann doch eher nicht „Schule machen“:

„Sie fürchten, dass Zeitkräfte mit niedrigeren Tariflöhnen den von ihnen betreuten Stammbelegschaften in den Betrieben Lohnkonkurrenz machen.“ (Handelsblatt 28./29. Juni)

Deswegen sind sie „alles andere als glücklich damit“, dass sie als Tarifpartner des Arbeitsamtes demnächst einen entsprechenden PSA-Tarif für dessen Leihkräfte abschließen sollen. Das wollen sie nicht.

Sie wollen aber auch nicht dieses Reformprogramm zum Scheitern bringen. Denn zweitens sind sie so politisiert allemal, dass sie der sozialdemokratisch geführten Regierung, die für sie immer noch die richtige ist, nicht mitten im Wahlkampf in den Rücken fallen wollen; schließlich will der Kanzler mit diesem Reformprogramm und einem mit den Unternehmern und Gewerkschaften erzielten Konsens über dessen Eckdaten ja auch noch glaubwürdig und wahlkampfwirksam unter Beweis stellen, dass er das Zeug dazu hat, mit dem Arbeitslosenproblem fertig zu werden. Und wenn das von den Unternehmern hintertrieben wird.

„Die Arbeitgeber wollten nicht nur Unternehmerinteressen durchsetzen“ – das ginge ja noch! –, „sondern mit ihrer Blockadehaltung verhindern, dass Bundeskanzler Schröder einen Erfolg vorweisen könnte.“ (Kommissionsmitglied Kunkel-Weber von der Gewerkschaft Verdi laut Handelsblatt 30. Juli) –, dann liegt für diese Gewerkschaften eindeutig eine „politische Erpressung“ vor, die von ihnen nur durch eine entsprechende Gegenoffensive beantwortet werden kann: Schröder ist ihr Mann, weil der ja für sie ist; nur mit ihm lässt sich Arbeitsmarktpolitik im Konsens mit den Gewerkschaften durchsetzen. Für diesen Konsens „sind wir sogar bereit, über unseren Schatten zu springen und Leiharbeit unter bestimmten Bedingungen zu akzeptieren.“ (DGB-Vorsitzende Engelen-Kefer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 12. August) Natürlich nur mit den notorischen Bauchschmerzen und erst nachdem die eigentlichen “Giftzähne des Konzepts“ – Senkung und Befristung der Arbeitslosenunterstützung – „gezogen“ werden konnten und auch dann selbstverständlich nur unter der Bedingung, dass die Gegenseite dieses Zugeständnis nicht dafür ausnutzt, wofür die es haben will, und wahrmacht, womit die Gewerkschaften schon fest rechnen:

„Der Ausbau der Zeitarbeit darf aber auf keinen Fall dazu führen, dass regulär Beschäftigte von den Unternehmen durch preiswerte Zeitarbeitskräfte ausgetauscht werden.“ (IG-Metall-Sprecher Claus Eilrich im Handelsblatt 28./29. Juni)

Das einzudämmen, ist absehbarerweise das Ziel, mit dem diese Gewerkschaften demnächst dann in die Verhandlungen über die nähere tarifrechtliche Ausgestaltung der Leiharbeitsverhältnisse hineingehen werden. Denn dass sie das wollen, ist nun ja keine Frage mehr. Diesen Auftrag kann man schließlich auch positiv sehen: Da sind sie als Tarifvertragspartei einmal gefragt, da sollen sie ihre konstruktive Rolle kriegen, und auf die bereiten sie sich längst vor:

„Die Gewerkschaften wollen die Bezahlung im PSA-Tarif möglichst stark den Tarifgehältern der entleihenden Branchen annähern.“
(Verdi-Tarifexperte Jörg Wiedemuth im Handelsblatt 20. August)

Fragt sich nur noch, ob sie dafür überhaupt einen Verhandlungspartner finden. Weil die Zeitarbeitsfirmen „verschließen“ sich ja bislang Tarifverhandlungen noch hartnäckig.


7. Die endgültige Aufbereitung der Materie
zum wahlkampfttauglichen Thema


Unter der Schlagzeile „Schröder contra Stoiber – das Streitgespräch“ titelt die Süddeutsche Zeitung vom 13. August: „Heftige Wortwechsel zwischen Kanzler und Herausforderer / Beide Politiker wollen den Druck auf die Arbeitslosen verstärken.“ Die Kandidaten der beiden großen Parteien für das Amt des Regierungschefs konkurrieren also um die Gunst des Wählers, indem sie sich in der Frage profilieren, wer von ihnen der bessere Arbeitslosen-Drangsalierer ist. Sie verlieren kein Wort über die Natur des staatlichen Handlungsbedarfs, den sie mit ihrer Regierung exekutieren wollen, sondern versprechen Konsequenz in der Durchführung; und ihre Glaubwürdigkeit darin demonstrieren sie, indem sie mit ihrer Rücksichtslosigkeit gegenüber den Leidtragenden angeben. So, in der abstrakten Fassung – Konsequenz! –, setzen sie die Kritik der Unternehmer an einer Politik, die alles verwässert, Maßnahmen ergreift, die höchstens ein Anfang sein können, und das Eigentliche – eine generelle Rücknahme staatlicher Rücksichten auf die Reproduktion des Proletariats – schuldig bleibt, als Generallinie durch. Das Verlangen nach Konsequenz ist der einzige Standpunkt zur Politik, den sie gelten und an dem sie sich messen lassen. Und der einzige, an dem sie die demokratische Öffentlichkeit misst: „SPD und Union fehlt der Mut für Reformen.“ In dieser Fassung ist Kritik endgültig wahlkampftauglich:

‚Reformen‘, das ist der Titel für alles, was die Politik auf die Tagesordnung setzt, und ‚Konsequenz‘ ein Synonym für Führungsstärke. Das ist das ganze Repertoire einer Wahlkampf-Debatte, in der die Opposition und deren Sprachrohre der Regierung vorhalten, „zu spät“ und dann auch viel zu unentschlossen aktiv geworden zu sein; und auch das nur aus Wahlkampfgründen. Die Regierung mache sich der „Vortäuschung eines Reformeifers“ schuldig, hinter dem keine wirkliche „Tatkraft“ steht, lautet der härteste Vorwurf an sie. Die Regierung und deren Sprachrohre kontern mit dem Vorwurf, die Opposition würde – aus wahltaktischen Gründen – die gute Sache „zerreden“ und sich damit gegen die „Stimmung“ im Volk stellen, das nach dem Auffliegen getürkter Vermittlungen des Arbeitsamtes endlich Taten sehen wolle. Kanzler Schröder stellt da sein Licht zu Unrecht unter den Scheffel. Die Wahrheit ist nämlich schon, dass er diesen ‚Skandal‘ zum Anlass genommen hat, die Nation auf seine arbeitsmarktpolitische Offensive einzuschwören.

Der Wahlkampf ist da also einmal keine Ablenkung von der Sache, sondern fruchtbar dafür, die ganze Nation auf sie hinzulenken.
 20. Juni 2002