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Ego-Aktionäre und Selbstmörder Hartz-Kommission will Arbeitslosenversicherung umkrempeln
Gaby Gottwald analyse & kritik 16. August 2002


Wenn der Personalmanager eines Auto-Multis damit beauftragt wird, sich was zur „Reform der Arbeitsämter“ auszudenken, so kann man was erleben. Seit Ende Juni traktieren Peter Hartz und seine Kommission die Öffentlichkeit mit marktschreierischen Sprüchen zum Thema Arbeitsmarktpolitik. In Wahrheit denken sie aber nur an das eine: an billige Arbeitskräfte und noch billigere Arbeitslose.

Der Mann von VW hält die Öffentlichkeit und seinen Kanzler-Freund ganz schön auf Trab. Eigentlich ganz unzeitgemäß fordert Hartz inzwischen satte 150 Milliarden Euro für eine aktive Beschäftigungspolitik in Ostdeutschland, verteilt über drei Jahre. So sinnvoll zusätzliches Geld für ein Investitionsprogramm sein mag: Es darf bezweifelt werden, was von diesen hochfliegenden Plänen tatsächlich beschlossen oder gar realisiert wird.

Sehr viel handfester sind dagegen die bisher bekannten Schwerpunkte der Hartz-Kommission. Die Botschaft von Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Ausweitung der Leiharbeit, Ausbau des Niedriglohnsektors und Privatisierung sozialer Risiken liegt voll im Trend und kann sich der Unterstützung von rot bis schwarz, gelb bis grün sicher sein. Dabei geht es selbstverständlich auch um Kürzungen, die im Übrigen im Haushalt 2003 des Bundesministeriums für Arbeit bereits vorweggenommen werden: Ausgabenkürzung um 4,3 Milliarden Euro, Wegfall des Zuschusses für Arbeitsförderung, Abbau des Zuschusses zur Arbeitslosenhilfe.

Hartz und seine Mitstreiter setzen auf eine forcierte und verbesserte Vermittlung von Erwerbslosen. Sie schaffen damit natürlich keine neuen Arbeitsplätze, sondern erhöhen lediglich die Fluktuation auf dem Arbeitsmarkt. Die Hartz-Strategie setzt einmal mehr auf den Niedriglohnsektor. Potenzielle Erwerbslose sollen zur Not auch per Zwang in dieses Arbeitsmarktsegment gepresst werden. Die Organisation staatlicher Leiharbeit sowie die Aussteuerung bestimmter Personengruppen aus dem Leistungsbezug („Ich-AGs“) sind genauso Komponenten für diese Strategie wie Leistungskürzungen und die Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen.

In Sachen Kostenreduzierung durch Repression hat sich die Hartz-Kommission als äußerst kreativ erwiesen. In Zukunft kann es Erwerbslosen passieren, dass sie in der gesamten Republik Jobs annehmen müssen. Zudem kann die „Verfügbarkeit“ strenger überprüft werden. Auch die Beweislast wird umgekehrt: Erwerbslose müssen beweisen, dass ein Job unzumutbar ist. Wer nicht arbeitsfähig ist, bekommt in Zukunft Sozialhilfe, für alle anderen gilt die unbedingte Arbeitspflicht. Gleichzeitig wird der Berufs- und Qualifikationsschutz noch weiter ausgehebelt, vorhandene berufliche Qualifikationen abgewertet. Parallel dazu erhalten die Vermittler oder „Casemanager“ der Arbeitsämter erweiterte Ermessensspielräume und „zielgruppenorientierte Leistungszulagen“ bei erfolgter Vermittlung, alles Anreize, um den Druck auf Arbeitslose zu erhöhen.


Daumenschrauben statt Arbeitsplätze

„Herzstück“ der Hartz-Konzeption sind die von den Arbeitsämtern aus gegründeten Personal-Service-Agenturen (PSA). Wer über eine PSA an Betriebe oder Zeitarbeitsfirmen vermittelt wird, gilt nicht als erwerbslos. Ist er oder sie direkt bei einer PSA beschäftigt, muss er/sie in den ersten sechs Monaten jegliche Tätigkeit bei eventuell wechselnden Arbeitgebern ausüben. Ansonsten droht der Verlust des Arbeitslosengeldes (ALG). Ab dem 7. Monat soll ein „Tariflohn“ gezahlt werden in Höhe von ca. 70 Prozent des ehemaligen Bruttogehalts. Ab dieser Zeit gilt die verschärfte Zumutbarkeitsregelung, so dass eine nochmalige Abstufung in eine schlechter entlohnte und weniger qualifizierte Tätigkeit erfolgen kann. Die angestrebte Perspektive des „Klebeeffekts“ in einem regulären Betrieb ist nur für einen kleinen Personenkreis realistisch, da die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze im Niedriglohnsegment in signifikanter Anzahl nicht zu erwarten ist.

Ein Großteil der neuen staatlichen LeiharbeiterInnen landet über die neue Beschäftigung lediglich beim alten Zustand der Erwerbslosigkeit, allerdings mit zwei Nachteilen: ALG gibt es nur in Verbindung mit erzwungener Arbeit, und bei erneuter Arbeitslosigkeit sind die Leistungsansprüche deutlich niedriger. Für die Bundesanstalt für Arbeit (BA) und den Staat ist die Leiharbeit eine gezielte Übergangsphase hin zur Kostenreduzierung bei Personen, die auf absehbare Zeit nicht in reguläre Erwerbsarbeit zu integrieren sind. Das „downgrading“ von Leistungsansprüchen ist das eigentliche Ziel der PSA und der Grund dafür, warum Leiharbeit in so großer Anzahl geplant wird (500 000 bei den PSA plus 280 000 bei Zeitarbeitsfirmen). Es ist zu vermuten, dass gerade nicht oder gering qualifizierte Personen mit wenig Vermittlungschancen zu den PSAs „einberufen“ werden, damit ihre Leistungsansprüche über eine Leiharbeit reduziert werden können.

Die Hartz-Kommission sieht mehrere Möglichkeiten vor, Personengruppen ganz aus dem Leistungsbezug auszusteuern.

Über das großzügig bezuschusste Modell „Ich-AG“ etwa sollen Erwerbslose in eine Miniselbstständigkeit gelockt werden. Die GründerInnen der „Ich-AGs“ erhalten als Einstieg 50 Prozent ihres Leistungsanspruchs plus der Kosten für die Sozialversicherung. Das Einkommen wird bis zu einer maximalen Höhe von 25 000 Euro nur mit zehn Prozent versteuert. Nach drei Jahren sind die „Ego-AktionärInnen“ ausgesteuert. Nur über eine neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigung könnten sie in das Versicherungssystem zurück. Diese zu finden, war aber genau ihr Problem!

Im Rahmen der „neuen Freiwilligkeit“ wird allen Erwerbslosen über 55 Jahren nahe gelegt, sich von der Vermittlung freizukaufen und dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Sie erhalten statt des Arbeitslosengeldes nur Arbeitslosenhilfe (AlHi, in Zukunft ALG II). Sollten sie auf eine Aussteuerung verzichten wollen, müssen sie auch dann eine Tätigkeit annehmen, wenn der neue Nettolohn unterhalb des ehemaligen liegt. Für den Verdienstausfall können sie erstmalig eine neu eingeführte „Lohnversicherung“ abschließen. Hier wird konkret der Einstieg in eine private Zusatzversicherung gelegt. Allerdings: Wer seine Ansprüche im Alter ablöst, kommt nie wieder ins Versicherungssystem.

Über Minijobs für Dienstleistungen in privaten Haushalten sollen Erwerbslose regulär beschäftigt werden. Als „Anreiz“ sollen private Haushalte Steuererleichterungen erhalten, so dass sie keine Schwarzarbeit mehr nachfragen. Der/die Mini-JobberIn zahlt nur zehn Prozent Sozialversicherung.

Personen, die zwischen 500 und 1000 Euro verdienen, erhalten gestaffelte Zuschüsse zur Sozialversicherung. Prekäre Beschäftigung im Niedriglohnbereich wird so über die Arbeitslosenversicherung subventioniert und gefördert.

Für das ganze Konzept gilt: Wer angebotene Niedriglohntätigkeiten ablehnt, wird abgestraft und „steuert sich selbst aus“. Die steigenden Abmeldungen aus der Arbeitslosigkeit auf Grund der „vernachlässigten Mitwirkungspflicht“ ist bereits einer der „Haupterfolge“ des neuen Job-AQTIV-Gesetzes.

Auch beim Arbeitsrecht und beim Kündigungsschutz sind weitgehende Deregulierungen geplant. So sollen Ältere ab 55 Jahre regelhaft über befristete Kettenarbeitsverträge eingestellt werden können. Für die Gründungen der PSA und die Einbeziehung der Zeitarbeitsfirmen wird die generelle Deregulierung der Arbeitnehmerüberlassung geplant. Für kleine und mittlere Unternehmen (im Osten) werden Dauerpraktika erwogen, die faktisch Arbeitsplätze ersetzen.

Die offiziellen Arbeitsämter heißen in Zukunft „Job-Center“. Bei ihnen werden alle Erwerbsfähigen erfasst. Die bisherigen Arbeitslosenhilfeempfänger und erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger werden so organisatorisch zusammengeführt. Wer als arbeitsfähig gilt und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, erhält ALG II. Die ehemals geplante Beschränkung des ALG II auf ein Jahr wurde von der Kommission zurückgenommen. Dafür soll es in Zukunft nur noch Sozialhilfe („Sozialgeld“) geben, wenn Erwerbsfähige aus welchen Gründen auch immer dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Die Ämter werden sich in Zukunft kräftig bemühen, den Beweis der Nichtverfügbarkeit mittels der verschärften Zumutbarkeitsregelungen zu erbringen.


Privatisierung der Arbeitslosenversicherung

Eine bisher wenig diskutierte, nichtsdestotrotz wesentliche Neuerung in den Plänen der Hartz-Kommission ist die Teilprivatisierung der BA und des Systems der Arbeitslosenversicherung. Sie unterliegen damit nur noch eingeschränkt einer gesellschaftlichen Kontrolle. „Zur besseren und verstärkten privatwirtschaftlichen Führung der BA-neu erfolgt die Ausgliederung von Teilen in private Tochterunternehmen (...) Damit unterliegen sie nicht mehr der Selbstverwaltung und auch nicht sonstigen verwaltungswirtschaftlichen Einschränkungen.“ (Hartz-Papier 31. Juli 2002) Bereits in der Vergangenheit wurde die Rolle der bisherigen Selbstverwaltung (Gewerkschaften, Unternehmer und Staat) stark reduziert. So unterliegen alle operativen Aufgaben allein dem neu geschaffenen Vorstand der BA. Das Herzstück der Hartz-Reform, die Personal-Service-Agenturen, werden jedoch ausgegründet und unterliegen explizit nicht mehr der Steuerung und Kontrolle durch die Selbstverwaltung. Damit ist die Masse der Erwerbslosen, die den neuen restriktiven Kürzungsmaßnahmen ausgesetzt sein werden, allein dem privatisierten Teil der BA und dessen Vorstand unterworfen. Nach der Renten- und der Krankenversicherung ist auch die Privatisierung der Arbeitslosenversicherung eingeleitet.

Die Leistungskürzungen und repressiven Verschärfungen des Hartz-Konzepts stellen insgesamt die Sinnhaftigkeit einer staatlich organisierten Versicherung in Frage. Gut- und Mittelverdiener würden bei freier Entscheidungsmöglichkeit nie in ein staatliches repressives Versicherungssystem einzahlen, das nur ein Jahr (ab 45 Jahre 18 Monate, ab 52 Jahre 24 Monate, ab 57 zweieinhalb Jahre, bei gleichzeitiger Aussteuerung ab 55 Jahre) Arbeitslosengeld auszahlt und danach nur noch (repressiv begleitete) Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe. JedeR, die/der es sich leisten kann, würde sich privat versichern. Das ist die eigentliche Message des neuen Konzeptes: ArbeitnehmerInnen mit mittlerem oder gutem Einkommen sollen es akzeptieren, ebenso die Unternehmerseite, die bereits jetzt entlastet wird und sich perspektivisch aus der Beitragszahlung verabschieden kann. Die Sockelkosten der Massenarbeitslosigkeit würden zukünftig über die Steuerkasse finanziert, d.h. über die Lohn- und Einkommenssteuer der ArbeitnehmerInnen.

Die Gewerkschaften haben bisher die Pläne der Hartz-Kommission im Wesentlichen gebilligt. Lediglich bei den Leistungskürzungen haben sie Protest angemeldet: Das Arbeitslosengeld soll nicht gekürzt werden; der bisher erworbene Anspruch erhalten bleiben. Dieser Position folgt inzwischen sogar Edmund Stoiber und die CSU. Indem sie dem Gesamtpaket keine Absage erteilen, tragen die Gewerkschaften aktiv dazu bei, dass sich bei struktureller Arbeitslosigkeit die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Erwerbslose, potenziell Betroffene und Geringverdiener durch staatliches Handeln weiter verschlechtern. Die Gewerkschaften opfern die Interessenvertretung von ArbeitnehmerInnen und der Erwerbslosen einer kurzfristigen Wahloption. Sie unterminieren damit gleichzeitig ihre eigene Position in zukünftigen Tarifauseinandersetzungen, denn die strategische Ausrichtung auf Niedriglohnbereiche mit flankierenden staatlichen Zwangsmaßnahmen bei wachsender Arbeitslosigkeit wird zukünftige Tarifpolitik massiv bestimmen. Die wahlkampforientierte gewerkschaftliche „Realpolitik“ kommt somit einer Selbstmordstrategie gleich.


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 16. August 2002